Eine ukrainische Panzerhaubitze "Bohdana" feuert.
Die ukrainische Haubitze Bohdana im Gefecht. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evgeniy Maloletka

Russischer Angriff auf die Ukraine Aus der Not geboren: Die ukrainische Rüstungsindustrie

23. Januar 2024, 10:37 Uhr

Fast zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges kann sich die Ukraine nicht nur auf westliche Hilfe verlassen, sondern muss auch auf die eigene Rüstungsproduktion setzen. Unter ständigem russischen Beschuss ist das nicht einfach. Trotzdem gibt es eine Reihe von Neuentwicklungen: Von der eigenproduzierten Radhaubitze Bohdana bis hin zu billigen FPV-Drohnen und innovativen KI-Lösungen.

Porträt Denis Trubetskoy
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Die Entwicklung einer eigenen Rüstungsindustrie gehört derzeit zu den Prioritäten der ukrainischen Regierung – gerade mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf in den USA: Denn im Falle eines Sieges von Donald Trump ist unklar, wie es mit den US-Hilfen an Kiew weitergeht. Leicht ist der Aufbau der ukrainischen Waffenproduktion mitten im Verteidigungskrieg gegen Russland nicht. Russische Raketen und Marschflugkörper können theoretisch jede Ecke des ukrainischen Staatsgebietes und damit jede Produktionsstätte erreichen. Gleichzeitig kann Russland seine Waffen-Fabriken hinter dem Ural ohne die Gefahr von Raketeneinschlägen betreiben und im Dreischichtbetrieb produzieren lassen.

So ist es alles andere als überraschend, dass sich die am 29. Dezember begonnene neue Welle von massiven russischen Luftangriffen – neben der Einschüchterung der Bevölkerung und Abnutzung der Flugabwehr – gegen ukrainische Rüstungsfabriken richtet. Gleichzeitig ist das aber auch eine Art Anerkennung seitens Moskaus, dass die Ukraine in diesem Bereich Fortschritte gemacht hat. Zwar wird die Ukraine den Krieg gegen einen Gegner wie Russland nie ausschließlich mit Waffen aus eigener Produktion führen können. Doch gerade wegen der schleppenden Lieferungen aus dem Westen hilft die heimische Rüstungsindustrie sehr dabei, die Verteidigung aufrecht zu erhalten. Bei der Produktion eigener Waffen gibt es in letzter Zeit deutliche Fortschritte, auch wenn viele Informationen dazu aus Sicherheitsgründen geheim bleiben müssen.

Der große Auftritt eines Prototyps

Die Radhaubitze Bohdana ist eine dieser ukrainischen Neuentwicklungen. Im Sommer 2022 hatte ihr Einsatz zusammen mit der französischen Haubitze Caesar entscheidend dazu beigetragen, dass die Schlangeninsel befreit werden konnte. Das war einer der ersten großen ukrainischen Siege am Schwarzen Meer, die letztlich allesamt dazu führten, dass die Getreideexporte der Ukraine ohne jegliche Getreidedeals mit Moskau inzwischen sogar das Vorkriegsniveau erreichen.

Dabei wurde beim Kampf gegen russische Truppen auf der Schlangeninsel lediglich der allererste Prototyp der Bodhana, ein Einzelstück, eingesetzt. Und das hätte es eigentlich gar nicht mehr geben dürfen: Die ukrainische Radhaubitze wurde ursprünglich in einer Fabrik in Kramatorsk im Donbass entwickelt, wo sich auch der Prototyp befand. Kurz vor Kriegsbeginn entschied die ukrainische Militärführung, diesen vernichten zu lassen, damit die Technologie nicht in russische Hände gelangt.

Stattdessen wurde die Bohdana jedoch zerlegt, ihre Einzelteile ins ukrainische Hinterland gebracht und dort später wieder zusammengesetzt. Trotz technischer Defizite des Prototyps wurde die Haubitze erfolgreich an der Front eingesetzt. Das Verteidigungsministerium ordnete schließlich die Serienproduktion an, inzwischen werden sechs Bohdanas pro Monat hergestellt. Insgesamt dürfte die Ukraine bereits über mehr als 30 Radhaubitzen der eigenen Produktion verfügen. In einem Artilleriekrieg wie dem gegen Russland ist das viel wert.

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 44 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Die Vorteile der Eigenproduktion

Die Produktion der Bohdana ist so dezentral wie möglich angelegt, damit russische Luftangriffe nicht gleich die gesamte Herstellung lahmlegen können. Einige Bestandteile werden im Ausland produziert, viele aber auch vor Ort in der Ukraine. Insgesamt sollen 25 Unternehmen und 400 Menschen an der Herstellung beteiligt sein.

Die Bohdana hat gegenüber der französischen Vorzeigehaubitze Caesar einige Vorteile: So ist das Geschütz um die Hälfte billiger als Caesar, zudem muss Kiew wegen der großen internationalen Nachfrage nach der beliebten Caesar nicht zusammen mit anderen Ländern Schlange stehen. Und: Bohdanas müssen zur Großreparatur nicht nach Polen gebracht werden. Außerdem brauchen ukrainische Artilleristen keine Zusatzausbildung, weil Bohdana zwar NATO-Munition abfeuert, aber gleichzeitig den sowjetischen Artilleriegeschützen, an denen die Soldaten ausgebildet wurden, sehr ähnlich ist. Für die Nachkriegszukunft ist Bohdana zudem potenziell ein interessantes Exportprodukt: Schon während der Entwicklung haben Länder wie Ägypten und Marokko Interesse am möglichen Kauf gezeigt.

Ukrainische Soldaten laden eine Granate in eine Panzerhaubitze.
Soldaten laden die ukrainische Radhaubitze Bohdana. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evgeniy Maloletka

Ein Artilleriekrieg verschlingt jede Menge Munition. Die Ukraine stellt zwar Munition her, allerdings nur für Waffen, die sowjetische Kaliber verschießen, denn die gibt es mittlerweile nirgendwo mehr zu kaufen. Die Munition für die Bohdana kommt dagegen aus dem Westen. Dort wird die Produktion jedoch wohl erst gegen Jahresende ein befriedigendes Niveau erreichen.

Drohnen als Artillerieersatz

Um zumindest einen Teil der fehlenden Artilleriegeschütze ersetzen zu können, setzt die Ukraine auf Drohnen. Die sogenannten First-Person-View-Drohnen wurden ursprünglich als Spielzeug für Hobby-Piloten entwickelt und fliegen nur wenige Kilometer weit. Während des Krieges kam die Ukraine auf die Idee, diese billigen Drohnen mit Sprengstoff zu bestücken und gegen die russischen Truppen fliegen zu lassen. Inzwischen ist deren Herstellung zu einer weiteren Priorität geworden: Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte an, im Laufe dieses Jahres eine Million solcher Drohnen produzieren zu lassen – ein durchaus realistisches Ziel.

Außerdem ist es der Ukraine gelungen, zahlreiche sowjetische Flugabwehrsysteme, für die Kiew – ähnlich wie bei der Artillerie – keine Raketen mehr bekommen hat, für westliche Flugabwehrraketen umzurüsten. So kann das System BUK M-1 inzwischen mit US-Raketen der Klasse Sea Sparrow schießen. Für die Systeme S-300 soll es bereits ebenfalls ähnliche Lösungen geben.

KI-Lösungen unterstützen die Truppe

Auch die künstliche Intelligenz spielt inzwischen eine Rolle im Krieg. Das in der Ukraine entwickelte Informations-System Griselda etwa sorgt dafür, dass Unmengen von Daten, die von Satelliten, Drohnen und aus Medien und sozialen Netzwerken stammen, binnen kürzester Zeit zusammengetragen und ausgewertet werden, um den Truppen vor Ort ein gutes Lagebild zu geben. Griselda ist aktuell in der Lage, mehr als 25.000 Ziele pro Monat ausfindig zu machen und die Streitkräfte vor Ort binnen kürzester Zeit, meist innerhalb einer Minute, über diese zu informieren. Extra entwickelte Apps geben Kanonieren oder Panzerbesatzungen darüber Bescheid.

Auch die Drehringlafette TGG – ein fahrbares Gestell für Granatwerfer oder schwere Maschinengewehre, auf denen das Geschütz schwenkbar montiert ist – erwies sich für die ukrainische Armee als nützliche Entwicklung. Dank der Nutzung maschineller Lernsysteme ist TGG in der Lage, Ziele zu identifizieren und alle Berechnungen selbst zu erledigen. Der Schütze muss dann lediglich die Lafette gegen das Ziel richten und auf den richtigen Knopf drücken.

Noch spielt die KI bei den ukrainischen Streitkräften keine überragende Rolle. Der ukrainischen Militärführung um den Befehlshaber Walerij Saluschnyj ist jedoch klar, dass man asymmetrische Lösungen braucht, um im Krieg gegen ein Land wie Russland, mit seinem massiven Mobilisierungspotenzial an Soldaten, bestehen zu können. Daher wird in der Ukraine täglich nach neuen Möglichkeiten gesucht, wie man durch innovative Lösungen Soldaten entlasten oder sie ganz ersetzen kann.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 18. Januar 2024 | 10:36 Uhr

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