Jugendschützer Zweifel an Online-Spiel "Blauer Wal"
Hauptinhalt
21. April 2017, 19:09 Uhr
Seit Monaten sorgen Berichte über ein russisches Online-Spiel für Aufsehen, durch das Jugendliche in den Selbstmord getrieben worden sein sollen. Doch Medienpädagogen bezweifeln, dass das Spiel überhaupt existiert und halten die Berichte darüber für Fake-News.
Medienpädagogen und Jugendschützer melden Zweifel an der Existenz des russischen Online-Spiels "Blauer Wal" an. Von der in Österreich ansässigen Saferinternet.at-Initiative hieß es auf MDR-Anfrage, zahlreiche Untersuchungen in mehreren Ländern hätten keinerlei Beweise für eine Existenz des Spiels gebracht. Man gehe vielmehr von einem Hoax – einer Falschmeldung – aus, sagte Matthias Jax von Saferinternet.at. Man schließe damit aber nicht aus, dass es in sozialen Netzwerken wie Facebook oder VKontakte zahlreiche Gruppen gebe, in denen sich selbstmordgefährdete Jugendliche austauschten und ihresgleichen suchten.
"Bilder waren nur Bluff"
Die russische Zeitung "Nowaya Gazeta" hatte im Mai 2016 berichtet, dass durch das Spiel mehrere Kinder und Jugendliche in den Selbstmord getrieben worden seien. Eine Darstellung, die der bulgarische Journalist Georgi Apostolov stark anzweifelt.
Apostolov, der für das bulgarische Zentrum "Sicheres Internet" (SIC) arbeitet, untersucht seit knapp zwei Jahren Meldungen zum vermeintlichen Online-Spiel "Blauer Wal". Man habe in sozialen Netzwerken zwar Jugendliche ausfindig gemacht, die sich als angebliche Administratoren ausgegeben hätten, für die Existenz des Spiels aber keinerlei Beweise gefunden. Bilder von angeblichen Mitspielern hätten sich bei näherer Untersuchung als Bluff erwiesen, sagte Apostolov dem MDR.
"Nowaya Gazeta" mit eigener Geschichte
Die in der Sache recherchierende Journalistin Galina Mursalijewa, von der russischen Zeitung "Nowaya Gazeta" hält dagegen an ihren Berichten fest. Durch ihre Ermittlungen sei "eine sehr große Zahl von Kindern durch die Polizei oder Psychologen gerettet" worden, sagte sie am 21. April 2017 dem MDR. Ein Kind habe sogar erklärt "auf der Zielgerade des Spiels gerade noch gerettet worden zu sein". In einem MDR-Interview im März 2017 hatte Mursalijewa bereits erklärt, dass beim "Blauen Wal" Jugendliche über 50 Tage lang 50 verschiedene Aufgaben gestellt bekämen. Letzte Aufgabe sei, dass die Beteiligten Selbstmord begehen sollten. Mursalijewa sagte, sie habe von betroffenen Eltern erfahren, dass ihre Kinder sich am Spiel beteiligt und damit in den Selbstmord getrieben worden seien. Sie gehe von rund 130 jugendlichen Opfern aus.
Außerdem habe sie mit einem Administrator des Spiels ein Interview geführt, in dem dieser selbst zugegeben habe, 17 Jugendliche in den Tod getrieben zu haben. Der Administrator sei im vorigen November in St. Petersburg verhaftet worden.
Keine Details zu Ermittlungen
Russlands Oberstes Ermittlungskomitee hält sich in der Sache bedeckt, wenngleich zahlreiche russische Medien über die Festnahme berichtet hatten. Auf MDR-Anfrage bestätigte die Behörde lediglich die Ermittlungen gegen den 21-jährigen Mann, dem vorgeworfen wird, Gruppen im sozialen Netzwerk mit selbstmordgefährdeten Jugendlichen betrieben und verwaltet zu haben. Man wolle aber keine Details zu den Ermittlungen nennen, um sie nicht zu gefährden.
Hohe Selbstmordrate in Russland
Die hohe Selbstmordrate unter Jugendlichen in Russland gilt seit Jahren als Problem. Nach UNICEF-Angaben lag sie im Jahr 2011 dreimal höher als im weltweiten Durchschnitt. Über 1.700 russische Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren würden jährlich Selbstmord begehen. In russischen Presseberichten stellte das Innenministerium in Moskau unlängst aber klar, dass man nur bei einem Prozent der Selbstmorde davon ausgehe, dass sie durch Internet-Gruppen motiviert worden seien.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: artour | 13.08.2015 | 22:30 Uhr