Das Altpapier am 18. September 2017 Wege durchs Dickicht

Steht medienpolitisch die bislang "größte Schlacht“ bevor? Verleger und Intendanten beraten über Zukunft. Pünktlich dazu kritisiert EU-Kommissar Günther Oettinger ARD und ZDF. Springer plant Aktion in türkischen Medien. Ein Altpapier von Klaus Raab.

"Bevor wir zur großen Politik kommen, ein kleiner Blick in einen öffentlich-rechtlichen Abgrund". So beginnt der jüngste Newsletter des medienjournalistischen Portals Übermedien. Der gemeinte Abgrund lauert – wir vergrößern hier ein wenig die Fallhöhe – beim MDR, genauer bei der Jugendradiowelle MDR Sputnik. Übermedien:

"Die hatte die Idee, für zigtausend Euro iPhones zu kaufen und an ihre Hörer zu verschenken. Das kann man an sich schon für eine merkwürdige Anlage von Rundfunkbeiträgen halten. Aber der Sender (hat) sich dabei in einen irrwitzigen Werberausch für die Apple-Telefone gesteigert. Schauen Sie sich auch unseren Zusammenschnitt an – man glaubt es sonst nicht."
Größer als der Werbeeffekt für das iPhone 7 sei "vermutlich nur der Anti-Werbeeffekt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", so Übermedien. Wir bringen das Thema hier auch deshalb so prominent, weil solche Effekte gerade in größeren strukturelleren Debatten eine Rolle spielen könnten. Vor allem in der (von der Bundestagswahl unabhängigen) öffentlichen Diskussion darüber, was die Öffentlich-Rechtlichen mit welchem Geld tun sollen – unter anderem was sie im Internet veröffentlichen dürfen und ob sie Inhalte online weiterhin nach bestimmten Fristen depublizieren müssen.

Der Medienjournalist Daniel Bouhs, der für öffentlich-rechtliche und private Medien tätig ist, gab am Samstag im Medienmagazin "Breitband" bei Deutschlandfunk Kultur die Einschätzung ab, dass wir in der kommenden Zeit "die größte Schlacht vielleicht medienpolitisch erleben werden, die es bislang gegeben hat".

Das ist einerseits, zwinker zwinker, geschicktes Lobbying für die Bedeutung der Medienpolitikberichterstattung. Andererseits eine Prognose, die unsereinem das Blut in den Adern schockgefrieren lässt. Schon die Debatte über das Leistungsschutzrecht wurde ja auch über die Medien beteiligter Verlagshäuser ausgetragen – wobei damals die ausmachbare Trennung stärker zwischen Print und Online verlief, nicht zwischen Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen. Wird das jetzt noch lustiger?

Verleger und Intendanten beraten

Jedenfalls geht es jetzt richtig los. Diese Woche treffen sich, selbstredend unabhängig voneinander, Zeitungsverleger und Intendanten, um zu beraten. Um einen Vorgeschmack zu geben, was kommen kann, bis die zuständige Rundfunkkommission ihre Konferenzkekse auspackt, hier eine nicht vollständige Liste zur Auffrischung des bisherigen Geschehens: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung behauptete, die Rundfunkbeitrag solle nach und nach auf 21 Euro steigen und sprach von "staatlichem Rundfunk".
Im Deutschlandfunk erschien daraufhin eine etwas angefressene Glosse. Der folgten diverse Erwiderungen in der FAZ.
Es wurden außerdem zehn im Altpapier schon durchgespielte Thesen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht, deren Autoren zumindest zum Teil Sendern nahe stehen (worauf Daniel Bouhs im besagten Radiogespräch hinweist). Usw.

Lobbyarbeit halt, muss es geben. Aber ausgetragen zum Teil in Medien, deren Publikum möglicherweise darauf setzt, dass sie nicht nur die ihren Häusern passenden Aspekte erzählen. Es gibt da schlicht ein Glaubwürdigkeitsproblem: Wer sich als Leserin oder Leser nicht selbst mit den Hintergründen beschäftigt, hat kaum eine Chance, durchzusteigen, warum zumindest bestimmte Medien welche Positionen vertreten.

Vor der heute beginnenden Tagung der Zeitungsverleger in Stuttgart, für die die Südwestdeutsche Medienholding als Gastgeber fungiert, erschien etwa ein Interview mit dem zuständigen und bei den Verlegern gerne gesehenen EU-Kommissar Günther Oettinger in der Stuttgarter Zeitung (deren Verlag zu besagter Südwestdeutschen Medienholding gehört, deren Geschäftsführer auch Vize-Präsident des tagenden Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger ist – es ist eben schon ein ziemliches Dickicht).

Oettinger sagt: "Die Sender sorgen für ein kostenloses und umfassendes journalistisches Angebot im Netz, das für die privat finanzierten Verlagshäuser eine scharfe Konkurrenz darstellt. Die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren dies auch aus Rundfunkbeiträgen. Dies ist unfair gegenüber den vollständig privat finanzierten Zeitungshäusern und stellt für sie eine Gefahr dar. Es ist deshalb überfällig, dass Gerichte den Graubereich ausleuchten, Spielräume definieren und den öffentlich-rechtlichen Sendern auch Grenzen aufzeigen."

Die Stuttgarter Zeitung fasst das Interview unter der Überschrift „Oettinger kritisiert ARD und ZDF scharf“ zusammen.
Das kann man machen, ist eine legitime Position. Aber ein Halbsatz darüber, dass der eigene Verlag in der ganzen Geschichte wirtschaftliche Interessen hat, wäre halt nicht verkehrt. (Offenlegung: Das Altpapier erscheint seit 11. September unter öffentlich-rechtlichem Dach)

Alice Weidels Google-Nutzung

Nächster Stopp des Altpapiers: bei der angeblichen Mediennutzung Alice Weidels, Spitzenkandidatin der AfD im Bundestagswahlkampf. Das Erste, was sie morgens mache, zitiert sie der Spiegel am Ende eines Porträts (S. 36ff.), „ist, in meinem Handy Nachrichten zu lesen.“ Sie google dann nach den Wörtern "Mann" und "Messer". Und das, was sie finde, lastet sie dann der Bundesregierung an. "Mann, Messer, Messer, Mann, Messer. ‚So geht das die ganze Zeit nach zwölf Jahren Merkel‘, ruft Weidel. Der Saal tobt."
Das ist politische Debatte nach dem Google-News-Prinzip: Sie filtert die Welt nach Schlagworten, die das Weltbild ihrer Fans bestätigen, und wenn sie auftauchen, behauptet sie, dies sei der Beweis, dass das Weltbild korrekt ist: Verrohung der Gesellschaft, Kriminalität durch Asylbewerber – was man gezielt sucht, wird man in der Regel eben bestätigt finden. Die googlebare Summe der Beispiele wird hier zum Ganzen, die Bestätigung von angeblich gemachten eigenen Erfahrungen zur Grundlage von politischer Überzeugungsarbeit.

Damit – eigentlich ein großer, aber assoziativ machbarer Sprung – zu Alexander Kluge. Er hat mit Oskar Negt 1972 "Öffentlichkeit und Erfahrung" veröffentlicht, die maßgebliche Auseinandersetzung mit der Idee der Gegenöffentlichkeit dieser Zeit. Betroffenenberichte galten damals als wichtiges Mittel der (damals linken) Gegenöffentlichkeit. Es ging dabei darum, Medien der Verallgemeinerung, des Wiedererkennens zu schaffen. "Es war nicht die Frage, ob denn das nun verallgemeinerungsfähige Erfahrungen sind", sagte Negt später. (Ich habe hier im Frühjahr mal darüber geschrieben.)
Eine solche Wiedererkennungsfunktion schreibt Alice Weidel hier jedenfalls Google zu.

RTL betreibt Autobahnen

Alexander Kluges aktuelle Arbeit schließt nicht konkret hier an, aber allgemein an der sozusagen Stoßrichtung des Silicon Valley, wie er es etwas plakativ nennt. In der FAZ vom Samstag ist ein Text über eine neue Kluge-Ausstellung in Essen erschienen. Und in Die Zeit und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung stehen Interviews mit ihm.
In der FAS sagt er: "Angst ist auch eine Lügnerin. Sie macht uns Angst vor etwas Falschem. Und die Medien, auch die Algorithmen von Silicon Valley, sind Angstmacher, weil sie den Einzelmenschen ohnmächtig lassen."

Und im Interview mit der Zeit sagt er über das Internet: "So viel Partizipation an einer Öffentlichkeit hat es vorher nicht gegeben. Gleichzeitig ist klar, dass dieses Gefüge nach Algorithmen geordnet wird – die unsere Welt prägen, ohne dass wir es richtig merken. Indem sie unsere Libido an sich ziehen und damit ein Stück unseres Lebens verwerten. Man könnte sagen: Warum sollen sie nicht verwerten? Der Punkt ist aber der, dass sie damit gestalten. Und uns damit in eine Wirklichkeit versetzen, die wir nicht bestimmen."


Kluge plädiert dafür, statt Autobahnen Waldwege zu beschreiten. "Waldwege sind mein Metier. Autobahnen, das macht RTLplus." Und, auf bestimmte Art verwendet, wohl also auch die Google-Suche: Zu viel Vorgeordnetes kann, so verstehen wir Kluge, der Ohnmachtsbestätigung dienlich sein.

Partikularinteressen sind nicht alles

Aus einer ganz anderen Perspektive – aus der des Rezipienten bestimmter journalistischer Formate, die im Wahlkampf die Partikularinteressen einzelner in den Mittelpunkt rücken – kommt Peter Breuer in seiner Übermedien-Kolumne zum Punkt: Das "große Ganze zu vermitteln, ist auch die Aufgabe der Medien, die über Politik berichten." Das sieht er gerade aber irgendwie nicht so recht.

"Was von diesem Wahlkampf hängenbleibt, ist: Mein Geld, meine Rente, meine Firma. Unterm Strich, netto und summa summarum. Mein Auto, mein Haus, mein Boot – in diesen Formaten wird Politik auf Egotrips reduziert und man ahnt, warum ein Thema wie soziale Gerechtigkeit kein Potenzial mehr hat."

Kleine Leseempfehlung.

Altpapierkorb (Springers "FreeDeniz"-Aktion, Steve Bannon, Fake-News-Studie, Emmys)

+++ Der New Yorker Journalismusprofessor Jay Rosen schreibt, wie Donald Trump von Journalisten normalisiert wurde und wird.

+++ Springer-Chef Mathias Döpfner „hat die Vorstandschefs der 30 Dax-Konzerne angeschrieben, um sie als Unterstützer für eine Anzeigenaktion in türkischen Medien zu gewinnen“ (Tagesspiegel). Welt-Korrespondent Deniz Yücel sitzt, wie weitere Deutsche, in der Türkei im Gefängnis. Von einigen dieser Unternehmen gebe es bereits positive Resonanz, zitiert der Tagesspiegel Springer. In der FAS dagegen heißt es: „Schließen sich weniger als die Hälfte der Konzernchefs an, so schreibt er in seinem Brief, habe die Aktion keinen Sinn. Die Reaktion der angefragten Topmanager bleibt bislang reserviert.“ Ebenso heißt es in der FAS: „Der Axel-Springer-Konzern hat vorige Woche die Mitarbeiter intern angewiesen, nicht mehr in die Türkei zu reisen.“

+++ Gutes Porträt Steve Bannons in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (derzeit noch nicht frei online): "Ohne Bannons Gespür für die Paranoia und den Hass in der Bevölkerung wäre Trump nicht Präsident geworden." Es geht auch um die Frage, welche Rolle Breitbart in der US-Medienlandschaft derzeit einnimmt: "Rechts von der Mitte dominiert Breitbart. Selbst Fox News bekommt um zwei Drittel weniger Aufmerksamkeit als Breitbart, Printmedien wie das "Wall Street Journal" werden kaum noch wahrgenommen. Mit dieser Meinungsmacht kann Breitbart nicht länger eine Außenseiterrolle in Anspruch nehmen."

+++ Nils Minkmar (Spiegel) hat die AfD in Erbenheim besucht und eine Kleinigkeit über eine Talkshow mitgebracht: "Hart aber fair" sei "die­sen Leu­ten sehr wich­tig". Heute Abend dort im Programm: CSU, AfD, Bild-Zeitung und Cem Özdemir diskutieren über "Sicherheit und Zuwanderung".

+++ Dass keineswegs nur Rechte auf Fake News hereinfallen, schrieb am Samstag die taz. Man glaube vor allem das, was man schon öfter gehört hat, so eine Studie, die dort vorgestellt wurde.

+++ Um Rügen des Presserats für FAZ und Bild geht es u.a. bei taz.de.

+++ Die Journalistin Natalja Sindejewa, die den russischen Internetsender Doschd als "Gegenpol zum russischen Staatsfernsehen" (SZ) aufgebaut hat, weilte in Potsdam wegen der Verleihung eines Medienpreises für ihre Unabhängigkeit und wurde in der Samstags-FAZ interviewt (siehe auch Altpapier vom Freitag). Sie sagt dort: "In der russischen Geschichte wurde Journalismus lange Zeit durch Propaganda ersetzt. Deswegen sehen die meisten Menschen nach wie vor keinen Sinn darin. Für sie sind Journalisten Werkzeuge des Staates oder der Oligarchen. Wenn man diesen Menschen erklärt, dass Journalismus eine kritische Funktion hat, Autoritäten in Frage stellen und aufdecken soll, was in der Gesellschaft passiert, reagieren viele immer noch ungläubig." In der Süddeutschen Zeitung sagt sie, was ihr größtes Alltagsproblem ist: "‚Russische Regierungsvertreter antworten nicht gern auf kritische Fragen, viele von ihnen wollen nicht in unsere Sendungen kommen.‘ Genau das werde dem Sender dann vorgeworfen: Ihr lasst ja nie die Regierung zu Wort kommen! ‚Wie aber sollen wir alle Seiten eines Problems darstellen, wenn eine Seite grundsätzlich nicht mit uns redet?‘"

+++ Alexander Osang antwortet im Spiegel auf die Frage, "wieso so wenige Journalisten in den überregionalen Medien aus dem Osten stammten": "In der Republik im Osten gab es lange Jahre keinen wirklichen Journalismus, die Journalisten, die dort ausgebildet wurden, waren vor allem Parteiarbeiter." Nach der Wende hätten sie ihre Spuren verwischt und/oder "misstrauten Karrieristen, Konferenzen und Netzwerken." Zudem setzte man "lieber einen durchschnittlich begabten Westkollegen oder einen Soldaten ohne Vergangenheit ins System".

+++ Die Berliner Morgenpost schreibt, das ZDF habe die Hinterbliebene eines Opfers des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz in die Sendung "Klartext, Frau Merkel" ein- und dann wieder ausgeladen.

+++"Es ist eben unterhaltsamer, heutzutage auch klickträchtiger, wenn eine Zeitung oder ein Sender vom ‚Kampf um Platz 3’ der kleinen Parteien reden kann als von programmatischen Unterschieden im Steuer- oder Kitakonzept. Insofern verändern die vielen Umfragen – nicht nur zur Wahlkampfzeit – auf jeden Fall den Journalismus." Schreibt Daniel Haufler, einst bei der Berliner Zeitung, jetzt beim DGB-Onlinemagazin gegenblende.de, zur Debatte über Wahlumfragen.

+++ Das FAZ-Blog Blogseminar erklärt in der Reihe "Serienversteher" das Auftauchen deutscher Bezüge in "Breaking Bad": "Mit jedem Zerfall wird die Ausgangssituation um einen Härtegrad komplexer, bis schließlich die höchste Ebene des Verbrechens erreicht ist: Hannover."

+++ Besprochen werden das ZDF-Drama "Nie mehr wie es war" mit Christiane Paul (Tagesspiegel), die ARD-Dokumentation "Atom-Streit in Wackersdorf" (SZ), die Kika-Serie "5vor12" (Montags-FAZ) sowie die Netflix-Serie "American Vandal", eine Persiflage auf das bei Netflix selbst große Genre der True-Crime-Dokumentation (ebenfalls SZ).

+++ Donald Trump Ex-Sprecher Sean Spicer hat sich einen kleinen Scherz auf die Lippen gelegt, um damit bei den Emmys aufzutreten (Zeit Online, sz.de)

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.