FAKT | 25.07.2017 Details zur Briefwahlaffäre in Stendal
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13. Februar 2018, 13:19 Uhr
Mit der Briefwahlaffäre wurde die Lokalpolitik in Stendal unrühmlicher Weise bundesweit bekannt. Hunderte Stimmen hat ein Ex-CDU-Stadtrat ergaunert, um sich durch die Kommunalwahl 2014 in den Stadtrat wählen zu lassen. Die Methoden der Stimmenbeschaffung sind bizarr. Erstmals im Interview: Ein Wähler, auf dessen Intervention die Affäre ins Rollen kam und eine Zeugin, die zusammen mit ihrer Firmenchefin bei der Stimmenbeschaffung half.
Erstmals äußert sich ein maßgeblich Betroffener des Stendaler Wahlbetrugs von 2014 im Fernsehen. Die Aussage von Florian Müller lösten damals die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen des bisher fast beispiellosen Skandals aus. Der damals 25-Jährige hatte im Wahllokal erfahren, seine Stimmen seien schon als Briefwahl registriert. Es stellte sich heraus, dass die Wahlergebnisse der Stadtratswahl in großem Stil manipuliert worden waren.
Ich bin am 25. Mai 2014 morgens ins Wahllokal gegangen, hatte auch noch beide Wahlscheine dabei. Und dort wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht an dem Tag wählen dürfe.
Wahlhelfer legten ihm, so beschreibt es Müller im Gespräch mit FAKT, eine Vollmacht vor, wonach er jemanden beauftragt habe, seinen Wahlschein für ihn abzuholen. Der Name der angeblich beauftragten Person: Mandelkow. Doch Müller ließ die Angelegenheit nicht auf sich beruhen. Wochen nach der Wahl legte er im Stendaler Rathaus eine eidesstattliche Versicherung ab. Seine angebliche Unterschrift unter der Vollmacht stamme nicht von ihm, sie müsse gefälscht sein, erklärt er. Der Wahlleiter droht darauf hin, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.
Die eidesstattliche Erklärung und die Drohung des Wahlleiters lösen hektische Aktivitäten aus. Zwei Stunden nach der Abgabe der Erklärung hätten ihn zwei junge Frauen aufgesucht, berichtet Müller. Sie hätten von einer Verwechslung gesprochen. FAKT-Recherchen ergaben: Die beiden Frauen waren Abgesandte einer in Ostdeutschland bekannten Unternehmerin. Es handelt sich um die Suppenfabrikantin Antje Mandelkow. Weil sich Müller von den beiden Besucherinnen nicht von deren Version der Geschichte überzeugen ließ, bekam er am folgenden Tag Besuch von Frau Mandelkow persönlich. Diese habe davon gesprochen, dass eine Angestellte sich an ihr rächen wolle, sagt Müller.
Der Fall Florian Müller war einer von 150 Fällen von Wahlmanipulationen, bei denen Stimmen für die Kommunalwahlen gefälscht wurden. Wie das ablief, schilderte eine Mitarbeiterin der Suppenfabrikantin. Ihr Name: Yvonne Mächler. Sie sagte FAKT:
Wir sind mit den Vollmachten ins Rathaus, haben dann die Briefwahlunterlagen abgeholt, ins Auto geladen und sind direkt ans Arbeitsamt gefahren. Herr Gebhardt kam raus, und ihm wurde dann der Karton übergeben.
Holger Gebhardt, ehemaliger CDU-Stadtrat in Stendal, steht im Mittelpunkt der Affäre. Er wurde im März 2017 wegen Wahl- und Urkundenfälschung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Gegen das Urteil ging Gebhardt in Revision. Er hatte damals auf ihm übergebenen Stimmzetteln seinen eigenen Namen angekreuzt. Offenbar griff er dabei auch auf Daten des Jobcenters zu, wo er 2014 arbeitete. Denn Florian Müller war damals Leistungsempfänger des Jobcenters und dort mit seiner Unterschrift registriert.
Ich hatte damals drei Thesen gehabt, wie meine Unterschrift in falsche Hände geraten sein könnte. Und die für mich unwahrscheinlichste und dritte war es dann auch gewesen: das Jobcenter in Stenal.
Laut Unterlagen der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Ermittler bei einer Durchsuchung des Hauses von Gebhardt auch Wahlunterlagen für die Kreistagswahlen von 2004 und 2009. Auf einem Wahlschein waren bereits drei Stimmen für den Landtagsabgeordneten Hardy Peter Güssau (CDU) vergeben, der damals auch für den Kreistag kandidierte. Güssau bestreitet bislang eine Beteiligung an dem Betrug. Er will erst im Nachgang davon erfahren haben.
Der Fall beschäftigt derzeit auch einen Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt. In dem Gremium sitzt auch der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel. Er spricht davon, dass es ein "wirklich vielfaches Interaktionsverhältnis zwischen allen Beteiligten gab". Die Rolle der Einzelnen zu klären, werde Aufgabe des Ausschusses und möglicherweise auch weiterer Gerichtsprozesse sein. Striegel spricht von einem Netzwerk, das Wahlfälschung betrieben habe.
Holtmann: Extrem seltener Fall von Wahlfälschung
Der Politologe Everhard Holtmann von der Uni Halle-Wittenberg nennt die Wahlfälschung von Stendal einen Fall, wie er "extrem selten in Deutschland" vorgekommen sei. Dabei seien Briefwahlen noch am leichtesten zu manipulieren. Denn die Unterlagen für die Briefwahl könnten auch über Vertrauenspersonen beantragt werden. Und hypothetisch sei da "das Risiko eingebaut, dass eine Vertrauensperson missbräuchlich mit diesem Vertrauen umgeht".