Programmsprecherinnen Die Gesichter des DDR-Fernsehens

09. Dezember 2021, 10:51 Uhr

Für viele war es ein Traumberuf: Ansagerin beim Fernsehen. Man hatte allabendlich ein Millionenpublikum, verdiente gut und stand mit den Mächtigen auf vertrautem Fuß.

"Wir waren die Visitenkarte des Fernsehens. Und darauf wurde viel Wert gelegt", erinnert sich Monika Unferferth, die 1966 ihre Karriere als Programmsprecherin beim Fernsehen der DDR begonnen hatte. Ein ganzer Stab kümmerte sich fortwährend um die "Schönen von Adlershof": Kosmetikerinnen, Friseusen, Masken- und Kostümbildnerinnen. "Wir sind ringsum betreut worden, und zwar sehr, sehr liebevoll." "Abends kommen die Sterne", dichtete damals der Satiriker Hansgeorg Stengel. "Sie strahlen am niemals bewölkten Bildschirm-Firmament aus kosmetischer Ferne. Sie heißen Gerlind, Margot, Monika, Petra und so weiter. Wenige waren berufen, zu viele wurden auserwählt. Doch das nie verstummende begeisterte Zuschauerecho scheint den Fernsehadministratoren und ihren hinreißenden Geschöpfen recht zu geben..."

"Gute Bekannte in der Wohnstube"

Ein winziger und – zumindest in den Anfangsjahren des Fernsehens schwül-heißer Raum mit einem Tisch und einem Stuhl – das war die Bühne der Fernsehansagerinnen, die in der DDR "Programmsprecherinnen" hießen. Von dieser Bühne aus führten sie von 1952 bis 1990 zuverlässig durch das Programm des DDR-Fernsehens und wurden mit der Zeit "zu guten Bekannten in der eigenen Wohnstube". "Mit der Professionalität, mit der im DDR-Fernsehen angesagt wurde, konnten wir uns international messen lassen", glaubt Andrea Horn, von 1979 an Programmsprecherin beim DFF.

Petra Kusch-Lück 3 min
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Ansagerinnen in der DDR hatten eine journalistische Ausbildung und Sprecherziehung, erzählt Petra Kusch-Lück in einer Runde der prominenten DDR-Ansagerinnen.

MDR FERNSEHEN Mi 03.10.2007 20:15Uhr 02:31 min

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Bei Ansagen unterhaltsamer Sendungen gaben sich "die Damen ohne Unterleib" vertraulich-locker, etwas geheimnisvoll vor Krimis und Spionagefilmen und stets würdig und ernst, wenn sie den Zuschauern Direktübertragungen von Parteitagen oder "aktuell-politische" Magazine nahezubringen versuchten. Stereotyp hieß es beispielsweise immer: "Und nun bitten wir um Ihre Aufmerksamkeit für die Sendung 'Der schwarze Kanal' von und mit Karl Eduard von Schnitzler."

Der Traum vom Fernsehstar auf dem Solidaritätsbasar

TV-Ansagerin und Moderatorin Andrea Horn
TV-Ansagerin und Moderatorin Andrea Horn Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die wenigen Stellen als Fernsehansagerin waren von Anfang an heiß begehrt. Versprach eine TV-Karriere doch einen gewissen Ruhm und gut bezahlt war die Tätigkeit obendrein. Meist gingen um die 3.000 Bewerbungen für eine einzige zu besetzende Stelle im Fernsehzentrum Berlin-Adlershof ein.

Fürs Fernsehen entdeckt wurden ab Mitte der 60er-Jahre viele Ansagerinnen (wie etwa Carmen Nebel, Cornelia Nossek oder Andrea Horn) übrigens auf dem "Solidaritätsbasar der Berliner Journalisten", der alljährlich auf dem Alexanderplatz abgehalten wurde. Gegen eine kleine Solidaritätsspende konnte man sich dort vor eine Kamera setzen und einen Ansagetest machen. Wer den bestanden hatte, auf den warteten allerdings beschwerliche Monate, ausgefüllt mit Sprecherziehung und Kameratests. Derweil sich die Genossen der Staatssicherheit daran machten, das Privatleben der künftigen Fernsehansagerin gründlich unter die Lupe zu nehmen.

Auswendiglernen war Pflicht

Monika Unferferth
Monika Unferferth Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Arbeit selbst war alles andere als ein vergnüglicher Zeitvertreib. "Auswendiglernen war Pflicht", erinnert sich Monika Unferferth. "Schnell lernen und schnell vergessen." Dabei sollte die Ansage natürlich und unverkrampft klingen, als sei sie "von Herzen gekommen", sagt Renate Hubig, von 1968 bis 1973 Programmsprecherin in Adlershof. "Wie du in der DDR nicht das Konto überziehen durftest, durftest du keinen Fehler machen, sonst gab es ein Donnerwetter." Sie selbst wurde einmal zum Verfassen eines Aufsatzes über "sozialistische Ansagerinnen" verdonnert, weil sie bei der Ankündigung eines Aufmarsches zum 5. Jahrestag des sogenannten "antifaschistischen Schutzwalles" die Mundwinkel verzogen haben soll.

Die größte Schwierigkeit bestand für die Ansagerinnen jedoch im Verlesen seitenlanger Namenslisten, etwa sowjetischer Generale, die der DDR gerade einen Besuch abstatteten. Die Ansagerin Andrea Horn: "Ich kann mich erinnern, dass wir im 2. Programm Kurznachrichten gelesen haben. Das waren oft mehr Namen als Ereignisse, und ich betete immer: Versprich dich nicht, überlies ja keinen dieser Namen."

Unerwünschte Worte

Ab den 70er-Jahren durften die Programmsprecherinnen ihre Texte, die in den Jahrzehnten zuvor ausschließlich von Redakteuren verfasst worden waren und sich nicht selten als unsprechbar erwiesen hatten, selbst schreiben. Die Texte wurden vom zuständigen Bereichsleiter eingesammelt und zwei Tage vor dem jeweiligen Ansagetermin mit eingefügten Korrekturen an die Damen zurückgegeben.

Die Texte durften nun nicht mehr verändert werden. Es ging in den allermeisten Fällen um Lappalien. Einmal durfte das Wort "Bananen" nicht in der Moderation auftauchen, ein andermal waren die Worte "Weihnachten" und "Weihnachtsengel" plötzlich unerwünscht.

Auf Mielkes Armen

Die schönen jungen Damen aus dem Fernsehen erfreuten sich natürlich auch der nicht in jedem Falle angenehmen Aufmerksamkeit der Mächtigen im Land. Zum einen konnten die alternden SED-Granden Karrieren befördern. So wurde damals gemunkelt, dass Politbüromitglied Günter Mittag lange Jahre die Programmsprecherin Petra Kusch-Lück protegierte, weshalb diese nicht nur Ansagen zur besten Sendezeit, sondern auch eigene Showprogramme bekommen habe. Zum andern hatten die "Schönen von Adlershof" immer wieder auch Festlichkeiten hoher Genossen zu schmücken, wie sich die Ansagerin Renate Hubig erinnert. Eines Tages wurde sie von der Intendanz aufgefordert, sich zwecks Moderation eines Estradenprogramms umgehend zum Schloss Hubertusstock zu begeben. Dort wurde sie bereits erwartet – von Stasi-Chef Mielke und dessen Jagdgesellschaft. "Mielke schnappte mich, trug mich quer durch den Saal zur Bühne und johlte und freute sich."

"Bedank dich für die schöne Zeit…"

Als am 31. Dezember 1991 das Programm des DFF eingestellt wurde, verloren neben 10.000 anderen Angestellten auch die Ansagerinnen, von denen einige sich einen Namen als Entertainerinnen machen konnten und gar zu Fernsehlieblingen gekürt worden waren, ihre Arbeit. "Ich dachte, das sei der Untergang des Abendlandes", erinnert sich Andrea Horn an jene Monate. "Als ich mich einigermaßen erholt hatte, sagte ich mir: 'Bedank dich für die gute Zeit'!"

Die meisten der älteren Programmsprecherinnen zogen sich nun ins Privatleben zurück, die jüngeren fanden neue Stellen beim Fernsehen. Die Tätigkeit der Ansagerin galt zu diesem Zeitpunkt freilich schon als Auslaufmodell. Nach und nach verzichteten die Sender auf die Ansage ihres Programms. Zum letzten Mal im deutschen Fernsehen führte Ansager Dénes Törzs am 31.12.2004 die Zuschauer am Silvesterabend durch das Programm des NDR. "Ansagen kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – bei dem Tempo", resümiert Andrea Horn nicht ohne Wehmut. "Deshalb wurden sie ja auch wegrationalisiert – als Programmbremse. Dem Fernsehen fehlt aber jetzt das Freundliche, Verbindliche, das Lächeln."

(Zuerst veröffentlicht am 15.12.2010)

Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise | 14. Juni 2020 | 22:25 Uhr