Elke Witt über die Schmiedeaktion "Schwerter zu Pflugscharen" 1083 in Wittenberg
Elke Witt gehörte seit 1983 zum Friedenskreis um Friedrich Schorlemmer. Später engagierte sich die Geografin auch in der kirchlichen Umweltbewegung der DDR. Seit 2002 ist sie Geschäftsführerin des Regionalen Tourismusverbandes WelterbeRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg e.V.. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Schwerter zu Pflugscharen" Friedensaktion in Wittenberg 1983: "Was passiert hier eigentlich?"

21. September 2023, 04:00 Uhr

"Schwerter zu Pflugscharen": Mit einem Bürgerfest ist am 21. September 2023 an die legendäre Schmiedeaktion in Wittenberg erinnert worden. Mit dabei waren Zeitzeuginnen wie Elke Witt. Sie geriet ins Visier der Stasi, weil sie sich damals im Friedenskreis um Friedrich Schorlemmer und in kirchlichen Umweltgruppen engagierte. Gerichtet gegen das Wettrüsten in Ost und West, aber auch gegen die Militarisierung des Alltags wurde die Aktion am 24. September 1983 zum Symbol der kirchlichen Friedensbewegung und der Opposition in der DDR. Elke Witt blickt zurück und wünscht sich, den Geist von Damals ins Heute zu holen.

Der Lutherhof in Wittenberg ist ein historisch bedeutsamer Ort. Am 24. September 1983 wird hier ein Komplott geschmiedet. So jedenfalls interpretiert die Staatssicherheit die Aktion zu später Stunde: Friedrich Schorlemmer, damals Pfarrer an der berühmten Schlosskirche, weltweit bekannt als Ausgangsort für Luthers Reformation, hat am Rande des Evangelischen Kirchentags zu einem inoffiziellen Programmpunkt geladen. Doch am Ende sind rund 600 Menschen dabei, auch Elke Witt, damals 23 Jahre alt: "Es war sehr feierlich. Zumal hier ein Feuer brannte und keiner so richtig wusste: 'Was passiert hier eigentlich?'", so erinnert sie sich an die besondere Atmosphäre vor nunmehr 40 Jahren.

Bürgerfest "Schwerter zu Pflugscharen" in Wittenberg 65 min
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65 min

MDR+ Do 21.09.2023 18:00Uhr 64:33 min

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Video

Friedensfest am 21. September 2023 | Das Programm in Wittenberg

*Anlässlich des Jahrestages und zum Internationalen Tag des Friedens laden die Veranstalter ab 17 Uhr auf den Lutherhof in Wittenberg ein. Das Hauptbühnenprogramm von 18 bis circa 19:15 Uhr wird über die digitalen Kanäle des MDR als Livestream übertragen.

*Beteiligt sind zahlreiche Wittenberger Zeitzeugen, Schulen, Kirchengemeinden und Vereine, auch Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, wird erwartet.

*Das Fest beginnt um 17 Uhr mit dem traditionellen Stadtgebet, das durch die Evangelische Gesamtschule Philipp Melanchthon unter Leitung von Pfarrer Johannes Schimming vorbereitet und aus diesem Anlass vom Markt auf den Lutherhof umziehen wird.

*Um 18 Uhr begrüßt Thomas T. Müller, Direktor der LutherMuseen, offiziell die Gäste im Lutherhof und Landesbischof und Friedensbeauftragter der EKD, Friedrich Kramer, eröffnet das Fest. Neben der Einspielung von Videodokumentationen mit Zeitzeugen – darunter auch dem Initiator der Aktion Friedrich Schorlemmer – wird das Programm den ganzen Abend musikalisch von Fritz Baltruweit und Band sowie der Wittenberger Nachwuchsband Milanialz begleitet.

*Unter dem Motto "Wir sind alle für den Frieden" sprechen in einem Podiumsgespräch, moderiert von Uli Wittstock (MDR), Reiner Haseloff, Friedrich Kramer, Dr. Kristin Jahn, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, und Dr. Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie Berlin, über Fragen der Friedensethik und die Situation der Friedensbewegung damals und heute.

*Ab 20:15 Uhr kommen Zeitzeugen, Oberbürgermeister Torsten Zugehör und internationale Gäste wie beispielsweise Prof. Dr. Heleen Zorgdrager von der Protestantischen Theologischen Universität Amsterdam in Interviews zu Wort.

Symbol der kirchlichen Friedensbewegung gegen atomares Wettrüsten

Aus dem Gebäude des Predigerseminars wird ein Schwert herausgetragen, begleitet von Gebeten und Gesängen. Der Hausmeister hat es zuvor in seiner Wohnung im Schlafzimmerschrank versteckt. Im Lutherhof steht der Kunstschmied Stefan Nau bereit. Auf die im Kohle-Feuer erhitzte Spitze hämmert er so lange ein, bis aus dem Schwert der Haken einer Pflugschar wird – und später das Symbol der kirchlichen Friedensbewegung, der größten Oppositionsbewegung vor der Friedlichen Revolution in der DDR. "Ein jeder braucht sein Brot, seinen Wein und Frieden ohne Furcht soll sein. Pflugscharen schmelzt aus Raketen und Kanonen, dass wir in Frieden zusammen wohnen", so spricht Schorlemmer in Anlehnung an die Worte des Propheten Micha: "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Spieße zu Sicheln machen." Die Menge klatscht im Rhythmus der Schläge des Hammers.

Ein Schwert wird zur Pflugschar geschmiedet
Im Lutherhof geht am 24. September 1983 der Kunstschmied Stefan Nau ans Werk. Bildrechte: IMAGO / epd

Heute sind Schwert und Amboss im Stadtmuseum zu besichtigen: "Das gehört unbedingt hierhin", erklärt Elke Witt beim Blick in die Vitrine. "Es ist eine der Aktionen, die uns zumindest deutschlandweit bekannt gemacht haben."

Unerwartete Konsequenzen

Die Statue «Let us beat swords into ploughshares (Schwerter zu Pflugscharen)» des Künstlers Jewgeni Vuchetich steht vor der Kulisse des East River und den Hochhäusern von Long Island City.
Die Statue "Let us beat swords into ploughshares" (Schwerter zu Pflugscharen) des Künstlers Jewgeni Vuchetich am East River in New York, die Sowjetunion schenkte die Plastik 1959 der UNO. Später inspirierte sie den Theologen Harald Bretschneider zu den bekannten Aufnähern der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR. Bildrechte: picture alliance/dpa | Helen Corbett

Dass sie damals nicht sofort unterbunden wird, liegt an der Anwesenheit des designierten Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in der Stadt. Unschöne Bilder von einschreitenden Sicherheitskräften will die DDR-Führung um jeden Preis vermeiden. Danach spüren Teilnehmende wie Elke Witt die Konsequenzen. Mit denen sie so nicht unbedingt gerechnet hatte, versinnbildlichte die Aktion aus ihrer Sicht doch lediglich ein Zitat aus dem Alten Testament: "Es war also nichts, was man sich politisch selber ausgedacht hat, sondern beruhte wirklich auf der Heiligen Schrift. Und außerdem hatte ja ein sowjetischer Künstler dieses biblische Zitat als Monument vor das UNO-Gebäude in New York gestellt!"

Im Visier der Stasi: "Verbindung zu negativ klerikalen Personen"

Elke Witt über die Schmiedeaktion "Schwerter zu Pflugscharen" 1083 in Wittenberg
Elke Witt gerät nach der Schmiedeaktion ins Visier der Stasi. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Allerdings war der Slogan "Schwerter zu Pflugscharen" ein Jahr zuvor verboten worden. Die Abbildung eines Mannes, der ein Schwert umschmiedet, kam zuvor als Zeichen für die Friedensarbeit der Evangelischen Kirche in Umlauf, Jugendliche trugen es seit Beginn der 1980er-Jahre als Aufnäher auf Jacken oder Schultaschen.

Nun erklärte Verteidigungsminister Heinz Hoffmann im März 1982: "Unsere Soldaten tragen ihre Waffen für den Frieden. So gerne wir auch unsere Waffen verschrotten würden, noch braucht der Sozialismus, braucht der Frieden Pflugscharen und Schwerter." So wird die Aktion in Wittenberg ein sichtbarer Affront, ein Zeichen des Protestes gegen das atomare Wettrüsten in Ost und West, aber auch gegen die Militarisierung des Alltags in der DDR.

Und Elke Witt gerät wie andere Teilnehmende ins Visier der Stasi, wie sie nach der Wende aus ihrer Akte erfährt: Von ihrer "aktiven Verbindung zu einem negativ klerikalen Personenkreis" ist darin die Rede: "Und damit meinte man diese Gruppe um Friedrich Schorlemmer. Und das finde ich schon von der Formulierung her sehr, sehr spitz und sehr gemein."

Mein Chef hat sich in meiner Stasi-Akte als schreibfreudigster IM erwiesen. Er fragte jeden Morgen, mit wem ich mich wieder getroffen habe: 'Und: Sagen Sie doch mal!' Und ich: 'Nö, ich sag' nüscht.' Wie man so ist mit Anfang 20.

Engagement für Frieden und Umwelt: "Ich war voller Ideale"

Elke Witt über die Schmiedeaktion "Schwerter zu Pflugscharen" 1083 in Wittenberg
Die frisch diplomierte Geografin arbeitete nach dem Studium am Umweltinstitut der DDR und suchte in kirchlichen Umweltgruppen den Austausch über die vertuschten Probleme. Bildrechte: Privat

Beschäftigt als Geografin im Zentrum für Umweltgestaltung – dem staatlichen Umweltinstitut der DDR, muss sie nun jeden Morgen ihrem Chef, Bericht erstatten, "was ich denn abends wieder gemacht habe". Nach der Wende habe der sich "als der schreibfreudigste IM erwiesen", stellt sie fest und beschreibt ihren Konflikt so: "Gerade das Umweltproblem war ja in der DDR ein ganz heißes Eisen. Die Elbe war verdreckt, da wurden kommunale Abwässer und Industrieabwässer aus dem Stickstoffwerk eingeleitet. Da wollte ich mich engagieren. Also ich war doch voller Ideale." Statt dessen beobachtet sie das Verschweigen und Vertuschen der tatsächlichen Lage. Umso mehr engagiert sie sich im Kirchlichen Forschungsheim in Wittenberg, wo offen diskutiert werden kann. Immer mehr wird ihr die Kirche zum Freiraum, 1984 lässt sie sich von Friedrich Schorlemmer taufen:

"Ganz am Anfang war es eine Frage des Schutzes, aber dann auch der Zugehörigkeit. Ich bin eigentlich der Überzeugung, dass es eine gute Instanz auf der Welt gibt, die alles leitet. Und dass der Mensch  – wie schrecklich er sich manchmal auch benimmt – immer wieder zu diesem Guten zurückkehren muss."

Friedensfest am 21. September in Wittenberg

Elke Witt über die Schmiedeaktion "Schwerter zu Pflugscharen" 1083 in Wittenberg
Das Schwert im Wittenberger Stadtmuseum Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vier Jahrzehnte nach dem Schmieden des Schwertes zur Pflugschar findet Elke Witt die Erinnerung an die Aktion wichtiger denn je und bedauert, dass von der damaligen Aufbruchstimmung in der Kirche so wenig geblieben sei. Angesichts des Ukraine-Krieges werde der Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" sofort von der Politik abgetan. "Also momentan ist ja die offizielle Linie: immer mehr Waffen, immer mehr Waffen. Und da habe ich persönlich schon meine Zweifel. Ich erwarte eigentlich von der Politik, dass sie diese mahnenden Worte aus der Kirche oder auch von Privatpersonen etwas ernster nimmt."

Gelegenheit zur Diskussion gibt es zum Friedensfest am 21. September 2023 im Lutherhof zu Wittenberg. Unter dem Motto "Wir sind alle für den Frieden" sind Ministerpräsident Reiner Haseloff, Bischof Friedrich Kramer, Dr. Kristin Jahn, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, und Dr. Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie Berlin im Podiumsgespräch zur Situation der Friedensbewegung damals und heute.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Glaubwürdig | 23. September 2023 | 18:45 Uhr