Konwitschny vollendet Ring in Dortmund 9 min
Stefan Petraschewsky über die Inszenierung von "Das Rheingold" durch Peter Konwitschny. Bildrechte: Thomas M. Jauk
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Stefan Petraschewsky über die Inszenierung von "Das Rheingold" durch Peter Konwitschny.

MDR KULTUR - Das Radio So 12.05.2024 16:00Uhr 09:04 min

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Oper Leipziger Regisseur Konwitschny komplettiert Wagners "Ring" in Dortmund

10. Mai 2024, 15:47 Uhr

Der Leipziger Regisseur Peter Konwitschny schließt mit "Das Rheingold" seine Inszenierung von Wagners "Ring des Nibelungen" ab. Seit 2022 sind Konwitschnys Interpretationen des Opernzyklus' auf der Bühne des Opernhauses Dortmund zu sehen. Die "Rheingold"-Premiere sorgte jetzt für wenige Buh-Rufe, vor allem aber für Begeisterung.

Mit der Premiere des "Rheingolds" hat Peter Konwitschny seine Deutung von Richard Wagners "Ring des Nibelungen" abgeschlossen. Die Premiere am Opernhaus Dortmund war mit wenigen Buhs umjubelt. Der 79-jährige Regisseur hat sich fast 30 Jahre mit seiner Interpretation von Wagners Hauptwerk beschäftigt.

1995 hatte ihn Klaus Zehelein, Opernintendant in Stuttgart, im thüringischen Meiningen gefragt, ob er im Jahr 2000 die "Götterdämmerung" in Stuttgart inszenieren würde – als Abschluss eines Jahrtausend-"Rings", der in postmoderner Zeit keinen geschlossenen Weltentwurf mehr beinhalten würde. So kam es dann. Die "Götterdämmerung" war hochgelobt und ausgezeichnet.

Ein Mann mit grauem Bart und Brille lacht.
Peter Konwitschny wuchs in Leipzig auf, wo sein Vater Franz Konwitschny von 1949 - 1962 Gewandhauskapellmeister war. Bildrechte: picture alliance / Bernd Weißbrod/dpa | Bernd Weissbrod

Ein Abgesang auf die abendländische Zivilisation

Dieser ästhetischen Grundidee ist Konwitschny in seinem Dortmunder "Ring" treu geblieben. Er arbeitet mit vier verschiedenen Bühnen- und Kostümbildnern, hier im "Rheingold" mit Jens Kilian.

Die knapp dreistündige Inszenierung ist ein Abgesang auf die abendländische Zivilisation. Im Schlussbild sind die Götter wie der Spiegel eines gut situierten Publikums. Allerdings sitzen die Götter im Rollstuhl und werden für die Aufnahme in Walhall vorbereitet, das hier ein Pflegeheim ist. Die drei Rheintöchter sind die Pflegekräfte. Ideologie und Religion haben keinen Wert mehr. Ein Konfettiregen aus dem Satzschnipsel "Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!", erzählt im Grunde: Gott ist nicht tot, schlimmer noch: ein fataler Irrtum.

Inszeniert wie ein Puppenspiel

"Das Rheingold" beginnt in Dortmund sehr idyllisch. Alberich, ein Zwerg, sitzt im steinzeitlichen Fellkostüm an der Rampe, badet die Füße im Orchestergraben und angelt die Handlung quasi aus der Musik. Er trägt eine Mütze wie ein Barett. Es könnte also Richard Wagner selbst sein, der Handlung und Musik hier aus dem Wasser fischt. Die Götter- und Riesenwelt sieht dann ganz ähnlich aus: Felle und Zelte überall; das Feuer ist schon erfunden; waffentechnisch gibt es Keulen aus Mammutknochen.

Auf der Bühne vor einem schwarz-weißen Hintergrund voller Hochhäuser befinden sich 12 Menschen in weißer Kleidung mit Haarnetzen. Manche von ihnen halten Gegenstände mit dem Energie für Atomenergie darauf in der Hand. Sie alle schauen einen Mann an, der vor ihnen im Anzug im Bürostuhl sitzt. Daneben liegt ein weiterer Mann in grauer Hose und weißem Hemd zusammengekauert auf dem Boden.
Konwitschny holt "Das Rheingold" mit seiner Inszenzierung in die heutige Zeit. Bildrechte: Thomas M. Jauk

Die Inszenierung gibt sich betont naiv und grobschlächtig wie ein Puppenspiel. Das ist natürlich Absicht, passt sehr gut, auch als Kontrast zur Musik. Schon Thomas Mann war das aufgefallen, als er den "Ring" mit dem Kasperletheater verglich. Aber so konsequent wie hier, hat sich noch kein Regisseur getraut. Ihm würde dann schnell Entweihung unterstellt, was hier die Buhs erklären dürfte.

Sehr souverän, und bei Konwitschny eine verlässliche Größe, ist die Figurenführung. Wie fein und facettenreich er den Text in Handlung übersetzt, Haltungen extrahiert, ist Meisterklasse und unerreicht. Er nimmt auch den Text sehr wörtlich. So entsteht eine Inszenierung, die nie langweilig wird.

Eine weitere Spezialität: Bei Konwitschny sind Figuren nie böse an sich, sondern werden durch die äußeren Umstände dazu gebracht. Beispiel Alberich. Er ist am Anfang ein sympathischer Kerl, will von den Rheintöchtern geliebt werden, die ihn aber auf die Schippe nehmen, ihm zum Trost dann aber das Geheimnis des Rheingolds verraten: Wer der Liebe entsagt, kann aus dem Gold einen Ring schmieden, der ihm die Macht über die Welt gibt. Geld oder Liebe. Alberich entscheidet sich für das Geld, mit dem er dann zumindest seine Lust befriedigen kann.

Das Opernhaus Dortmund bei Nacht
Seit 2022 inszeniert der Leipziger Regisseur Peter Konwitschny Wagners "Ring des Nibelungen" am Opernhaus Dortmund. Bildrechte: Theater Dortmund

Mit dieser Entscheidung setzt die Zivilisationgeschichte hier ein. Die Inszenierung konzentriert sich dann auf das Endergebnis. Alberich sitzt als autokratischer Herrscher in einer Stadt, die wie ein vergrößertes Metropolis nach dem Film von Fritz Lang aussieht. Atombomben stützen seine Macht. Als Tarnhelm installiert er eine digitale, manipulierbare Welt.

Echte Kapitalismuskritik

Die Götterwelt auf der anderen Seite, spiegelt unsere abendländische, gesellschaftliche Kultur. Am Ende, wer es sich leisten kann, das Pflegeheim. Konwitschny zeigt, was dadurch unter die Räder kommt. Erda, die so heißt, weil sie das Gewissen dieser Erde vorstellt, rollt am Ende mit einem Einkaufswagen auf die Bühne, und sieht aus wie eine Obdachlose. Ihr folgen Kinder, Geflüchtete und zukünftig Leidtragende aus aller Welt.

Ein starker Moment, wenn Erda Göttervater Wotan dann rät, auf den fluchbeladenen Ring zu verzichten, den er Alberich abgeluchst hat. Wotan hält sich dran und bezahlt mit dem Ring das von den Riesen erbaute Wallhall. Wagners "Ring" ist vor allem auch eine echte Kapitalismuskritik, die Konwitschny exemplarisch herausarbeitet mit Beispielen unserer Zeit.

Peter Konwitschny, 2017 24 min
Bildrechte: picture alliance / Bernd Weißbrod/dpa | Bernd Weissbrod

Ein Leipziger mit Geschichte

Peter Konwitschny ist 1945 geboren und in Leipzig aufgewachsen, wo sein Vater Gewandhauskapellmeister war. Er hat in Ostberlin Regie studiert und war Assistent am Berliner Ensemble unter Ruth Berghaus. In den 80er Jahren hat er in Halle Händel-Opern inszeniert jenseits manieristischer Attitüden wie damals üblich. Man spricht seitdem von einer Ära.

In den 90er Jahren war es dann vor allem Richard Wagner. Sein Münchner "Parsifal", sein Hamburger "Lohengrin", und jetzt sein Dortmunder/Stuttgarter "Ring" sind Meilensteine der Operngeschichte. Konwitschny hat auch viel in der Oper Leipzig inszeniert, zuletzt war er dort Chefregisseur. Ein für das Wagner-Jubiläumsjahr 2013 geplanter "Ring", den Konwitschny mit Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly erarbeiten sollte, kam nicht zustande. In Dortmund hat Konwitschny 2022 "Die Walküre" und 2023 "Siegfried" zur Premiere gebracht. 2025 wird hier die Stuttgarter "Götterdämmerung" in neuer Besetzung zu sehen sein.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Mai 2024 | 08:10 Uhr

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