Stephan Kramer,  Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz
Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz Bildrechte: imago images / Jacob Schröter

Innere Sicherheit Thüringens Verfassungsschutzpräsident warnt vor antisemitischen Anschlägen in Deutschland

02. November 2023, 20:45 Uhr

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sieht eine erhöhte Gefahr für antisemitischen Terror in Deutschland. Hintergrund ist der Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel. Kramer verwies auch auf eine in seinen Augen erfolglose Integration Geflüchteter in Deutschland. Antisemitismus gehöre zudem zur "DNA" vieler Herkunftsländer. Eine Islam-Expertin sagt, es sei wichtig zu differenzieren.

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Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sieht eine wachsende Gefahr antisemitischer Anschläge in Deutschland. Kramer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Lage sei angesichts der Eskalation im Nahostkonflikt durch den Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel auch in Deutschland "extrem emotionalisiert".

Er fürchte, dass Islamisten und Hamas-Sympathisanten "konkret gewalttätig" werden. In besonderem Fokus stünden jüdische Gemeinden und Einrichtungen.

Kramer: Größte Gefahr sind mögliche islamistische Einzeltäter

Kramer sagte, die größte Gefahr gehe von radikalisierten Einzelpersonen aus, die in "Kurzschlusshandlungen" auch zu Selbstmordanschlägen bereit sein könnten. Diese zu erkennen, gleiche der Suche nach der "Nadel im Heuhaufen".

Kramer: "Antisemitismus gehört in den Herkunftsländern zur DNA"

Kramer, der vor seinem Amtsantritt als Thüringer Verfassungsschutzpräsident im Jahr 2015 für zehn Jahre Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland war, sprach auch über in seinen Augen gescheiterte Integration. So sagte er dem Netzwerk in Bezug auf seit 2015 nach Deutschland Geflüchtete weiter, Antisemitismus gehöre "in den Herkunftsländern zur DNA".

Das Problem sei aber "selbst verschuldet", weil notwendige Fortschritte bei der Integration ausgeblieben seien. Das Problem sei bekannt, aber es passiere nichts. Er fürchte, dass "große Teile der Gesellschaft" die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Staatsräson der "Sicherheit Israels" deshalb nicht mittragen.

Islam-Expertin: DNA-Aussage Kramers "unsinnig"

Susanne Schröter, Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) und Forschungsprofessorin der Goethe-Universität Frankfurt, sagte MDR THÜRINGEN am Donnerstag, Kramers Verweis auf die DNA sei "unsinnig". Antisemitismus habe vielmehr mit der Erziehung zu tun. Politische Indoktrination und Sozialisierung mache Menschen zu Antisemiten.

Prof. Susanne Schröter spricht in eine Mikrofon.
Islam-Expertin Susanne Schröter: Verweis auf die DNA "unsinnig", allerdings in vielen muslimisch geprägten Ländern "Staatsdoktrin". Bildrechte: IMAGO / Funke Foto Services

In vielen muslimisch geprägten Ländern sei Antisemitismus aber "Staatsdoktrin" und dort "völlig normal". Teilweise fußten diese Überzeugungen auch direkt auf dem Koran. Beispielsweise im Iran sei eine solche Staatsdoktrin, nach der Israel "zerstört" werden müsse, aber schon "brüchig geworden". Das zeige auch die dort starke regimekritische Reformbewegung. Folglich seien auch nicht alle Menschen aus dem Iran oder anderen Herkunftsländern zwangsläufig Antisemiten. Eine Differenzierung sei notwendig.

Islam-Expertin: Antisemitismus in Deutschland über Jahre unterschätzt

Schröter sagte wie zuvor auch Kramer, dass Menschen feste antisemitische Einstellungen nicht "an der Grenze abgeben". Das sei in der Tat problematisch. Schröter spricht ebenfalls von Problemen bei der Integration.

Antisemitismus sei in Deutschland ausschließlich als rechtes Phänomen gesehen und so stark unterschätzt worden - das falle jetzt auf die Füße, wo jüdische Einrichtungen in Deutschland wieder in Gefahr seien. Demnach habe das Land "völlig versagt beim Schutz jüdischen Lebens". Sie forderte unter anderem eine bessere politische Bildung.

Habeck: Antisemitismus in verschiedenen Milieus

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich am Mittwoch zu seiner Sorge vor Antisemitismus. In einem Video auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) betonte er die historische Verantwortung Deutschlands, für das Existenzrecht Israels einzustehen.

Habeck bezeichnete dabei Antisemitismus als Phänomen verschiedener Milieus. Es betreffe nicht nur Islamisten und Rechtsextreme, sondern auch "Teile der politischen Linken". Forscherin Schröter sagte MDR THÜRINGEN, auch sie beobachte teilweise Schulterschlüsse der linken Szene mit Hamas-Sympathisanten.

Robert Habeck
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Antisemitische Straftaten in Deutschland überwiegend von Rechts

Nach Zahlen des Bundesinnenministeriums war der weit überwiegende Teil der antisemitischen Straftaten in Deutschland im Jahr 2022 - also vor der Eskalation in Israel und Gaza - dem politisch rechten Spektrum zuzuordnen. Demnach entfielen darauf gut 82 Prozent der Vorfälle.

Zusammen knapp vier Prozent der antisemitischen Straftaten wurden demnach im vergangenen Jahr in den Kategorien "ausländische Ideologien" und "religiöse Ideologien" geführt. Auch die meisten antisemitischen Gewalttaten wurden mit 70 Prozent demnach von Angehörigen des politisch rechten Spektrums verübt. 17 Prozent waren bei Gewalttaten in den Kategorien "ausländische Ideologien" und "religiöse Ideologien" geführt.

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Mehr zum Nahost-Konflikt und Antisemitismus

MDR (ls/sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 02. November 2023 | 20:00 Uhr

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