Ein Schild „Preis der Leipziger Buchmesse“ hängt vor der Preisverleihung an einem Rednerpult. 6 min
MDR KULTUR-Literaturexperte Jörg Schieke über die Nominierungen zum Preis der Leipziger Buchmesse 2024. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas
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Gleich vier Autorinnen sind für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik nominiert – und zum ersten Mal ist eine Graphic Novel dabei. Jörg Schieke stellt die Nominierungen vor.

MDR KULTUR - Das Radio Do 29.02.2024 12:00Uhr 06:07 min

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Auszeichnung Preis der Leipziger Buchmesse: Das sind die Nominierten

29. Februar 2024, 10:21 Uhr

Gleich vier Autorinnen sind für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik nominiert – und zum ersten Mal ist eine Graphic Novel dabei. In der Kategorie Sachbuch ist erstmals ein Hörbuch unter den nominierten Werken. Hier finden Sie eine Übersicht der Nominierten und eine kurze Einordnung der diesjährigen Hoffnungsträger.

Zum ersten Mal ist beim Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik mit "Genossin Kuckuck" von Anke Feuchtenberger eine Graphic Novel nominiert. Ihr Schwarz-Weiß-Buch führt in die DDR zurück, genauer gesagt in den Norden der DDR. Die Jury begründete ihre Wahl unter anderem mit der eigenen Mythologie des Comics: "Anke Feuchtenbergers magisch-düstere Bilder erzählen nicht nur eine komplexe Kindheit und Jugend im deutschen Osten, sondern öffnen immer wieder fantastische Tiefenräume, auch ins kollektive Unbewusste."

Eine runde schwarz-weiß-Zeichnung von badenden Menschen prangt auf einem schwarzen Buchcover mit goldenen Verzierungen und der Aufschrift "Feuchtenbergerowa: Genossin Kuckuck" 4 min
Bildrechte: Anke Feuchtenberge

Auch Wolf Haas, bekannt als Bestseller-Autor und eleganter Krimischreiber, ist mit "Eigentum" für die Belletristik-Auszeichnung aufgestellt, ein Buch über den Tod und das Abschiednehmen von seiner Mutter.

Zwei der Belletristik-Nominierten haben die Familie im Fokus. In Dana Vowinckels "Gewässer im Ziplock" geht es um eine jüdische Familie, bei der mehrere Generationen ihre religiösen, sozialen und kulturellen Eigenheiten einbringen – was natürlich nicht ohne Konflikte abläuft, etwa zwischen Großeltern und Enkelin. Auch in Inga Machels "Auf den Gleisen" geht es um eine Familienkonstellation, die Autorin zeichnet in ihrem Roman eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung nach. Das Buch erzähle ungewöhnlich intensiv von Vater- und Selbstverlust, von Trauer und Rausch, von Auslöschungs- und Einschreibungsversuchen, heißt es in der Jurybegründung.

Barbi Marković webt mit ihrem Roman "Minihorror" einen geschickt geflochtenen Kranz aus Episoden um die beiden Wesen Miki und Mini, die durch Wien und andere Städte "rumkobolden". Das Buch hat etwas Fratzenhaftes, Überdrehtes, was hier aber als Kompliment zu verstehen ist. Von Anfang an gibt es hier einen echten Funkenflug von originellen Sätzen. Die Jury erklärt: "Ironie verschärft sich hier zu Satire, Humor dreht sich in Sarkasmus und die Perspektive macht kleine Wesen groß. Der vergessene Krieg der 90er-Jahre mitten in Europa und seine Folgen bilden den dunklen Untergrund."

Erstmals Hörbuch für Sachbuchpreis nominiert

Bei den Sachbuch-Nominierten fällt auf, dass die Themen Ukraine-Krieg und Nahost nicht in der Liste potenzieller Preisträger vertreten sind. Auch die großen Jubilare dieses Jahres, Franz Kafka, Erich Kästner und Caspar David Friedrich sind nicht mit Sachbuch-Nominierungen für eine Zusatzehrung vertreten.

Erstmals ist mit "Jahrhundertstimmen" jedoch ein Hörbuch in dieser Kategorie aufgestellt. Die zweite Kollektion aus der Reihe stellt historische Originalaufnahmen zur deutschen Geschichte zwischen 1945 und 2000 vor, vom "Ich bin ein Berliner" John F. Kennedys 1963 bis zur "Ruck-Rede" des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog 1997. Als "klug arrangiert und kommentiert" bezeichnet die Jury das Hörbuch in ihrer Begründung. Die Stimmen "fügen unserem historischen Bewusstsein eine neue Dimension hinzu: die auditive." In Zeiten von gefakten Fakten trage das zur notwendigen Bestandsaufnahme dessen bei, was war, argumentiert die Buchmesse-Jury.

Weiterhin ist Christina Morina mit ihrem Sachbuch "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren" nominiert. Die Jury beschreibt beeindruckt: "Ihre scharfsinnige Analyse offenbart dabei nicht nur ein differenziertes Bild ohne Frontenbildung. Sie legt auch den Kern steigender rechtspopulärer Tendenzen unserer Gegenwart frei. " Morinas Buch zeige einen demokratiehistorischen Erinnerungsschatz, der eine neue Perspektive in eine heute verhärtete Debatte bringe.

Übersetzungen aus fünf Sprachen

Bei der dritten Kategorie, dem literarischen Übersetzen, sind Übertragungen aus dem Russischen, dem Slowenischen, Koreanischen, Polnischen und aus dem Amerikanischen für den Preis der Leipziger Buchmesse aufgestellt – nicht jedoch aus dem Niederländischen, obwohl das Gastland der diesjährigen Buchmesse die Region Niederlande/Flandern ist.

Eher selten kommt es vor, dass mit "Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg", übersetzt aus dem Russischen von Jennie Seitz, ein Sachbuch in der Kategorie der Übersetzungen nominiert ist. Die Autorin Katerina Gordeeva hat für ihr Buch Interviews mit Menschen aus der Ukraine und Russland zu Erzählungen verdichtet. Die Übersetzerin Jennie Seitz mache die verstörenden Erfahrungen eindringlich lesbar, so die Jury. Die Übersetzung entwickele eine beeindruckende literarische Ausdruckskraft.

"In allen drei Sparten bildet sich eine verstärkte Auseinandersetzung mit Fragen des politischen und historischen Bewusstseins ab", erklärte die Juryvorsitzende Insa Wilke. Das falle auf, in den teilweise sehr subtilen Formen, im Material und im Zugriff.

Die Nominierungen in Kürze

Kategorie Belletristik
Anke Feuchtenberger für die Graphic Novel "Genossin Kuckuck"
Wolf Haas für das Buch "Eigentum"
Inga Machel für ihren Roman "Auf den Gleisen"
Barbi Marković für "Minihorror"
Dana Vowinckel für "Gewässer im Ziplock"
Kategorie Sachbuch
Jens Beckert: "Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht"
Christina Clemm: "Gegen Frauenhass"
Tom Holert: "ca. 1972. Gewalt – Identität – Methode"
Christina Morina: "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren"
"Jahrhundertstimmen 1945-2000 – Deutsche Geschichte in über 400 Originalaufnahmen" (Hörbuch)
Kategorie Übersetzung
Ki-Hyang Lee für ihre Übersetzung aus dem Koreanischen von "Der Fluch des Hasen" von Bora Chung
Klaus Detlef Olof für seine Übersetzung aus dem Slowenischen von "18 Kilometer bis Ljubljana" von Goran Vojnović
Lisa Palmes für ihre Übersetzung aus dem Polnischen von "Bitternis" von Joanna Bator
Jennie Seitz für ihre Übersetzung aus dem Russischen von "Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg" von Katerina Gordeeva
Ron Winkler für seine Übersetzung aus dem Englischen der Gedichte "Angefangen mit San Francisco" von Lawrence Ferlinghetti

Preis der Leipziger Buchmesse

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird traditionell am Eröffnungstag der Literaturschau in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung verliehen. Er ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert. Die Gewinner werden von einer siebenköpfigen Jury ausgewählt, die sich aus deutschsprachigen Literaturkritikerinnen und -vermittlern zusammensetzt. 2024 wird der Preis der Leipziger Buchmesse zum 20. Mal verliehen. Für die Jubiläumsausgabe haben 177 Verlage insgesamt 486 Bücher eingereicht.

2023 ging die Auszeichnung in der Kategorie "Belletristik" an den Schriftsteller Dinçer Güçyeter. In der Kategorie "Sachbuch/Essayistik" erhielt die Auszeichnung Regina Scheer und in der Kategorie "Übersetzung" die Autorin Johanna Schwering.

Quelle: Leipziger Buchmesse, MDR KULTUR (Jörg Schieke), redaktionelle Bearbeitung: op

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 29. Februar 2024 | 11:30 Uhr

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