Kolumne: Das Altpapier am 14. Mai 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 14. Mai 2024 von Christian Bartels ESC oh je

Kolumne: Das Altpapier am 14. Mai 2024 – ESC oh je

"Schande", "Skandal": Der Eurovision Song Contest und seine Übertragung erregen ähnlich viel Kritik wie Aufmerksamkeit. Der MDR bekommt wegen seiner Spar-Pläne einen Offenen Brief, und der gleich eine Antwort.

Di 14.05.2024 11:48Uhr 05:02 min

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Kolumne: Das Altpapier am 14. Mai 2024 ESC oh je

14. Mai 2024, 11:25 Uhr

"Schande", "Skandal": Der Eurovision Song Contest und seine Übertragung erregen ähnlich viel Kritik wie Aufmerksamkeit. Der MDR bekommt wegen seiner Spar-Pläne einen Offenen Brief, und der gleich eine Antwort. Beim Kabelfernsehen ändert sich vieles. Und wandelt Olaf Scholz bei Tiktok auf Konrad Adenauers Spuren? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Viele Meinungen zum ESC

Interessiert ein Unterhaltungs-Ereignis wie der "Eurovision Song Contest" (ESC) noch mehr als zwei Nächte, nachdem er lang und breit stattgefunden hatte? Nun ja, ausgeruhtere Besprechungen der ausufernden Veranstaltung erschienen erst im weiteren Verlauf des Montags, und sie schildern eine verzwickte Gemengelage.

"Weil einen so angespannten, so irritierenden Eurovision Song Contest selbst absolute Experten noch nicht erlebt haben, möchte man in der Detailkritik, wie immer bei außergewöhnlichen Umständen, unbedingt milde bleiben. Zumal ausgerechnet dieser ESC auch der allererste ARD-Live-Kommentar des heiteren WDR-Radiomoderators Thorsten Schorn war",

schreibt Aurelie von Blazekovic in der "SZ" (Abo). Dennoch gerät ihre Kritik an nicht bloß einem Satz dieses Moderators dann doch scharf. Zum Kontext gehört die schwer erklärbare, vielleicht einfach unsinnige, aber halt beim retardierenden Breitwalzen der Show hilfreiche Idee, dass sowohl Jurys aus "Musikfachleuten" als auch das interessierte Publikum abstimmen und beider Ergebnisse nacheinander verkündet werden (wie sueddeutsche.de/Abo hier erläutert). Dazu von Blazekovic:

"Im ESC-Kosmos bedeutetet das: Jetzt spricht das Volk. Es sprach zum Beispiel: Null Punkte für Großbritannien. Und gleich darauf bekam Israel mit Eden Golan, von den Jurys ins Mittelfeld gewählt, vom Publikum: 323 Punkte. Ein im Kontext dieser Show, der Proteste vor der Halle und in den sozialen Medien eigentlich unglaubliches Ergebnis, doch der ARD-Kommentar blieb betont nüchtern. Kurze Stille, dann: 'Israel schiebt sich damit an die Spitze des Felds.' Es war diese Pause, dieses kurze Schweigen, das man an diesem Abend in der ARD recht zuverlässig beim Thema Israel hörte. Die akustische Lücke, in der sich das Problem dieses Abends ausdrückte."

Für alle, die das Glück hatten, nicht zugesehen zu haben: Moderator Schorn stand nicht auf der Bühne, sondern kommentierte die englischsprachige Show aus dem Off. Nun muss er viel harte Kritik an sich, auch an anderen Sätzen, lesen, z.B. in "epd medien":

"Schwerwiegender erscheint Schorns fahrlässig verkürzte Einordnung der Kritik an der israelischen Teilnahme. Den von den Kritikern gezogenen Vergleich des russischen Angriffskriegs mit Israels Vorgehen im Gazastreifen gab er wieder, ohne darauf zu verweisen, dass diese Geschehnisse nicht vergleichbar sind."

Selbst Lob für die Kernsendung des wie gesagt langen Fernsehabends kleidet Lukas Respondek in Kritik am Drumherum:

"Im Gegensatz zur von ARD, SRF und ORF koproduzierten Countdown- und Aftershow, die die Schweizer Freude nach Nemos Sieg im Keim erstickte, waren die drei vom schwedischen Sender SVT produzierten ESC-Shows großartig gelungen."

Von "Schande" ("dass ein Wettbewerb, dessen in großen Teilen queere Teilnehmer gleiche Rechte für alle fordern, öffentlich das Gegenteil dessen vorführte") spricht das "FAZ"-Feuilleton. Von "Skandal" die "Berliner Zeitung":

"Die 20-jährige Eden Golan musste den Titel ihres Liedes ('October Rain') ändern, konnte ihr Hotel am Austragungsort Malmö nur unter massivem Polizeischutz zu den Wettbewerbsproben verlassen und wurde von pro-palästinensischen Demonstranten bedroht. Ein absoluter Skandal in der Geschichte des ESC, deren Veranstalter, die Europäischen Rundfunkunion (EBU), sich nicht entblödet, den Wettbewerb ... nach wie vor als unpolitische Veranstaltung zu bewerben."

Darauf, dass die in vielen der sehr vielen Besprechungen erwähnten Buhrufe bei Bolans Auftritt im Malmöer Saal noch viel heftiger zu hören gewesen seien als im Fernsehen, also bei der Übertragung durch eine "Anti-Booing-Technologie" rausgefiltert wurden, macht dann noch die NDR-Medienmedienredaktion "Zapp" per X/Twitter-Thread aufmerksam, und wirft die Frage auf,

"Ob das Filtern der Buh-Rufe und das Einfügen von Applaus wirklich die Teilnehmenden schützt ... Schließlich ist die israelische Sängerin Eden Golan den Buh-Rufen und der angespannten Atmosphäre im Saal trotzdem ausgesetzt gewesen."

Scharf Kritik an der internationalen Veranstaltung übt auch der "Standard": "Die EBU fiel vor allem als schlechte Krisenmanagerin auf", heißt es dort unter anderem. Eher positiv gestimmt sieht hingegen Veteran Jan Feddersen in der "taz" die "politisch aufgeheizteste" ESC-Veranstaltung überhaupt, umkränzt mit Wortschöpfungen wie "Strasssternenaura". Und die versöhnlichen Worte "Und die Musik ist auch gar nicht mal so schlimm" zum Gewinner-Song fand ebendort Friedrich Küppersbusch in seiner Interview-Kolumne (wobei die später folgenden Sätze "An diesem Finale war trotz teils toller Beiträge erstmals wesentlich interessanter, was nicht drin stattfand. So ähnlich funktionierte das DDR-Fernsehen") auch wieder tückisch sind ...

Offener Brief, Stellungnahme, Intendanten-Interview (MDR)

Weiterhin eins der großen Medienmedien-Themen sind die Einspar-Planungen des MDR (bei dem ja auch diese Kolumne erscheint) – auch deshalb, weil der MDR sich mit sehr konkreten Planungen in einer Art Pionierrolle unter den öffentlich-rechtlichen Anstalten begeben hat. Zuletzt ging's gestern hier darum. Neu sind ein Offener Brief, eine ebenfalls öffentliche Antwort und ein ausführliches Intendanten-Interview.

Den Offenen Brief "#MDRinvestigativStärken" mit 26 ursprünglichen Unterschriften aus der von starken Einsparungen bedrohten Investigativredaktion und 292 weiteren Unterstützer-Unterschriften veröffentlichte die Journalistengewerkschaft DJV. Er argumentiert gut, auch, weil er noch mal konkret schildert, was die Investigativjournalisten so machen:

"Unsere Recherchen haben V-Leute im Umfeld des NSU aufgedeckt und damit zur Aufklärung des NSU-Skandals beigetragen. Wir haben unbekannte Hintergründe zum Fall Lina E. öffentlich gemacht. Wir haben über die Strategien und Köpfe der rechtsextremen “Freie Sachsen” berichtet. Unsere Autorinnen und Autoren haben mutmaßliche Straftaten im MVZ Kopfzentrum Leipzig aufgedeckt, worauf ein Ermittlungsverfahren folgte. Bei uns bekamen Menschen aus Colditz den Raum darüber zu berichten, dass sie sich wegen krimineller Rechtsextremisten im Ort nicht mehr sicher fühlen. Ebenso dokumentieren wir regelmäßig die soziale Situation von Menschen und fragen nach den strukturellen Ursachen. In zahlreichen Beiträgen thematisieren wir die Lebenssituation von pflegenden Angehörigen, von Menschen in Obdachlosigkeit, von Menschen, die sich mit Sozialhilfe oder Niedriglohnjobs durch die Inflation kämpfen, von Kindern in Armut und von Betroffenen von häuslicher Gewalt. Unsere Beiträge gehen über die reine Beschreibung der Situation hinaus ..."

Wer den Brief dann auch, als PDF zum Download, veröffentlichte: der MDR selbst, also die Chefetage wohl, in ihrer "Stellungnahme zu offenem Brief von Investigativ-Kolleginnen und -Kollegen". Diese Stellungnahme ist in nicht ganz leichter Sprache formuliert; über Sätze wie "Der Brief verengt die Perspektive auf das Mengengerüst des linearen Fernsehens mit Fokus auf die Programmdirektion Leipzig", muss schon länger nachdenken, wer sie genau verstehen möchte. ("Da wird schroff deklamiert", x-twitterte Stefan Niggemeier hübsch paradox). Zum Kontext gehört, dass die Dreiländeranstalt MDR derzeit noch zwei Programmdirektionen besitzt – eine im sächischen Leipzig, eine in Halle in Sachsen-Anhalt – welche "im Rahmen der Strategie, Doppelstrukturen im MDR abzubauen" (wie es der gestern schon hier erwähnte KNA-Mediendienst-Artikel formuliert) wohl zusammengelegt werden sollen. Zur Antwort auf den Offenen Brief gibt die Stellungnahme:

"Bislang sendete der MDR sein politisches TV-Magazin 'exakt' wöchentlich, das digitale Investigativ-Format 'exactly' wurde 14-täglich veröffentlicht. Dieser Rhythmus wird künftig umgekehrt: 'exactly' wöchentlich und 'exakt' 14-täglich. ... Diese Umstellung wird in unserer Gesamtbetrachtung für den ganzen MDR demnach nicht zu Abstrichen für investigative Inhalte führen."

Von "Feinjustierungen" spricht MDR-Intendant Ralf Ludwig im ausührlichen flurfunk-dresden.de-Interview, das die Diskussionen ebenfalls kaum beenden dürfte, aber Überblick über die sehr zahlreichen Diskussionsstränge rund um die Öffentlich-Rechtlichen gibt. Etwa bei "Pool-Lösungen und Kompetenzzentren":

"Unsere Chance liegt eben in mehr Kooperation, in mehr Zusammenarbeit im Verbund der ARD. Wir bekommen ja auch vom Publikum viele Rückmeldungen: Es gäbe so viel vom Gleichen, es fänden viele Wiederholungen statt. Wenn sie sich als Medienhaus auf gewisse Themen spezialisieren können – wir sind zum Beispiel beim Thema Klima jetzt einer der Federführer in der ganzen ARD – dann können wir uns auch verstärkt mit Produkten einbringen, die andere ARD-Partner von uns übernehmen. Das heißt natürlich im Gegenzug, wir übernehmen im MDR dann ebenfalls Formate, wie jetzt zum Beispiel das Magazin 'Visite'. "

Ein ähnliches Bonbon wie das der Federführung beim Thema Klima steckt am Ende der "Stellungnahme":

"Die Bedeutung des Investigativ-Journalismus für den MDR zeigt sich auch daran, dass der MDR künftig innerhalb der ARD für die Kuratierung des Themenfelds 'Investigation' in der ARD Mediathek verantwortlich sein wird."

Sieh an. Zumindest bietet die ARD-Mediathek, erst recht bei weniger marktgängigen Themen, allerhand Luft nach oben.

Nebenkostenprivileg, Einspeiseentgelt, "Wirrwarr"

Beim MDR geht es bekanntlich ums Einsparen von rund 40 Millionen Euro pro Jahr von 2025 bis 2028. Ein anderes wichtiges, doch absolut privatwirtschaftliches Medien-Unternehmen könnte in sechs Wochen bis zu 800 Millionen Euro jährlich Umsatz verlieren, der bislang ähnlich sicher floss wie die Rundfunkbeitrags-Einnahmen. Da macht Timo Niemeier bei dwdl.de auf den – von Wettbewerbern dieses Unternehmens – als "Independence Day" beworbenen 1. Juli gespannt. Dann endet das "Nebenkostenprivileg" für Mieter in Mietwohnungen. Heißt:

" ... dass spätestens zum 1. Juli 12,5 Millionen von insgesamt knapp 17 Millionen Kabel-Haushalten in Deutschland erstmals frei darüber entscheiden, über welchen Weg sie ihr TV-Signal künftig empfangen wollen - oder ob sie womöglich ganz darauf verzichten."

Viele junge Leute, die Fernsehgeräte gar nicht mehr haben wollen bis kennen, dürften das tun. Das wird vor allem Vodafone treffen, dem große Teile vor allem des westdeutschen Kabelnetzes gehören. Vielleicht könnten bei dieser Gelegenheit die Politik oder entsprechende Manager in den Anstalten ja noch mal wieder die durchaus umstrittenen, selten thematisierten "Einspeiseentgelte", die ARD und ZDF seit dem vorigen Jahrzehnt an die Kabelnetzbetreiber zahlen, auf einen Prüfstand stellen.

"Tatsächlich zahlen die Öffentlich-Rechtlichen nach jahrelangem Rechtsstreit seit 2018 wieder an Kabelfirmen. ...  Zwar gibt es 'Must-Carry'-Regelungen, welche Programme Betreiber in ihre Netze einspeisen müssen. Doch öffentlich-rechtliche Programme gibt es noch viel mehr, außerdem die Mediatheken und die Frage, wie all die Programme angeordnet werden. Das ist eine der vielen Grauzonen im umfangreichen, aber teilweise drastisch veralteten deutschen Was-mit-Medien-Regelwerk",

hieß es in einem Altpapier-Rückblick von 2018 (mit Links zu dwdl.de und der ehemaligen "Medienkorrespondenz") dazu. Im jüngsten KEF-Bericht steht, dass allein die ARD, ebenfalls für die Jahre 2025 bis 2028, 115,8 Millionen Euro für "Kabelverbreitung" beantragte und großenteils bewilligt bekam (ab S. 57). Das ist zwar etwa weniger Geld als in den Jahren 2021-24, aber dennoch eine ganze Menge. In dieser Grauzone ließe sich womöglich einiges einsparen. Zumal es ja sowieso zu den Ankündigungen gehört, dass die Öffentlich-Rechtlichen weniger lineare Sender verbreiten wollen (und deren Vielzahl zum Eindruck, "es gäbe so viel vom Gleichen", beiträgt).

"Wie die ARD ganz leicht sparen könnte", heißt dann noch der Aufmacher der "FAZ"-Medienseite. Da führt Jürgen Bremer, der hier schon öfter erwähnte ehemalige Phoenix-Geschäftsführer und WDR-Sprecher, am Beispiel des immer teureren WDR-"Filmhauses" in Köln in ebenfalls wenig bekannte Komplexitäten der aus lang zurückliegenden Jahrzehnten überkommenen Anstalten-Finanzplanung (bzw. einer "Medienpolitik, die vielleicht das Gute will, aber ein Wirrwarr schafft") ein:

"Das Dilemma liegt in der fiktiven Betrachtung der ARD durch die KEF. Sie behandelt die neun eigenständigen Sender des ARD-Verbunds finanztechnisch wie einen einzigen, rechnet die Anforderungen aller Anstalten zusammen und schlägt einen Einheitsbeitrag vor. Das hat seltsame Folgen. Wenn die Kommission eine Investition wie für das Filmhaus akzeptiert, fließt die Summe nicht etwa in die Kasse des WDR. Sie wird in den ARD-Topf geworfen, mit allen anderen Beträgen zusammengerührt und am Ende quotenmäßig verteilt."

Digitalminister- & Datenschützer-Föderalismus

Die Abkürzung DMK muss man sich vorläufig nicht merken. Für "Digitalministerkonferenz" steht sie. Die erste deutsche DMK fand schon im April in Potsdam statt, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt tut sie's ein wenig: weil Bianca Kastl für ihre netzpolitik.org-Kolumne "Degitalisierung" ein "Destillat aus 13,7 Millionen Zeichen" rund um diese DMK kondensierte. Das ist sehr lesenswert, weil es zeigt, wie die weiterhin hardcore-föderalistische Digital-, also: Netz- und damit auch Medienpolitik so tickt. Z.B., wie sie spricht:

"Etwas wird anerkannt, wir laden den Bund ein (deshalb war Volker Wissing auch da), wir wollen, wir begrüßen, oder es wird ausdrücklich begrüßt, wenn es gerade ekstatisch klingen soll. Und am Ende wird vielleicht sogar wer anderes ganz energisch aufgefordert."

Außerdem zeigt Kastl, mit welch unterschiedlichen anderen (und meist größeren) Ressorts das Digitale in den zahlreichen Ministerieren gekoppelt ist:

"Mal ist es das Innenministerium, mal die Landesregierung, mal das Wirtschaftsministerium, das sich für Digitalisierung zuständig fühlt. In Bremen wird die Zuständigkeit auf zwei Fachlichkeiten verteilt (Wirtschaft und Finanzen), Exoten wie Nordrhein-Westfalen weisen das Thema Digitalisierung dem Bauministerium zu und in Rheinland-Pfalz ist Digitalisierung eher Arbeit. In Sachsen-Anhalt ist Digitalisierung dem Namen nach zwar auch Infrastruktur, aber auch wieder eher Verkehr."

Bloß mit der Medienpolitik, die ja ebenfalls nirgendwo ein eigenes Ministerium, sondern immer ein Anhängsel bildet, gibt es keinerlei institutionelle Überschneidungen. Obwohl die inhaltlichen groß wären.

Mit was und wem genau diese Strukturen umgehen müssen, zeigt dann noch ein netzpolitik.org-Gastbeitrag von Tobias Keber und Clarissa Henning. Da handelt es sich um den baden-württembergischen Datenschutz-Beauftragten und seine persönliche Referentin, deren akademische Titel auch genannt werden (Ehrpusseligkeit spielt im deutschen Föderalismus keine Nebenrolle ...). Aber lesenswert ist auch dieser Text, schon weil Bundeskanzler Scholz in einer Reihe mit Konrad Adenauer gestellt wird, allerdings in medienpolitischen Zusammenhängen, in denen selbst Adenauer ungeschickt agierte. Ähnlich sehen Keber/Henning Scholzens Engagement auf Tiktok:

"Nicht alles, was funktioniert, ist rechtlich zulässig. Das klingt trivial, gilt im Besonderen aber, wenn öffentliche Stellen mit Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren. Zentrales Element des öffentlich-rechtlichen Äußerungsrechts ist, dass eben nicht jede Form der Kommunikation erlaubt und Grenzen deutlich enger gesteckt sind, als das bei Privaten der Fall ist. Bürger*innen können sich staatlichen Entitäten gegenüber auf die Meinungsfreiheit berufen, umgekehrt geht das nicht."

Heißt: Scholz' bzw. sein Bundespresseamts-Auftritt auf Tiktok ist zweifelhaft, etwa weil Tiktok "beispielsweise die vollständige URL, Zeitstempel und den Verlauf der Seiten, die im Browser aufgerufen werden" aus- und mitlesen kann. Und das gewiss auch tut.


Altpapierkorb (Thema Klima, EU-Mastodon, Talkshows, Netzagentur, Christian-Schertz-Doku)

+++ "2021 haben Sie in einem Interview ... gesagt, dass der Klimawandel die größte Herausforderung ist, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war. ... Haben Medien diese Herausforderung angenommen?", fragt der "Standard". "Viele Nachrichtenmedien habe(n) ihre Berichterstattung zur Erderwärmung deutlich ausgebaut. Was aber noch weitgehend zu fehlen scheint, ist ein größeres Bewusstsein für zwei Tatsachen: wie wenige Jahre uns noch bleiben, um auch eine Erderwärmung von mehr als zwei Grad Celsius zu verhindern; und wie dramatisch – in der Fachsprache nonlinear – die negativen Auswirkungen der Erderwärmung zunehmen werden, wenn sich unsere erdnahe Atmosphäre nicht nur um 1,5 Grad, sondern um zwei Grad oder mehr erwärmt. ... Was also weitgehend fehlt, ist das Verständnis für die Dringlichkeit und den Zeitdruck, unter dem wir jetzt stehen", antwortet Wolfgang Blau, Ex-Chefredakteur von zeit.de und des "Guardian". +++

+++ Schnell zu handeln, zählt nicht zu den Dingen, für die die EU-Institutionen bekannt sind. Die durchaus überraschende Reaktion der EU-Kommission auf die (auch überraschende) Ankündigung des Europäischen Datenschutzbeauftragten, seine Mastodon-Server abzuschalten (Altpapier), scheint zu verpuffen, meldet netzpolitik.org. +++

+++ "Die Talkshow ist das Format zwischen Information und Unterhaltung, das zuletzt ausgeknipst werden sollte, wenn ARD und ZDF ihre Streichlisten aufstellen", schreibt Christian Meier in einem großen Lob der ARD/ZDF-Polit-Talkshows ("Welt"/Abo). +++

+++ Wenig Echo bislang auf die Nachricht, dass die Bundesnetzagentur auf eine neue Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen verzichten will, obwohl "die in der Vergangenheit immer Milliarden Euro in die Kassen des Bundes gespült hat". Scharf als Quelle der deutschen Digitalisierungs-Misserfolge kritisiert wurde sie einst aber auch. Stattdessen sollen die laufenden Frequenzen-Nutzungsrechte verlängert werden ("FAZ"). +++

+++ ARD-Kritik geht immer. Vielleicht deshalb hat kress.de Steffen Grimbergs eigentlich hinter der KNA-Mediendienst-Bezahlschranke verborgene Besprechung der gestern abend linear gesendeten Doku "Der Star-Anwalt: Christian Schertz und die Medien" als Beinahe-"Dauerwerbesendung" für den porträtierten Juristen übernommen und damit frei zugänglich gemacht. In der Mediathek ist diese Doku übrigens gerade ganz noch vorn, äh, kuratiert.

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Johanna Bernklau.

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