Nach dem Flüchtlingsgipfel Das zähe Ringen um eine atmende Lösung

11. Mai 2023, 14:57 Uhr

Nach dem Bund-Länder-Treffen zur Flüchtlingspolitik am Mittwoch herrscht vor allem seitens der Länder und Kommunen große Enttäuschung. Eine sehnlich erhoffte Grundsatzentscheidung bleibt aus. Die Länder erhalten eine zusätzliche Milliarde für die Unterbringung Geflüchteter, über etwaige weitere Mittel soll Ende des Jahres entschieden werden.

Nikta Vahid-Moghtada
Bildrechte: MDR/Markus Geuther

Dass es ein langer Abend für die Länderchefs würde, zeichnete sich schon am frühen Mittwochnachmittag ab. Erste Statements von Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, die die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vertreten, wurden nach hinten verschoben, ebenso der Beginn der Verhandlungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. "Für ein gutes Ergebnis bleib‘ ich auch ein Stündchen länger", heißt es noch süffisant lächelnd von Wüst, der sich im Vorfeld eine "atmende" Lösung wünscht.

Das Stündchen länger, oder zwei, oder drei, musste er dann auch aussitzen. Wie zufriedenstellend das Ergebnis letztlich für die Länder und Kommunen ausfiel, zeigt sich am Morgen danach. Die Reaktionen sind durchwachsen.

Die Länder haben nicht das bekommen, was sie zuvor vehement gefordert hatten. Sie müssen sich mit dem Spatzen in der Hand zufriedengeben, die Taube auf dem Dach bleibt nach wie vor unerreichbar. Denn: Eine Grundsatzentscheidung über die dauerhafte Finanzierung der Versorgung von Geflüchteten blieb aus. Der Bund bleibt beim schon vor dem Gipfel durchgesickerten Kompromiss, der den Ländern in diesem Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro zusichert, um die Unterbringung von Geflüchteten zu finanzieren. Außerdem soll die Digitalisierung der Ausländerbehörden vorangebracht werden. Vereinbart wurden auch Maßnahmen für beschleunigte Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen. Im November soll dann über etwaige weitere Mittel entschieden werden.

Große Enttäuschung bei den Kommunen

CDU-Chef Friedrich Merz befürchtet am Morgen nach dem Treffen gar eine neue Krise. "Ohne wirksamen Grenzschutz, Druck auf die Herkunftsstaaten und eine echte Rückführungsoffensive schlittert Deutschland in eine neue Migrationskrise", sagte Merz den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Aber vor allem die Kommunen kritisieren die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels. Immer und immer wieder hatten sie in den vergangenen Tagen und Wochen auf die angespannte Lage hingewiesen, auf miserable Unterbringungsmöglichkeiten, auf fehlende Mittel für eine funktionierende Integration. Geholfen hat das Lamento wenig – und groß ist die Enttäuschung. Auch bei Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund, der eine nach wie vor fehlende langfristige Strategie bemängelt.

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels nur als ersten Schritt. Der CDU-Politiker sagte MDR AKTUELL, er freue sich über die zusätzliche Milliarde. Doch das reiche nicht, ein Systemwechsel müsse her. Denn, so Haseloff, die Ministerpräsidenten könnten nicht jedes Mal nach Berlin fahren und betteln. Er pocht weiter auf einen Festbetrag pro Person, die nach Deutschland komme und mahnt die Verantwortung des Bundes an, die Wurzeln des Problems anzugehen und die Migration zu begrenzen.

Krude Debatte um sichere Herkunftsstaaten

Grenzen sichern, vor allem die europäischen Außengrenzen – auch diese Forderung wurde schon vor dem Gipfel laut. So soll verhindert werden, dass überhaupt zu viele Menschen nach Deutschland kommen. Welche Ausmaße die Debatte annehmen kann, zeigte sich ebenfalls schon in den Tagen vor dem Gipfel etwa in kruden Forderungen des AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla, der sich im Mitteldeutschen Rundfunk dafür Aussprach, Länder wie Afghanistan als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Man müsse "die diplomatischen Beziehungen mit solchen Ländern wiederaufnehmen". Verhandeln mit den Taliban also?

Bisher gilt: Wenn ein Staat als sicheres Herkunftsland eingestuft ist, sind Asylanträge von Menschen, die aus diesen Ländern kommen, als "offensichtlich unbegründet abzulehnen". Als sogenannte sichere Herkunftsländer gelten bisher Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.

Einigkeit über Vorgehen an europäischen Außengrenzen

Einigkeit zwischen Bund und Ländern, auch das war schon im Vorfeld des Gipfels klar, herrscht immerhin darüber, dass über die Finanzierungsfragen hinaus grundsätzliche Entscheidungen auf europäischer Ebene angegangen werden müssen. Das ging aus einem gemeinsamen Papier der Länderchefs an die Regierung hervor. Vorrangig geht es um die Wahrung der humanitären und rechtlichen Verpflichtungen, die möglichst frühzeitige Erfassung von Zahl und Status der nach Deutschland kommenden Menschen, eine Beschleunigung der Verfahren und Verwaltungsprozesse im Inland, eine angemessene Unterbringung, Betreuung und Integration der Geflüchteten. Insbesondere Straftäter sollten konsequent abgeschoben werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz will die Zuwanderung verringern. Denn nur so, sagte er am Mittwochabend, könnten auch die Kommunen entlastet werden. Die Bundesregierung plant demnach eine grundsätzliche Reform der deutschen Migrationspolitik. Das bedeutet: schnellere Asylverfahren, mehr Abschiebungen, Grenzkontrollen, Verfahren an den EU-Außengrenzen. "Wir werden sicher nicht zulassen, dass das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt wird", beschwichtigt der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour.

Immerhin einer scheint zufrieden mit dem Ausgang der Verhandlungen: Olaf Scholz. "Wenn man mich am Morgen gefragt hätte, wie es heute ausgeht, dann hätte ich gesagt: genau so", sagte er bei der Pressekonferenz am Mittwochabend.

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MDR (mit Material von dpa)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 11. Mai 2023 | 12:08 Uhr

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