Kolumne: Das Altpapier am 25. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 25. April 2024 Europa in der Nische

25. April 2024, 10:03 Uhr

"Warum die Europawahl so wenig Interesse weckt" – wäre das nicht mal ein Talkthema? Über die "NewsZone"-App des SWR wird wieder gestritten. Über die ausbleibende Presseförderung geklagt. Und "Meinungsmonotonie" kritisiert. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Europa in der Nische

Dass einem die Europawahl allmählich zu den Ohren herauskommen würde vor lauter Berichterstattung, kann man nun nicht behaupten. Die zwei einzigen Spitzenkandidaten, von denen man in Deutschland derzeit viel hört, sind die einer einzigen Partei – was an journalistischen Logiken liegt, gegen die in diesem Fall nicht das Geringste zu sagen ist: Die beiden stecken mutmaßlich bis zum Hals, einer bis weit darüber, im Sumpf. Wie könnte man da nicht fortlaufend und prominent berichten?

Nur, mehr Berichterstattung darüber, was andere Parteien in Europa so vorhaben und treiben, wär' halt nebenbei auch noch ganz schön. Oder gar mehr Berichterstattung über Inhaltlich-Programmatisches, so wie es die ehemalige Altpapier-Autorin Annika Schneider bei "Übermedien" (derzeit nicht frei lesbar) in anderem Zusammenhang fordert.

Dass der Bundessprecher dieser besagten einen Partei, also der AfD, heute – nachdem er erst am Sonntag schon ausführlich in der ARD (Altpapier) nicht viel Brauchbares zu den Vorwürfen gegen seine beiden Kameraden gesagt hat – nun auch prominent ins ZDF zum Talk bei "Maybrit Illner" geladen ist (tagesspiegel.de): Das kann man unter öffentlich-rechtlicher Binnenkonkurrenz, unter journalistischer Selbstverständlichkeit, unter "typisch Talkshow" oder unter allgemeiner Unbelehrbarkeit verbuchen. Tatsächlich wird man nur mit Mühe, wie bei Illner geplant, die Russland- und China-Nähe der AfD diskutieren können, ohne jemanden von der Partei dazu zu bitten. Der Punkt ist nur: Europa wird in den Talks selbst kurz vor der Wahl gewiss noch randständig behandelt werden. Prove me wrong! Dabei wäre "Warum die Europawahl so wenig Interesse weckt" eigentlich mal ein gutes Talkthema, zu dem man auch Vertreterinnen und Vertreter diverser Parteien kritisch befragen könnte.

Was nach wie vor fehlt – und in Phasen wie jetzt, vor einer Europawahl, merkt man's deutlich –, ist eine europäische Öffentlichkeit. Nicht nur, wie Christian Bartels hier gestern schrieb, als "Gegenakzent zu den immer dominanteren amerikanischen (und chinesischen) Konzernen". Sondern auch weil bei der Europawahl eben nicht nur national gewählt wird. Man interessiert sich ja vor der Bundestagswahl auch nicht nur für den eigenen Wahlkreis.

Immerhin als einen Versuch der Herstellung solcher Öffentlichkeit in der Nische kann man einen Teil der Weiterentwicklung des – nun ja, in einer Nische bekannten – Empfehlungsdiensts piqd lesen. Er wurde seinerzeit als Gegenentwurf zu den reichweitenoptimierten Social Media gegründet, die Relevanz immer über den Vertrieb definiert haben: Womit viele interagieren, das ist relevant, das ist die Logik. Bei piqd war und ist es so, dass lesenswerte Beiträge von Leuten, die sich mit einem Thema auskennen, händisch herausgepickt und vernewslettert werden. Der hübsche Begriff "handverlesenswert", den piqd geprägt hat, passt für die Methode gut.

Die Weiterentwicklung von piqd besteht darin, dass erstens ein neuer Träger dahinter steht: Ein paar Prozent bleiben bei der Schwingenstein-Stiftung, den Rest übernimmt das "Forum Stiftung für europäische Öffentlichkeit". Dass zweitens piqd.de zu forum.eu werden soll. Und dass vor allem dort – nämlich unter forum.eu – etwas Neues entstehen soll, kein EU-Institutionen-Journalismus, sondern "ein europäisches Magazin, das dokumentiert, wie die Menschen überall auf dem Kontinent denken, was sie beschäftigt, was sie inspiriert, woran sie glauben und wem sie folgen". So ist es angekündigt, und man muss abwarten, was dann daraus wird. Eine weitere Nische für Europa, das klingt jedenfalls sehr gut. Die Frage zur europäischen Öffentlichkeit bleibt natürlich trotzdem, wie sie aus ihren Nischen jemals rauskommt, wenn nicht einmal die Öffentlich-Rechtlichen es richtig hinkriegen. Mit mehr teuren Deep-Dive-Briefings vielleicht?

Neues vom alten Presseähnlichkeitsstreit

Der schon ein Weilchen anhaltende Streit um die Berechtigung dessen, was die Verleger und ihre Verbände "die kostenlosen presseähnlichen Textangebote der [öffentlich-rechtlichen] Sender im Internet" nennen, scheint in eine neue Runde zu gehen. Grund ist die Wiederveröffentlichung der Nachrichten-App "NewsZone" des öffentlich-rechtlichen SWR Ende März, gegen die südwestdeutsche Verlage nun wieder juristisch vorgehen.

Im Streit um die "Presseähnlichkeit" fallen Begriffe wie Gerichtsbarkeit, neues einstweiliges Verfügungsverfahren, Schlichtungsvereinbarung, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche… Sie sind alle nachzulesen bei den mutmaßlichen Scrabble-Champions von epd Medien, die die Meilensteine des Streits seit der App-Erstveröffentlichung 2022 im Rahmen der aktuellen Meldung noch einmal zusammenfassen. Juristen und ein paar Medienfachleute könnten ihre Freude haben an den Details dieser nächsten Umdrehung. Meedia.de und, in Meldungslänge, die "FAZ" berichten auch.

Im Großen bleibt die Frage, ob die Öffentlich-Rechtlichen der privatwirtschaftlichen Presse wirklich ihr angestammtes Terrain streitig machen, wenn sie Textangebote im Internet machen – also außerhalb ihres ursprüngliches Terrains. Zugegeben, das ist eine gefärbte Zusammenfassung des Streits. Aber der Begriff "Presseähnlichkeit", für den Juristen dummerweise nie ein besseres zusammengesetztes Hauptwort gefunden haben, ist halt einfach ein Anachronismus. Ein Elektroauto ist ja auch nicht kutschenähnlich, wie es Kurt Kister mal ganz hübsch formuliert hat (Altpapier).

Die eigentliche Frage ist, ob die Öffentlich-Rechtlichen in einer Medienlandschaft, die sich nicht mehr so einfach in Print und Rundfunk aufteilen lässt, all das dürfen und tun sollten, was sie tun. Darüber lässt sich mit markt- und demokratietheoretischen Argumenten natürlich nach wie vor streiten. Dass es den Verlagen wirtschaftlich besser ginge, wenn die Öffentlich-Rechtlichen ihre Digitalangebote einstellen würden, ist nicht ausgemacht. Dass die Demokratie beschädigt würde, wenn sie ein paar Angebote weniger machten, aber auch nicht.

(Ob der Dreiklang aus "Deutschlandfunk, 3sat und Arte" angemessen wäre, den "FAZ"-Herausgeber Jürgen Kaube in anderem Zusammenhang streitlustig anschlägt – in einer Replik (Abo) auf einen Text der Historikerin Hedwig Richter nämlich –, ist allerdings auch wieder eine ganz andere Frage. Würden die Öffentlich-Rechtlichen je derart eingedampft, was nicht zur Debatte steht, bräuchte auch die "FAZ"-Medienseite ein ganz neues Profil.)

Auch keine Innovationsförderung?

Was die Verlage aber unter Umständen noch etwas mehr umtreibt als der exemplarische Streit um die "NewsZone"-App, ist eine Presseförderung angesichts sinkender Papierauflagen, hoher Druck- und Zustellkosten und der ausbaufähigen Zahlungsbereitschaft für Digitaljournalismus. Der Bund hätte eigentlich mit einer Zeitungszustellförderung einspringen sollen, das war zumindest die Hoffnung der Verlage (siehe etwa dieses Altpapier). Wobei dieses Modell aber keine – hallo nochmal an die Scrabble-Community! – Transformationsdynamik brächte.

Eine Innovationsförderung, wie es sie in anderen europäischen Ländern ja durchaus gibt, fände deshalb wohl mehr Anhänger. Aber auch das, schätzt zumindest Christopher Buschow, Professor für Digitalen Journalismus an der Hamburg Media School, in der Mediensendung @mediasres vom Deutschlandfunk, werde in dieser Legislaturperiode wohl nichts mehr. Was Jochen Anderweit vom Nordwestdeutschen Verlegerverband ebd. zur Klage "Wir sehen gerade ein Versagen der Politik" animiert. Die Haushaltslage usw.!

"Die Zeit" beklagt "Meinungsmonotonie"

Noch ein Dauerbrenner: vermeintliche oder tatsächliche "Meinungsmonotonie" in Medien. Diese beklagt, im "Zeit"-Leitartikel, Anne Hähnig und meint die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg bzw. deutsche Waffenlieferungen. "Jeder Fünfte will, dass der Westen die Ukraine militärisch weniger unterstützt", schreibt sie. "Auf die Frage, ob Waffenlieferungen verstärkt werden sollten, antworteten im Februar mehr Menschen mit Nein als mit Ja. 46 Prozent finden, die Ukraine solle zu Friedensverhandlungen bereit sein." Sie fordert, sich damit "einigermaßen angemessen auseinanderzusetzen". Eine Forderung, gegen die natürlich nichts zu sagen ist. Stattdessen würden sich, so Hähnig, aber "selbst Streitgespräche (…) zuletzt eher an der Frage entlang[hangeln], ob die Bundesregierung genug für die Ukraine tut – oder ob sie noch viel mehr tun sollte."

Was nicht überzeugt, mich jedenfalls nicht, ist, dass sie ihre Argumentation damit stärken möchte, dass sie an die Corona- und die Flucht-Berichterstattung erinnert. "Die Meinungsmonotonie ist ja kein neues Phänomen. Sie ließ sich so ähnlich auch zu Zeiten der Migrationspolitik 2015 und der Coronapandemie beobachten. Zu Recht wurde sie im Rückblick stets bedauert", schreibt Hähnig. Die Frage ist, von wem sie "stets bedauert" wurde. Mutmaßlich von denen, die sie für einhellig hielten. Aber die sind nicht die einzigen, die eine Meinung dazu haben.

Um die Corona-Berichterstattung des Jahres 2020 ging es hier damals jedenfalls in einem Jahresrückblick, der folglich nicht unter dem Eindruck der ersten Corona-Wochen entstand, und dabei ergab sich ein differenzierteres Bild. Und mal ernsthaft: In der Pandemie, die mehrere Jahre dauerte, berichteten "die" Medien quasi einhellig? In den ersten acht Wochen vielleicht. Aber danach doch nicht.

Und zur Zuwanderungsberichterstattung 2015/16 gab es mehrere Studien, die mit unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen unterschiedliche Ergebnisse erbrachten. In einer Studie wurde festgestellt, die "sogenannten Mainstreammedien" hätten sich – so "Die Zeit"-Zusammenfassung damals – "unisono hinter Angela Merkels Flüchtlingspolitik versammelt". Über eine andere, später erschienen, wurde seinerzeit bei Übermedien berichtet. Ein Zitat aus dieser Studie lautet: "In allen untersuchten Medien 'wurde die Zuwanderung bei weitem überwiegend als Gefahr dargestellt'." Aber natürlich kann sich jede und jeder selbst eine Meinung darüber bilden, ob "Meinungsmonotonie"-Vorwürfe immer zutreffen, wenn sie erhoben werden.


Altpapierkorb (Fußballrechte, TikTok, "Simpsons")

+++ Wie der Fernsehrechteverkauf der Deutschen Fußball-Liga verläuft (Altpapierkorb gestern), ist bemerkenswert. Und er geht weiter, weil DAZN sich entschieden hat, sich benachteiligt zu fühlen. Die Bankbürgschaft, die von der DFL gefordert war, aber fehlte, liege nun vor. Zu spät? Den Zuschlag für Sky will DAZN wohl nicht hinnehmen. Caspar Busse verwendet in der "Süddeutschen" (Abo) das Wort "unklar" – nämlich dann, wenn es um die Frage geht, wie es nun weitergeht. Es geht jedenfalls um ziemlich viel Geld und ziemlich viele Übertragungsrechte für Bundesligaspiele.

+++ "Es klingt etwas absurd, wird aber langsam real: Nach dem US-Repräsentantenhaus hat nun auch der Senat einem Verbot von TikTok in den USA zugestimmt – wenn das Unternehmen nicht innerhalb eines Jahres an US-Amerikaner:innen verkauft wird", schreibt zum Beispiel Markus Beckedahl, bekannt als ehemaliger Kopf von netzpolitik.org, nun auf seinem neuen Auftritt, wo er der sich jüngst zuspitzenden Entwicklung eine Einschätzung hinzufügt. Die Kernargumente lauten, fasst er zusammen: Wer Zugriff auf Verbindungsdaten hat, kann viel über Menschen herausfinden. Und die algorithmischen Entscheidungssysteme sind intransparent. "Damit können Desinformation effektiv verbreitet und Stimmungen manipuliert werden." Allerdings, so seine Einschätzung: "Aus deutscher / EU-Sicht treffen die beiden Argumente" gegen das chinesisch kontrollierte TikTok "auch auf US-Plattformen zu".

+++ Dass die Sender und Verlage ihre "besten Leute" auf Social-Media-Plattformen schicken sollte, weil man sie durch Rückzug nicht zum Besseren verändern könne: Das ist eine These von Moderator und Podcaster Micky Beisenherz. Er vertrat sie bei einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (epd Medien), also auf einem kleinen Nebenschauplatz der großen medienpolitischen Debatten.

+++ Was von TikTok im Alltag ankommt und der Plattform ihre lebensweltliche Bedeutung verpasst, sind auch: Inhalte. Oder Inhalte, die TikTok zugeschrieben werden. "Tiktok ist gemacht für Gerüchte. (…) Im cross-medialen Dschungel der Plattform geht der Ursprung des Gerüchts verloren", heißt es bei freitag.de. Anlass für den Text ist, dass die Berliner Bildungssenatorin eine eilige Mail an die Berliner Schulen mit der Warnung vor den Folgen des (komplett ausgedachten) "National Rape Day" verschickt hat. In einem Video soll eine Gruppe Männer den 24. April dazu ausgerufen haben. Dass es dieses Video je gab, darf bezweifelt werden. Was es aber gibt, sind tausende von Reactionvideos – und damit Warnungen vor einem Märchen, das dadurch in den Status einer sich potenziell selbsterfüllenden Prophezeiung versetzt werden könnte.

+++ Wer von den Promi-Talkerinnen und -Talkern in einer Umfrage die besten Kopfnoten bekam, weiß dwdl.de.

+++ Bei den "Simpsons", also in der Trickserie, ist der Tod einer Figur zu betrauern, die von Staffel 1 an dabei war: Larry, Stammgast bei Moe. Johannes Schneider widmet ihm bei Zeit Online einen Nachruf.

Am Freitag schreibt das Altpapier Ralf Heimann.

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