Landeskriminalamt Sachsen: Recherche nach rechtsextremen Gaming-Inhalten
Das Landeskriminalamt Sachsen hat rechtsextreme Gaming-Inhalte im Blick. Das Problem: Es gibt online zu viele Inhalte für zu wenig Personal. Bildrechte: MDR/Denny Ebeling

Anzeigen und eigene Recherche Wie die Polizei gegen rechtsextreme Spiele und Online-Beiträge vorgeht

19. März 2024, 13:55 Uhr

Computerspiele unterhalten Millionen von Menschen Tag für Tag – und das über alle Altersklassen hinweg. Gleichzeitig gibt es unter den Gamerinnen und Gamern auch Rechtsextremisten, die Spiele missbrauchen, um ihre Ideologien weiterzuverbreiten. Ein Problem, das die Sicherheitsbehörden kennen, aber dem sie wegen der vielen Inhalte kaum Herr werden können.

Rechtsextremisten versuchen auch Online ihre Ideologien zu verbreiten und sich zu vernetzen. Zum Beispiel mit Hilfe von Spielen und auf Gaming-Plattformen. So wurde beispielsweise auf der kostenlosen Plattform Roblox das Halle-Attentat nachgebaut, genau wie die Attentate von Christchurch und Buffalo. Beim realen Halle-Attentat versuchte ein Rechtsextremist im Oktober 2019, gewaltsam in die Synagoge in Halle einzudringen. Das schaffte er nicht – tötete aber zwei Menschen außerhalb im hallischen Paulusviertel. Der Halle-Attentäter selbst war damals beispielsweise auf der Gaming-Plattform Steam aktiv und streamte auf der Streaming-Plattform Twitch seine Tat im Look eines Ego-Shooters.

Cybercrime-Bekämpfung in Sachsen-Anhalt

Sebastian Striegel (B'90/Die Grünen) saß für seine Partei im Untersuchungsausschuss zum Halle-Attentat. Damals kritisierte er bereits, dass die Polizei online mehr tun müsse und dass das Verhalten des Halle-Attentäters auf Spieleplattformen nicht genau genug untersucht worden sei. Zum Beispiel bei der Frage, ob er sich dort mit anderen Rechtsextremen vernetzt hatte. Deshalb stellte Striegel eine Kleine Anfrage an Sachsen-Anhalts Innenministerium, um herauszufinden, wie seit dem Halle-Attentat Cyberkriminalität bekämpft wird.

Das Ergebnis, das er vom Innenministerium bekam, kommentiert er im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT wie folgt: "Das, was man an Zahlen im parlamentarischen Raum erhält von der Landesregierung, gibt nicht wirklich was her. Es ist klar, es gibt einzelne Aktivitäten – Sachsen-Anhalt hat ein Cybercrime Competence Center beim Landeskriminalamt, es gibt Beamte für koordinierte Internetauswertung. Es gab auch mal eine Internetstreife. Aber wie oft die tatsächlich auf Streifentätigkeit im digitalen Raum ist, lässt sich aus den Antworten der Landesregierung nicht wirklich ersehen. Die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren ist auf jeden Fall erschreckend niedrig."

Sebastian Striegel (Die Grünen) vor der Synagoge in Halle
Sebastian Striegel (Die Grünen) fordert im Gespräch vor der Synagoge in Halle, dass die Polizei stärker digitale Straftaten von Rechtsextremen bekämpft. Bildrechte: MDR/Johanna Daher

Innerhalb der Kleinen Anfrage geht es auch um Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik, die zeigen: Die Zahl der Cyberverbrechen in Sachsen-Anhalt hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Von fast 2.000 Fällen im Jahr 2012 hat sich die Zahl der Verbrechen innerhalb von zehn Jahren fast vervierfacht. So waren es im Jahr 2022 über 7.000 Fälle. Nur 18 Prozent davon würden überhaupt aufgeklärt. Einzig Taschen- und Autodiebstähle würden in Sachsen-Anhalt noch weniger ermittelt, so das Ergebnis der Kleinen Anfrage.

Sebastian Striegel (Die Grünen) hat eine Kleine Anfrage an das Land Sachsen-Anhalt gestellt. Eines der Ergebnisse waren diese Angaben bezüglich der Cyberverbrechen von 2012 bis 2022.
In der Kleinen Anfrage wird unter anderem mit Hilfe der polizeilichen Kriminalstatistik geantwortet. Darin wird deutlich: Die Zahl der Cyberverbrechen ist in Sachsen-Anhalt von 2012 bis 2022 gestiegen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Deshalb fordert Sebastian Striegel: "Es braucht in diesem Feld mehr polizeiliche Aktivität, mehr polizeiliche Aufmerksamkeit." Er fügt mit Blick auf die Arbeit der Polizei hinzu: "Wir erleben ja im analogen Raum auch, dass es Streifentätigkeit gibt und diese Streifentätigkeit führt Beamtinnen und Beamte in die unterschiedlichsten Stadtviertel – natürlich häufiger an Orte, wo Kriminalität Schwerpunkte hat, aber auch ansonsten in andere Stadtbereiche. Und ich wünsche mir, dass wir das auch im digitalen Raum sehen, dass Polizei dort unterwegs ist und dort mithilft für Sicherheit zu sorgen." Er weiß aber auch, dass die Politik selbst mehr tun müsste, zum Beispiel Wissen über Gaming-Plattformen und Spiele erlangen und Projekte gegen Rechtsextremismus im Digitalen besser finanziell fördern.

Zu einer Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT wollte Sachsen-Anhalts Innenministerium keine genauen Auskünfte geben, ob es seit dem Halle-Attentat zur Bekämpfung von Cybercrime einen Zuwachs beim Personal oder Budget gebe. Allerdings sagte ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage, ob sich Rechtsextreme mit Spielen vernetzen: "Es liegen keine eigenen Erkenntnisse über den Missbrauch von Spielen als Vernetzungsinstrument vor."

Auskünfte der Innenministerien der anderen Bundesländer

MDR SACHSEN-ANHALT hat bei den Innenministerien aller 16 Bundesländer nachgefragt. Polizei ist Ländersache, weshalb jedes Bundesland anders geantwortet hat – aus vier Bundesländern gab es keine Rückmeldung. Aus den Antworten der anderen zwölf geht hervor: Einige Bundesländer wollen aus Sicherheitsbedenken keine Auskunft über ihr Personal gegeben, zum Beispiel Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Andere Bundesländer sind offener: Schleswig-Holstein hat spezielle Dienststellen für Cyber-Ermittlungen. Und Bayern hat im Bereich Cybercrime offenbar mehr Experten im Netz, als alle anderen Bundesländer, die geantwortet haben, zusammen: "Aktuell werden über 400 Spezialisten in diesem Bereich eingesetzt", heißt es seitens des Bayerischen Innenministeriums.

Sicherheitsbehörden und Gaming: Zu viele Inhalte, zu wenig Personal

Das sieht Stephan Kramer anders. Er ist seit 2017 der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes. Er sagte dem MDR: "Besonders für die rechtsextremistische Szene ist die Gaming-Plattform viel mehr als eben nur Kommunikation. Hier geht es darum, sich zu motivieren. Hier geht es darum, sich in einer virtuellen Welt aus der realen Welt zu verabschieden und dort tatsächlich den Lebensstil, den Way of Life, des Rechtsextremismus zu leben. Sich auch in entsprechenden Shooting-Games ganz klar mit Waffen auseinanderzusetzen, gegenseitig zu messen, aber auch eben Anschlagsszenarien durchzuspielen."

Deshalb hätte seine Behörde personell aufgerüstet, sei aktiv auf den Spieleplattformen. Details über die Arbeit seiner Ermittler wollte er aber nicht verraten. Er kommentiert: "Die Herausforderung für uns ist eben die, dass wir mit diesen technischen Radikalisierungs- und Publizierungsmöglichkeiten Schritt halten müssen und dass es offensichtlich in der Perversität des Menschen nach oben keine Grenzen gibt."

Stephan Kramer – Chef des Verfassungsschutz Thüringen
Stephan Kramer, Chef des Verfassungsschutz Thüringen, sieht die Vernetzung von Rechtsextremen auf Spieleplattformen als großes Problem. Bildrechte: MDR/Danny Ebeling

Besonders für die rechtsextremistische Szene ist die Gaming-Plattform viel mehr als eben nur Kommunikation.

Stephan Kramer, Chef des Verfassungsschutz Thüringen

Das Landeskriminalamt Sachsen gibt mehr Einblicke in seine Arbeit. Hier ermittelt eine extra Einheit an Polizeibeamten gegen Cyberkriminelle. Dazu zählen auch Hass, Hetze und rechtsextreme Spieleinhalte. Zum Team aus Dresden gehört auch die sächsische Onlinewache, bei der man digital eine Anzeige stellen kann – zum Beispiel wegen Hass und Hetze im Netz. Dabei kann man auch einen Screenshot vom entsprechenden Inhalt anhängen. Ein Ermittler, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, erklärt: "Wir schauen dann, gibt es Informationen, die er öffentlich beispielsweise zur Verfügung stellt, wo wir sehen, okay, der ist noch da und da unterwegs. Also wir machen jetzt nicht immer quasi ein Gießkannensystem, dass wir sagen, wir gucken grundsätzlich in alles, sondern das Ziel ist ja immer, zum Beispiel einen straffällig gewordenen Nutzer zu identifizieren."

Hierbei ist ihm bewusst: Der digitale Raum ist riesig – "was ein Polizeibeamter da erfassen kann innerhalb von 24 Stunden beziehungsweise acht Stunden Dienstzeit, ist endlich." Sein Team stehe vor der Herausforderung, dass es zu viele Inhalte, aber zu wenig Personal und Zeit gebe. Deshalb appelliert er an die Plattformen, dass diese selbst bereits gegen rechtsextreme Inhalte verstärkt vorgehen sollten.

Was ein Polizeibeamter da erfassen kann innerhalb von 24 Stunden beziehungsweise acht Stunden Dienstzeit, ist endlich.

Ermittler beim Landeskriminalamt Sachsen

Was deutlich wird beim Thema "Gaming und Rechtsextremismus": Die Plattformen, Polizei und Politik haben eine Verantwortung, online stärker gegen die rechtsextremen Inhalte in Spielen und in den Gaming-Communities vorzugehen – teilweise tun sie das bereits. Experten, wie Mick Prinz von der Amadeu Antonio Stiftung, fordern aber ein verstärktes Vorgehen.

Was die Games-Branche und Gamerinnen und Gamer bereits gegen rechtsextreme Inhalte tun und welche weiteren Postings auf den Gaming-Plattformen Roblox und Steam veröffentlicht werden, können Sie hier nachlesen.

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MDR (Johanna Daher, Lars Frohmüller, Johanna Hemkentokrax)

Dieses Thema im Programm: MDR exactly | 18. März 2024 | 17:00 Uhr

12 Kommentare

Fakt vor 8 Wochen

@Monazit:

Wie immer kommen auch da wieder von den Blaubraunen Halb- und Unwahrheiten, Hass und Hetze - bevor sie sich in ihrer heißgeliebten Opferrolle im braunen Schlamm wälzen.

Monazit vor 8 Wochen

Ich kann in diesem Zusammenhang einen Artikel vom NDR mit dem Titel "Wirbel an Gymnasium: Es geht in Ribnitz-Damgarten um mehr als nur um Schlümpfe" empfehlen. Nur damit keine pauschalen Urteile gefällt werden bevor man nicht alles kennt, was seriös und öffentlich zugänglich ist. ;-)

Monazit vor 8 Wochen

Wo sehen sie denn Anhaltspunkte für eine linksextremistische Unterwanderung der Gamingszene? Ich würde mal behaupten, dass das Zielpublikum von möglichen linksextremen Menschenfängern eher nicht im Gamingbereich zu finden ist (Und nein, nicht jeder, der Ballerspiele spielt ist rechtsextrem oder ein Amokläufer).

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