Die Honecker-Verschwörung
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07. Juli 2022, 11:29 Uhr
Spätestens im Sommer 1989 wackelte das politische System um Erich Honecker. Der Ruf nach Reformen, nach Glasnost und Perestroika, wurde immer lauter. Am 18. Oktober 1989 musste Erich Honecker zurücktreten. Zu Fall brachten den mächtigsten Mann der DDR eine schwere Krise im Land sowie einige Mitglieder des Politbüros, die im Geheimen seine Absetzung planten.
Viele DDR-Bürger hatten nach der Fälschung der Kommunalwahl im Mai 1989 jegliches Vertrauen in den Staat verloren. Es bilden sich immer mehr oppositionelle Gruppen. In den Nachbarländern ČSSR und Polen gingen die Menschen auf die Straße für mehr Freiheit und Demokratie. In Ungarn wurden die Grenzkontrollen gelockert. Das blieb auch in der DDR nicht verborgen. Der Wunsch nach Freiheit wurde immer größer: Es folgte eine Welle von Ausreiseanträgen, schon vor den Sommerferien hatten Zehntausende das Land verlassen. Aber die Staatsregierung der DDR verschloss sich allen Reformbestrebungen. Dabei brodelte es auch innerhalb der SED.
Rätselraten über Reaktion Honeckers
Im Sommer und auch Anfang Herbst 1989 rätselten nicht nur SED-Mitglieder darüber, wann das Politbüro zur Situation im Lande Stellung nehmen würde. Seit Erich Honecker am 7. Juli 1989 krank von der Tagung der RGW-Staaten (RGW: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) in Bukarest zurückgekehrt war, hielt das Schweigen der Führung an. Der Generalsekretär selbst machte zunächst Familienferien, anschließend ging er in den Genesungsurlaub. Fast drei Monate, von Anfang Juli bis September 1989, war Erich Honecker auf Tauchstation. Aber warum schwieg in dieser Zeit auch das gesamte SED-Politbüro?
Alles wartet auf Weisungen des Staatsratsvorsitzenden
Egon Krenz erklärt rückblickend, dass das ganze System in der DDR auf den Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär zugeschnitten war. Und der war nun plötzlich und unerwartet durch Krankheit ausgefallen. Im Politbüro übernahm niemand die Initiative. Man wartete ab und sondierte vorsichtig im Geheimen nach Möglichkeiten, eine Allianz zur Ablösung Honeckers zu schmieden.
Respekt vor Honeckers antifaschistischer Lebensleistung
In kommunistischen Parteien galten strenge Regeln mit harten Strafen für sogenanntes "Sektierertum". Also war höchste Vorsicht geboten, zumal wenn es um die Gewinnung von Mehrheiten zur Absetzung eines Parteichefs ging. Für Krenz, als den sogenannten "Kronprinzen", gab es jedoch noch einen anderen Grund des Zögerns: die antifaschistische Lebensleistung seines Chefs Erich Honecker. Das war wohl das größte Hindernis für den einstigen FDJ-Vorsitzenden, die Absetzung seines Ziehvaters zügig auf die Tagesordnung zu setzen.
Es war Politbüromitglied Gerhard Schürer, der ihn während eines geheimen Treffens Anfang September zum Handeln drängte. "Egon, ich sehe keine andere Chance, als dass der Generalsekretär abgesetzt wird", beschwor ihn Schürer. "Und ich möchte mich gern opfern, das zu machen. Ich bin auch bereit zurückzutreten, damit jeder weiß, dass ich es nicht für mich mache, dass ich keinen Posten haben will. Ich will dem Politbüro vorschlagen, den Generalsekretär von allen Funktionen abzulösen." Krenz befreite sich daraufhin von seinen Skrupeln: "Es war nicht mehr das Schicksal von Erich Honecker, das mich bewegte, es ging um das Schicksal der DDR."
Krenz braucht Verbündete
Doch Krenz wusste natürlich auch: Er braucht für diesen Schritt weitere Verbündete. Verbündete, die auch einen direkten Draht nach Moskau haben. Er gewann - nach etlichen weiteren geheimen Gesprächen - für seine Pläne Ministerpräsident Willy Stoph und Stasi-Chef Erich Mielke unter den alten Genossen und die Chefs der SED Bezirksleitungen von Berlin und Karl-Marx-Stadt Günter Schabowski und Siegfried Lorenz unter den Jüngeren.
Am meisten aber wurde Krenz unterstützt von seinem Freund Wolfgang Herger, der die Abteilung für Sicherheitsfragen im Zentralkomitee der SED leitete. "Das Wichtigste an diesem Montag war die unmittelbare Vorbereitung auf die morgige Sitzung des Politbüros", notierte Herger unter dem Datum des 16. Oktober 1989 in sein Tagebuch. "Hoffentlich fällt morgen keiner um. Die Mehrheit ist zunächst knapp genug."
Gorbatschow: "Ich wünsche dem Unternehmen viel Erfolg"
Kurz vor dem festgelegten "Tag X", der Sitzung des Politbüros am 17. Oktober 1989, auf der die Ablösung Honeckers beschlossen werden sollte, war der Gewerkschaftsboss Harry Tisch nach Moskau gereist. Dort hatte er Michail Gorbatschow getroffen und ihn von der geplanten Ablösung des greisen und starrsinnigen Honecker unterrichtet. Und der Vorsitzende der KPdSU wünschte dem Unternehmen viel Erfolg. Das Schicksal Erich Honeckers war damit besiegelt.
Am 18. Oktober 1989 wurde der DDR-Staatsratsvorsitzende und SED-Parteichef Erich Honecker "auf eigenen Wunsch" von allen Ämtern entbunden. Egon Krenz übernahm dessen Stelle als Generalsekretär der SED. Am 24.10.1989 wählte die Volkskammer Krenz auch zum Staatsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates.
Über dieses Thema berichtet MDR Zeitreise auch im TV: 29.10.2019 | 11:00 Uhr