Screenshot aus den neuen Hauptnachrichten von TVP
Die neuen Nachrichten des polnischen Staatsfernsehens TVP bemühen sich um politische Ausgewogenheit – auch bei der Darstellung des Staathaushalts. Bildrechte: Telewizja Polska (TVP)

Polen Keine Propaganda mehr in den Nachrichten

22. Dezember 2023, 18:27 Uhr

Polens Staatsfernsehen TVP galt als Propagandasender der bis vor kurzem regierenden PiS-Partei. Lobeshymnen auf die Regierung und Hetze gegen die Opposition waren in den Augen veler Polen zum Markenzeichen des Senders geworden. Am Mittwoch wurde die Führung von TVP ausgetauscht. Nun sollen Standards des unabhängigen Journalismus Einzug halten. Cezary Bazydło von der Osteuropa-Redaktion des MDR ist gebürtiger Pole und hat die erste Ausgabe der neuen Hauptnachrichten gesehen. Hier seine Eindrücke.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Cezary Mariusz Bazydlo
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

TVP zu gucken, das war in den letzten Jahren eine Qual für mich, fast eine Folter. Das Ausmaß der Lügen, Tatsachenverdrehungen, Manipulationen, die Lobhudelei gegenüber der regierenden PiS-Partei, die hasserfüllten Kommentare gegenüber der Opposition, manchmal auch mit triefendem patriotische Pathos gepaart, waren kaum zu ertragen. TVP guckte ich nur, wenn ich es aus dienstlichen Gründen tun musste. Oder wenn es während meiner Polenbesuche irgendwo im Hintergrund zufällig lief.

Am 21. Dezember schaltete ich aber freiwillig ein – wie nahezu 4,3 Millionen Polen, von denen viele das Staatsfernsehen wie ich seit Jahren mieden. Die erste Ausgabe der neuen Hauptnachrichtensendung von TVP nach der Übernahme des Senders durch die neue Führung wurde ein Hit – sie zog fast doppelt so viele Zuschauer an wie die alten Nachrichten, die immer mehr Polen nur noch als grobschlächtige PiS-Propaganda wahrnahmen. Umfragen sprechen hier eine klare Sprache – während im Jahr 2012 noch 50 Prozent der Befragten dem Staatsfernsehen TVP vertrauten, hat sich dieser Wert bis zum Ende der PiS-Ära auf nur noch 25 Prozent halbiert.

Nun soll alles anders werden. Und so schauten gut vier Millionen Polen gebannt zu. Zugegeben, technisch waren die ersten neuen Hauptnachrichten verbesserungswürdig. Eine polnische Kollegin meinte, sie hatten die Anmutung eines Start-ups, der in einer Garage rumwerkelt. Ganz so vernichtend fällt mein Urteil nicht aus, auch wenn kleine Unzulänglichkeiten sichtbar waren – etwa grafisch uneinheitliche "Bauchbinden", wie man die Inserts mit den Namen und Funktionen der interviewten Experten nennt, oder ein "verschluckter" Buchstabe im Namen eines bekannten Politikers.

Allerdings wurde die Sendung Medienberichten zufolge unter wahrhaft primitiven und konspirativen Bedingungen vorbereitet. Weder die Redaktionsräume, noch die Studios der Nachrichtenredaktion von TVP mit der gesamten Infrastruktur, die man für ein zeitgemäßes Fernsehen braucht, standen dem neuen Team zur Verfügung. Der Hauptsitz von TVP in Warschau wird nach wie vor von PiS-Politikern besetzt, und im TVP-Newsroom waren zunächst noch die alten, PiS-hörigen Reporter zugange.

Inhaltlich war aber eine völlige Neuausrichtung deutlich: keine Lobeshymnen mehr auf die PiS-Partei, keine Hasstiraden gegen die neue Regierung, keine Hetze gegen Andersdenkende und Minderheiten. Im ersten Bericht erklärten die Journalisten, warum eine Sanierung der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen nötig wurde. Ein Medienexperte erläuterte die Manipulationen der alten TVP-Nachrichten, die der PiS beim Machterhalt helfen sollten. Thematisiert wurden auch die in Polen sprichwörtlich gewordenen Nachrichtenticker von TVP – im Volksmund wegen der vielen bis ins Absurde gesteigerten Tatsachenverdrehungen als "Ticker des Schreckens" bekannt.

Vor dem Hintergrund der früheren TVP-Berichterstattung fielen der ruhige, sachliche Ton und ein Bemühen um Ausgewogenheit positiv auf. Im Bericht über den neuen Staatshaushalt beispielsweise wurde in einer Grafik deutlich gezeigt, welche "Sozialgeschenke" noch auf die alte PiS-Regierung von Mateusz Morawiecki zurückgehen und welche von der neuen Regierung von Donald Tusk stammen – mit den Porträts der beiden Politiker. Niemand wurde mit fremden Federn geschmückt.

Cezary Bazydło bei einer Schalte aus Polen für MDR Aktuell
Cezary Bazydło berichtet aus Polen für das Nachrichtenmagazin MDR Aktuell Bildrechte: Cezary Bazydło

Regierungskritische Stimmen wurden nicht unterdrückt. Zitiert wurde u.a. Präsident Andrzej Duda, der das Vorgehen der neuen Regierung in Sachen TVP scharf kritisierte und von Anarchie, Rechtsbeugung sowie Verfassungsbruch sprach. Im Bericht über den neuen Staatshaushalt kritisierte der Abgeordnete der nationalistischen "Konföderation" Sławomir Mentzen die "Rekordverschuldung", die mit "Rekordausgaben" und "Rekordbedürfnissen" einhergehe, und der PiS-Abgeordnete Marcin Ociepa gefiel nicht, dass die neue Regierung schon jetzt mit nachträglichen Änderungen des Haushalts rechne.

Im letzten Beitrag gab die neue Nachrichtenredaktion ein Versprechen für die Zukunft ab. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kehre zu seinen Zuschauern zurück, zu seinen Eigentümern – der polnischen Gesellschaft. Man wolle alle ansprechen, unabhängig von der Weltanschauung, dem Glauben, dem Alter und den persönlichen Interessen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen müsse eine Stimme der Bürger, nicht die der Politiker sein. Unparteilichkeit und Raum für Debatten wurden als Leitwerte genannt.

Andrzej Duda (M), Präsident von Polen
Lobhudelei gegenüber der bis vor kurzem regierenden PiS und dem PiS-nahen Staatspräsidenten, Hetze gegen die Opposition – das waren bis vor kurzem weit verbreitete Vorwürfe gegenüber dem polnischen Staatsfernsehen TVP. Bildrechte: picture alliance/dpa/PAP | Wojciech Olkusnik

"Es wird keinen Platz für Pöbeleien, Hetze und Ausgrenzung geben", sagte der neue TVP-Intendant, Tomasz Sygut. Stattdessen wolle man die Gemeinschaft stärken: "Wir werden die Menschen einen, nicht spalten." Und der Moderator im Studio forderte die Zuschauer zum Schluss auf: "Bitte üben Sie ruhig Kritik! Wir werden darauf hören und wenn nötig nachbessern. Das versprechen wir Ihnen."

Als polnischer Bürger hoffe ich, dass diese Versprechen tatsächlich erfüllt werden. Die Polen haben es verdient und am 15. Oktober haben sie an den Wahlurnen bei einer Rekordbeteiligung gezeigt, dass sie sich ein anderes, demokratisches Polen wünschen. Dazu gehört auch ein unparteiisches öffentlich-rechtliches Fernsehen.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 20. Dezember 2023 | 19:30 Uhr

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