Kampf gegen Rassismus 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen: Experten sehen noch viel Handlungsbedarf
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22. August 2022, 21:31 Uhr
Im August 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu rassistisch motivierten Anschlägen auf ein Asylheim. Tausende schauten zu, die Polizei war überfordert. Der Kampf gegen Rassismus in Deutschland halte an und man sei noch lange nicht am Ziel, sagt die Integrationsbeauftragte des Bundes, Reem Alabali-Radovan.
- Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung übt scharfe Kritik an der damaligen politischen Reaktion auf die gewaltätigen Vorkommnisse in Lichtenhagen.
- Bundesinnenministerin Faeser schließt sich dem an.
- Flüchtlingsorganisationen fordern zum Schutz der Geflüchteten eine bessere, weniger massenorientierte Verteilung der Menschen.
Diese Woche jähren sich zum 30. Mal die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Im August 1992 belagerten mehrere Tage lang Rechtsextreme gewalttätig ein Asylbewerberheim.
Anlässlich des Jahrestags finden in den kommenden Tagen mehrere Gedenkveranstaltungen statt, so reist unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag nach Rostock.
Integrationsbeauftragte kritisiert damaligen politischen Umgang
Weiterhin äußerte sich die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), zu den Randalen, bei denen Neonazis auch Teile des "Sonnenblumenhauses" in Brand steckten. "Das Ausmaß der rassistischen Ausschreitungen ist bis heute erschreckend", sagte sie am Montag im Deutschlandfunk. Auch die damaligen politischen Reaktionen seien aus heutiger Sicht nur als erschreckend zu bezeichnen.
Damals habe die Bundesregierung mit einer Verschärfung des Asylrechts geantwortet, sagte die Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Über den Rechtsextremismus sei dagegen nicht gesprochen worden, vielmehr sei das Thema "politisch instrumentalisiert" worden.
Die Antirassimusbeauftragte betonte, dass Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland weiterhin ein Problem seien. Die Bundesregierung sei sich einig in der Einschätzung, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die innere Sicherheit sei. Sie verwies zugleich auf spätere rechtsextremistische Anschläge wie die NSU-Mordserie. Gegen diese Strukturen werde heute aber energisch vorgegangen. Das sei der Unterschied zum Jahr 1992.
Der Rechtsextremismus ist auch derzeit die größte extremistische Bedrohung unserer Demokratie.
Nancy Faeser schloss sich ihrer Parteikollegin an und die Gefahren, die von Rechtsextremismus ausgehen nochmals betont. Die Angriffe gehörten nach Faesers Ansicht zu den schlimmsten rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. "Der Rechtsextremismus ist auch derzeit die größte extremistische Bedrohung unserer Demokratie. Die Gefahr von rechts darf niemand unterschätzen", teilte die SPD-Politikerin am Montag mit.
Auf Twitter kritisierte sie Bundesinnenministerin unter anderem die damalige Polizeiarbeit und das Handeln der Politik im Anschluss der Gewaltakte.
Pro Asyl fordert schnellere Geflüchtetenverteilung
Flüchtlingsorganisationen nutzen den Gedenktag, um die Auflösung von Massenunterkünften zu fordern. Noch immer seien Unterkünfte für Geflüchtete Zielscheibe für rassistische Gewalt, erklärten Pro Asyl und die in Berlin ansässige Amadeu Antonio Stiftung am Montag. Um dem zu begegnen, müssten die Heime aufgelöst und Schutzsuchende schnell in Kommunen verteilt werden, forderten sie.
Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisierte, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zwar angekündigt habe, das Konzept der sogenannten Ankerzentren aufgeben zu wollen. Eine Absenkung der maximalen Aufenthaltszeit sei aber nicht vereinbart worden.
Das Beispiel Ukraine zeige was in der Asylpolitik möglich ist, "wenn der politische Wille zum Handeln da ist", erklärten die beiden Organisationen mit Blick auf die oftmals dezentrale Unterbringung der Kriegsgeflüchteten.
Zudem fordern die Organisationen mehr Sensibilität bei der Polizei, eine genauere Statistik und ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt, um die Verfolgung der Täter und Täterinnen sicherzustellen.
Was geschah im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen?
Vom 22. August 1992 bis zum 25. August 1992 kam es im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen rund um die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) für Mecklenburg-Vorpommern zu Demonstrationen und gewalttätige Auseinandersetzungen. Mehrere Tausend Menschen versammelten sich vor dem "Sonnenblumenhaus" und attackierten das Gebäude mit Steinen und Brandsätzen.
Nachdem die Asylsuchenden von dort in Sicherheit gebracht wurden, brannte am 24. August 1992 nach erneuten Anschlägen das Sonnenblumenhaus, in dem zu diesem Zeitpunkt auch 100 vietnamesische Frauen, Männer und Kinder leben. Nur durch Zufall konnten sie einen Durchgang aufbrechen und über das Dach in ein Nachbarhaus fliehen. Aus der Menge vor dem Sonnenblumenhaus schallte ihnen unterdessen immer wieder "Deutschland den Deutschen" und "Wir kriegen euch alle" entgegen.
Die Polizei war von Beginn der Ausschreitungen an überfordert und nicht ausreichend vorbereitet, sodass die Ausschreitungen sich über vier Tage erstreckten.
Bundeszentrale für politische Bildung, ARD
AFP, dpa, epd, ARD, MDR (amu)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 22. August 2022 | 10:18 Uhr