Radverkehr Mehr Sicherheit für Fahrradfahrer auf Leipzigs Straßen

30. April 2023, 05:00 Uhr

Vor einem Jahr startete die Stadt Leipzig die Bürgerbeteiligung am Radverkehrsentwicklungsplan. Damit wollte man Ideen sammeln und Schwachstellen im Leipziger Radwegenetz besser identifizieren. Was hat sich seitdem getan? Wie werden die Impulse umgesetzt und wie sicher sind Leipzigs Straßen heute? Eine Bestandsaufnahme.

Am Vortag der Leipziger Buchmesse überquert ein Radfahrer zufrieden den Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof von Ost nach West. Er radelt vorbei an Dutzenden Fußgängern, über den hellgrün leuchtenden Radweg. An der Kurt-Schumacher-Straße, dort wo der Radweg wieder auf den Fußgängerweg einbiegt, steigt er kurz ab und macht ein Foto vom neuen Verkehrsweg, um seine Begeisterung mit anderen zu teilen.

Der Radfahrstreifen vor dem Hauptbahnhof ist ein Erfolg für die Leipziger Fahrradlobby. Zuletzt hatte ein Bündnis im Juni 2019 den Bereich vor dem Bahnhof im Rahmen einer Demo für 48 Stunden besetzt, um eine autofreie Alternative aufzuzeigen. Entscheidend für die Umgestaltung des Vorplatzes war am Ende aber der Autoverkehr, denn in der Unfallstatistik ist der Willy-Brandt-Platz schon seit Jahren als "Massenunfallhäufungsstelle" deklariert, was die Stadt zum Handeln verpflichtete. Jetzt ist eine Fahrspur für den Radverkehr reserviert. Weitere Markierungen im Bereich Kurt-Schumacher-Straße bis zur Löhrstraße sind laut Stadt bis zum Ende des Jahres geplant.

Für Oberbürgermeister Burkhard Jung kommt diese Maßnahme gelegen. Schließlich will Leipzig bis 2035 klimaneutral werden. Eine "vierspurige Autobahn vor dem Hauptbahnhof" sei da nicht zielführend und auch kein gutes Aushängeschild für das Tor zur Stadt, verteidigte Jung die Entscheidung in der vergangenen Woche vor dem Stadtrat. Die Entscheidung hatte vor allem bei AfD und FDP für Protest gesorgt. Zuletzt war das auch beim Radweg auf dem Dittrichring der Fall, gegen den sich vor allem IHK-Präsident Kristian Kirpal positionierte. Der befürchtete Verkehrsstau blieb jedoch bislang aus.

Platz schaffen für alle Verkehrsteilnehmer

Auch auf dem Ranstädter Steinweg zwischen Jahnallee und Innenstadtring ist im April ein Radweg auf der Straße eingerichtet worden. Der zweieinhalb Meter breite, rund 350 Meter lange Radfahrstreifen entstand auf Kosten einer Autospur. Laut Angaben der Kommune sind an dieser Stelle täglich etwa 4.000 Menschen auf Fahrrädern unterwegs. Vor vier Jahren war es hier zu einem schweren Unfall gekommen, als ein Jugendlicher von einem Auto erfasst wurde und dabei zu Tode kam. Daraufhin wurde an der Stelle eine Tempo-30-Zone erwirkt, an die sich viele Autofahrerinnen und Autofahrer jedoch jedoch nicht hielten. Deshalb wurde die Straße nun aufgeteilt. Die Ökolöwen äußerten sich zufrieden: "Damit wird eine weitere zentrale Radweglücke in Leipzig geschlossen. Dafür haben wir lange gekämpft."

Der Umbau ist Teil des Aktionsprogramms Radverkehr. Rund 70 Maßnahmen hatte sich die Stadt vor zwei Jahren vorgenommen. Diese Zahl sei bereits übertroffen worden, teilte die Stadt auf Anfrage von MDR SACHSEN mit. Das Leipziger Radnetz sei um 10,6 Kilometer gewachsen. "Darüber hinaus wurden Strukturen und Abläufe verbessert, um auch zukünftig den Radverkehr zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie effektiv zu fördern", heißt es aus der Stadtführung.

Polizei kontrolliert Verkehrssicherheit

Um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, führt die Fahrradstaffel der Leipziger Polizei am Freitagvormittag mobile Kontrollen auf der Eisenbahnstraße durch. Ein Radfahrer bringt sein Fixie zum Stehen. Geduldig hört er zu, als ihm der Beamte sagt, dass die Ohrstöpsel verboten seien, die er grade noch in seinem Ohr trug. Der Radfahrer gibt sich einsichtig und die Polizisten belassen es bei einer mündlichen Verwarnung. Rund 150 Verkehrsteilnehmer werden an diesem Tag im Leipziger Osten kontrolliert. Dabei wurden 65 Ordnungswidrigkeiten festgestellt. Meist waren es Rotlichtverstöße von Radfahrern, teilte ein Polizeisprecher mit, aber auch Geschwindigkeitsüberschreitungen der Autofahrer wurden geahndet.

Platz 4 beim bundesweiten Fahrradklimatest

Beim Fahrradklimatest des ADFC landete Leipzig jüngst auf dem vierten Platz der Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern. Kein schlechtes Ergebnis, mag man meinen. Allerdings ist die durchschnittliche Schulnote, die die Leipziger Radfahrer ihrer Stadt geben, eine 3 Minus (oder 3,84 im Schnitt). Weniger als ein Drittel der Leipzigerinnen und Leipziger fühlt sich demnach auf dem Fahrrad sicher im Straßenverkehr. Moniert wurden außerdem der fehlende Winterdienst, sowie die lückenhafte Kontrolle von Falschparkern auf Radwegen. Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Zufriedenheit der Leipziger Radler und Radlerinnen insgesamt abgenommen. Das gelte für fast alle sächsischen Städte.

"Leipzig ist eine sehr autogerechte Stadt und damit nicht mehr zeitgemäß", sagt Robert Strehler vom ADFC Leipzig. "Das erfordert ein Umdenken aller Beteiligten. Leider kommt die Planung mit ihrer bisherigen Prozess- und Umsetzungsstruktur oftmals nicht hinterher. Da gilt es nachzubessern. Die jüngsten Maßnahmen zeigen aber einen klareren Willen, die Verbindlichkeiten auf die Straße zu bekommen."

Leipzig ist eine sehr autogerechte Stadt und damit nicht mehr zeitgemäß. Das erfordert ein Umdenken aller Beteiligten.

Robert Strehler ADFC Leipzig

Bürgerbefragung wird ausgewertet

Im Rahmen einer Bürgerbefragung hatte die Stadt im vergangenen Jahr die Leipzigerinnen und Leipziger nach Problemstellen befragt. Die Ergebnisse werden nun ausgewertet. "Sie liefern wichtige Beiträge zur Entwicklung der konkreten Zielstellungen des Radverkehrsentwicklungsplan 2030 und darüber hinaus", heißt es von der Stadt. Mit einem Folgeprogramm will man nahtlos an das abgeschlossene Aktionsprogramm anknüpfen.

Ein Beschluss des Stadtrates über den Radverkehrsentwicklungsplan werde für Anfang 2024 angestrebt, danach kann laut Stadtleitung die Umsetzung der Maßnahmen angegangen werden. Wann die einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden können, sei dabei vom Haushalt sowie den verfügbaren Personalressourcen abhängig. Dabei geht es nicht nur um die Sicherheit auf Leipzigs Straßen, sondern auch um Fahrradparken oder die Verbesserung des Umstiegs zwischen den einzelnen Verkehrsarten, um den Umstieg aufs Rad attraktiver zu machen.

Zahl der Radfahrer steigt rasant

Der Radverkehr auf Leipzigs Straßen ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Legten Leipzigerinnen und Leipzigern 2018 noch 18,7 Prozent aller Wege in der Stadt mit dem Rad zurück, rechnet die Stadt aktuell mit etwa 20,4 Prozent. Das heißt, jeder fünfte Weg wird inzwischen mit dem Rad zurückgelegt. Bezogen auf die Verkehrsleistung, also die zurückgelegten Kilometer, hat sich der Wert seit 1994 versechsfacht und liegt inzwischen bei über einer halben Milliarde Kilometern im Jahr.

Im Durchschnitt steigen inzwischen täglich 170.000 Leipzigerinnen und Leipziger aufs Rad und das in allen Altersgruppen. "Wir haben mittlerweile eine echte Fahrradkultur in Leipzig", sagt Tino Supplies von den Ökolöwen. "Immer mehr Bevölkerungsgruppen kommen dazu. Der Radverkehr wächst rasant. Deshalb braucht es auch ein rasantes Wachstum bei der Radverkehrsinfrastruktur."

Der Radverkehr wächst rasant. Deshalb braucht es auch ein rasantes Wachstum bei der Radverkehrsinfrastruktur.

Tino Supplies Ökolöwen

Zahl der Unfälle gesunken

Das Unfallrisiko ist laut Verkehrs- und Tiefbauamt deutlich gesunken. Die Zahl der tödlich verletzten Radfahrerinnen und Radfahrer sank 2021 und 2022 auf einen Toten im Jahr. Auch die Zahl der Schwerverletzten stagniere, bei gleichzeitig weiter zunehmender Nutzung des Fahrrads. Allerdings war der Autoverkehr pandemiebedingt in den zwei Jahren auch stark eingeschränkt.

"Ein grundlegendes Problem ist, dass Unfallschwerpunkte immer erst dann entschärft werden, wenn dort vorher etwas Schlimmes passiert ist", gibt Supplies zu bedenken. "Wir fordern daher schon länger, dass die Stadt das Prinzip 'Vison Zero' anwendet, das in den skandinavischen Ländern schon Usus ist." Dabei gehe es darum, den Menschen schon in der Planung als ein Lebewesen zu verstehen, das Fehler macht, erläutert Supplies das Prinzip. Gute Radverkehrsplanung müsse dafür sorgen, dass schwere menschliche Fehler eben keine schweren Folgen für die Unfallopfer haben." Hier sieht Supplies auch die Bundesregierung am Zug.

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Ökolöwe kritisiert großen Investitionsstau

Es gebe noch viel zu tun, sagt Supplies. "Es gibt einen unfassbar großen Investitionsstau beim Radverkehr. In Deutschland wurde der Autoverkehr seit dem Ende des zweiten Weltkriegs auf Kosten aller anderen Verkehrsträger bevorzugt. Jetzt werden seit ein paar Jahren für einen Bruchteil des Geldes auch Radwege angelegt." Bis es hier eine Gleichwertigkeit gibt, müsse noch deutlich mehr passieren, sagt der Ökolöwen-Vertreter. "Es wird noch lange dauern. Es ist aber möglich, wenn man es denn wirklich will und es lohnt sich."

MDR (ltt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 06. April 2023 | 19:00 Uhr

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