Migrationsforscher Thomas Faist
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Doppelpass-Debatte Staatsbürgerschaft light

02. Mai 2017, 16:29 Uhr

Warum sollen denn Menschen in Deutschland keine zwei Pässe haben, fragt der Migrationsforscher Thomas Faist. Die Frage des doppelten Wahlrechts könnte man ganz einfach regeln.

Heute im Osten: Die Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit ist seit dem Referendum in der Türkei wieder im Mittelpunkt der deutschen Diskussion. Insbesondere, weil viele türkischstämmige Doppelpässler für das Referendum und damit für mehr Macht für Präsident Erdogan gestimmt haben, obwohl sie in Deutschland leben. Viele Politiker fordern, die Doppelpässler sollen eine Staatsangehörigkeit abgeben. Wäre es damit getan?

Thomas Faist: Da wird viel heiße Luft gemacht. Ich sehe das große Problem nicht, weshalb man in der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit etwas regeln muss. Man will vermutlich nur den populistischen Strömungen den Wind aus den Segeln nehmen, denn so eine Staatsangehörigkeit kann ja emotional aufgeladen sein. Sie kann den Menschen auf der anderen Seite nützlich sein. Nämlich, wenn ich mir noch etwas verspreche von ihr. Stichwort: Reisefreiheit, Erben, Eigentum kaufen. Warum sollen diese Menschen denn nicht zwei Staatsangehörigkeiten haben? Das mit dem Wahlrecht kann man doch trotzdem limitieren. So wie das in anderen Ländern gemacht wird, wo man sagt: Dort, wo ihr nicht wohnt, dürft ihr auch nicht wählen - Staatsbürgerschaft light ist das.

Das heißt, vielen geht es um ganz praktische Vorteile durch zwei Pässe? Gar nicht um das doppelte Wahlrecht?

Was die politische Überinklusion betrifft - dass man also über die Gesetze in mehreren Ländern mitbestimmt - führen wir eine abgehobene Debatte. Da werden Ängste produziert, die so bisher kaum eingetreten sind. Etliche Länder haben Vorkehrungen gegen diese Überinklusion getroffen. Wenn man zum Beispiel die venezolanische und die spanische Staatsbürgerschaft hat, darf man nicht in Spanien wählen, wenn man in Venezuela lebt. Das zeigt, dass man das ganz einfach regeln kann, wenn man diese Ängste wirklich hat. Die Frage der Unterinklusion - also wenn Menschen keinen Einfluss auf die Gesetzgebung des Landes haben, in dem sie leben, weil sie keine Staatsbürger sind - die ist gar nicht abgehoben. Das ist ein Problem.

Warum tut sich Deutschland so schwer mit der doppelten Staatsbürgerschaft?

Dafür gibt es historische Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte man die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich ab. Das ist eigentlich in allen gespaltenen Nationen so, etwa in Korea oder China. Man möchte nicht die Staatsangehörigkeit des anderen Staates aufwerten und anerkennen, dass das eigene Land geteilt ist. Bis Anfang der 1990er Jahre war es auch in Deutschland undenkbar, zwei Pässe zu akzeptieren. Er ist heute immer noch nicht generell erlaubt, die Zahl der Ausnahmebestimmungen ist in den letzten Jahrzehnten aber immer weiter angestiegen und die Entwicklung in Deutschland liegt eher im globalen Trend.

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Etwa 1,7 Millionen Menschen leben in Deutschland, die Bürger zweier Staaten sind. Und die meisten von ihnen kommen nicht aus der Türkei.

Fr 28.04.2017 16:03Uhr 02:16 min

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Es gibt den Vorschlag, einen sogenannten Generationenschnitt einzuführen. Damit soll verhindert werden, dass die Staatsbürgerschaft über viele Generationen hinweg weitervererbt wird, ohne dass die Nachkommen noch einen Bezug zum Herkunftsland hätten. Was halten Sie davon?

Der Generationenschnitt ist ja nicht neu. Es gibt etliche Länder, die diese Regelung haben. Die sagen, es gibt einen Schnitt nach einer Generation, nach zwei oder drei. Das ist außerhalb Deutschlands schon lange Praxis. Ich bin schon oft eingeladen worden, diese Praxis zu kommentieren und habe eigentlich nichts einzuwenden. Aber ich habe auch immer gesagt: Wenn ihr damit türkische Staatsbürger meint, dann sagt das bitte auch. Denn der große Elefant im Raum sind die türkischen Migranten. Und darüber redet keiner.

Dabei stellen sie gar nicht die größte Gruppe unter den Doppelpässlern. Vor ihnen liegen nämlich noch die Russischstämmigen. Die werden in der Debatte aber gar nicht angesprochen.

Das liegt daran, dass die Bindung der deutsch-russischstämmigen Menschen in die Herkunftsregion relativ schwach sind, weil oft ganze Familien migriert sind. Bei Türkischstämmigen sind die familiären Bindungen zum Herkunftsland in der Regel noch stärker. 

Warum wird die Diskussion um die doppelte Staatsangehörigkeit so emotional geführt?

Die Symbolik, die mit der doppelten Staatsangehörigkeit einhergeht, ist nicht unerheblich. Es geht eben nicht nur um die Frage: "Wer gehört zu uns?" Es geht auch immer um die Frage: "Wer sind wir?" Das betrifft immer gesellschaftliche Leitbilder. Und ich denke, die Diskussion um die doppelte Staatsangehörigkeit wird deshalb immer wieder aufflammen.

Thomas Faist ist Professor für Entwicklungs- und Migrationssoziologie an der Universität Bielefeld. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der doppelten Staatsbürgerschaft.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im:
Radio | 29.04.2017 | 07:00 Uhr