Protest gegen Einschränkung der Medienfreiheit Opposition besetzt Rednerpult im Parlament
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19. Dezember 2016, 13:48 Uhr
Ab 2017 will das polnische Parlament die Berichterstattung über seine Arbeit sowie die Anwesenheit von Journalisten im Parlamentsgebäude einschränken. Journalisten protestieren dagegen und rufen einen "Tag ohne Politiker" aus. Doch der Protest nimmt eine unerwartete Wendung - ein Teil der Abgeordneten schließt sich an und besetzt das Rednerpult im Parlament.
Eigentlich wollten die wichtigsten Zeitungen, Internetportale, Fernseh- und Radiosender Polens am 16. Dezember 2016 gänzlich darauf verzichten, Politiker zu zeigen, einzuladen oder zu erwähnen. In den Zeitungen wurden als Zeichen des Protests ganze Abschnitte leer gelassen. Auf Facebook wiesen die Redaktionen außerdem mit speziell geänderten Titelbildern auf die Aktion hin. Doch am Nachmittag gaben sie ihren Boykott teilweise auf, nachdem die Abgeordneten der Opposition sich der Protestaktion angeschlossen und das Rednerpult im Sitzungssaal besetzt hatten.
Einschränkung der Berichterstattung aus dem Sejm
Stein des Anstoßes sind neue Regelungen, die auf Betreiben der regierenden PiS-Partei ab dem 1. Januar 2017 gelten sollen. Sie würden die Arbeit und Bewegungsfreiheit von Journalisten innerhalb des Parlaments massiv einschränken. Film- und Tonaufnahmen im Sejm wären künftig fast gänzlich verboten. Nur fünf ausgewählten Fernsehsendern wird das Privileg eingeräumt, live aus dem Parlament zu berichten, allerdings dürfen sich die Reporter nicht wie bisher im Parlamentsgebäude frei bewegen, sondern müssen in einem speziell ausgewiesenen Bereich bleiben.
Alle übrigen Redaktionen dürfen lediglich zwei feste Parlaments-Korrespondenten akkreditieren, die allerdings nur wechselweise aus dem Sejm berichten dürfen - und zwar sämtlich ohne Aufnahmegeräte. Interviews mit Abgeordneten können künftig nur noch in einem ausgewiesenen Bereich geführt werden, für den außerdem eine vorherige Reservierung nötig sein wird. Der einzige Bereich, zu dem Journalisten auch in Zukunft ungehindert Zutritt haben werden soll das künftige Pressezentrum sein, das allerdings in einem Nebengebäude untergebracht wird. Dort können Journalisten eine Live-Übertragung aus dem Plenarsaal sehen. Dies ist aber eigentlich überflüssig, denn die Parlamentsdebatten werden auch jetzt schon im Internet übertragen.
Opposition schließt sich dem Protest an
Zunächst verlief die Protestaktion der Journalisten wie geplant - alle größeren Medienportale kamen ohne Nachrichten aus der großen Politik aus, wichen auf das Weltgeschehen oder vorweihnachtliche Themen aus. Doch am Nachmittag schloss sich ein Teil der Parlamentarier dem Protest an: Die Abgeordneten von drei Oppositionsparteien, die mit den neuen Regeln für die Berichterstattung nicht einverstanden sind, besetzten das Rednerpult. Dabei riefen sie "Keine Zensur", "Medienfreiheit" und "Demokratie". Außerdem sangen sie die polnische Nationalhymne. Mehrere Abgeordnete übertrugen das Geschehen mit Hilfe ihrer Mobiltelefone in den sozialen Netwerken - gewissermaßen an Stelle der ausbleibenden und bald schon ausgesperrten Medienvertreter.
Die Parlamentssitzung wurde daraufhin offiziell vom Sejm-Marschall unterbrochen. Die Abgeordneten der PiS-Partei verließen des Sitzungssaal, die protestierenden Abgeordneten der Opposition hielten das Rednerpult weiterhin besetzt. Der Vorsitzende der regierenden PiS, Jarosław Kaczyński, verurteilte die Blockade in scharfen Worten und kündigte Konsequenzen an. "Wir lassen uns nicht terrorisieren", sagte er. Sollte die Blockade länger andauern, könte das ernsthafte Konsequenzen haben, da sich dadurch auch die Verabschiedung des Staatshaushalts für 2017 verzögert.
Stinkefinger und andere Delikte
Mit der Neuregelung verlieren die Journalisten die Möglichkeit, Politikern spontan Fragen zu stellen. Künftig werden sie darauf angewiesen sein, dass ein Politiker ihnen ein Interview geben will und sich dazu mit ihnen vorab verabredet. Politiker, die aus irgendeinem Grund unter Kritik oder Beobachtung der Öffentlichkeit stehen, können sich sehr leicht vor den Medien und damit auch vor der Kontrolle der Öffentlichkeit verstecken. Durch das Verbot von Film- und Tonaufnahmen werden außerdem viele kleinere und größere Affären und Fehlverhalten der Parlamentarier nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen können. In der Vergangenheit wurde zum Beispiel durch Reporter im Parlament aufgezeigt, dass Abgeordnete für abwesende Kollegen mit abgestimmt haben. Aber auch einfaches Fehlverhalten von Abgeordneten wird künftig wohl verborgen bleiben. Zum Beispiel das der Abgeordneten Krystyna Pawłowicz, die im Plenarsaal behaglich einen Salat verspeiste. Oder der Stinkefinger eines Abgeordneten der PiS-Partei, den er der Opposition hinstreckte. Auch der polnische Präsident Duda ist schon "Opfer" der Parlaments-Berichterstattung geworden - er wurde dabei gefilmt, wie er in seiner Parlaments-Loge ein Nickerchen machte.
Bessere Bedingungen für Journalisten?
In einer eigens herausgegebenen Broschüre schreibt die Parlamentsverwaltung, dass die Pressevertreter dank der neuen Regelungen ihrer Arbeit effektiver und unter professionelleren Bedingungen nachgehen können. Im Übrigen verweist die Verwaltung darauf, dass ähnliche Regelungen in anderen europäischen Parlamenten durchaus üblich sind. Die Pressesprecherin der PiS-Partei, Beata Mazurek, zeigt sich mit den Maßnahmen einverstanden: "Ich finde nicht", sagt sie, "dass Journalistenrechte eingeschränkt werden."
Bereits im November 2016 hatten jedoch 28 Chefredakteure von polnischen Presseorganen einen offenen Brief an den Sejm-Marschall Kuchciński geschrieben und gegen die Einschränkungen und Zensurversuche protestiert. Bislang haben sie keine Antwort darauf erhalten. Aus diesem Grund haben sich die Medienvertreter zu der heutigen Protestaktion entschlossen.
Nach Ansicht der Medienvertreter verstoßen die neuen Regelungen gegen Artikel 61 der polnischen Verfassung. Laut diesem Artikel dürfen Bürger Ton- und Bildaufnahmen von den "Sitzungen der in allgemeinen Wahlen gewählten Politiker" anfertigen. Dieses Recht dürfe nur per Gesetz eingeschränkt werden, die derzeitigen Regelungen haben aber keinen Gesetzescharakter. Es handelt sich um Regelungen in der Geschäftsordnung des Parlaments. Der Ombudsmann für Bürgerrechte, Adam Bodnar, betont denn auch: "Ich hoffe, dass diese Maßnahme, die gegen die Meinungsfreiheit und die Berufsfreiheit von Journalisten verstößt sowie - und das möchte ich besonders betonen - gegen das Recht auf Information, noch verworfen wird."