Schriftzug auf dem Rahmen eines Fahrrads der MIFA
Mifa-Fahrräder haben eine mehr als 100 Jahre lange Tradition. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Chronik 1907 bis 2022 – Die wechselhafte Fahrrad-Geschichte von Mifa

07. Mai 2024, 11:44 Uhr

Fahrräder aus dem Südharz der Marke Mifa haben eine lange Tradition. Klein angefangen, als Riese zu DDR-Zeiten, erlebten die Mitarbeiter der Firma nach 1990 in der Ex-Bergbauregion Höhen und Tiefen im Geschäft mit Rädern. Eine Chronik.

1907: Gründung als Familiengesellschaft in Sangerhausen.

1927: Im erweiterten Werk werden 79.000 Fahrräder pro Jahr gefertigt.

1950: Mifa wird in der DDR zum Volkseigenen Betrieb. Im ersten Jahr wurden rund 117.000 Fahrräder gebaut.

1984: Das Zehnmillionste Fahrrad verlässt das Werk. Pro Jahr werden Ende der 1980er Jahre etwa 450.000 Räder hergestellt.

1990: Nach der Wende übernimmt die Treuhandanstalt den Betrieb. Das Unternehmen produziert 115.000 statt 400.000 Räder jährlich. Von ehemals 1.360 Beschäftigten werden nur 240 übernommen.

1993: Die Treuhand verkauft das Unternehmen an zwei Schweizer. Es firmiert zunächst unter dem Namen Fahrradtechnik Sangerhausen.

1995: Die Produktion steht vor dem Aus. Der letzte Manager meldet Insolvenz an. Zwei Unternehmer aus Thüringen kaufen die Firma – und bringen den Namen Mifa zurück.

1997: Mifa feiert sein 90-jähriges Bestehen und schreibt wieder schwarze Zahlen. 85 Mitarbeiter fertigen 400 bis 500 Räder am Tag.

25.11.2003: Der Betrieb weiht eine neue Montagehalle ein. Inzwischen arbeiten hier wieder 400 Beschäftigte. Mifa verkauft in diesem Jahr eine halbe Million Fahrräder und macht 64 Millionen Euro Umsatz.

17.05.2004: Die Mitteldeutschen Fahrradwerke gehen an die Frankfurter Börse.

14.05.2009: Fünf Jahre nach dem Börsengang verkauft das Unternehmen 614.000 Fahrräder und macht 80 Millionen Euro Umsatz.

Carsten Maschmeyer
Der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer war zeitweise der Hauptinvestor der Mifa. Bildrechte: imago/Manngold

2011: AWD-Gründer Carsten Maschmeyer steigt bei Mifa ein und hält lange mehr als ein Viertel der Anteile. Damit ist er größter Aktionär der Fahrradwerke.

23.07.2013: Mifa kündigt an, eine strategische Partnerschaft mit dem größten indischen Fahrradhersteller Hero Cycles eingehen zu wollen.

20.03.2014: Das börsennotierte Unternehmen ist in die roten Zahlen gerutscht. Für 2013 meldet Mifa ein Minus von 15 Millionen Euro.

16.04.2014: Vorstandschef Peter Wicht, der Mifa 1996 mit einem Teilhaber übernommen hatte, legt sein Amt nieder. Zudem verkauft das Unternehmen für 5,7 Millionen Euro ein Betriebsgrundstück an den Landkreis, um an frisches Geld zu kommen.

15.05.2014: Die Krise spitzt sich zu. Mifa muss einräumen, dass auch in den Vorjahren mehr Verlust eingefahren wurde als veröffentlicht. Insgesamt beziffert Mifa den Bilanzverlust auf 28 Millionen Euro. Wenige Tage später kündigt Hero Cycles an, bei Mifa einzusteigen.

27.08.2014: Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt nach einer Strafanzeige gegen Ex-Mifa-Vorstand Wicht wegen des Verstoßes gegen das Aktiengesetz. Die Vorwürfe drehen sich um die erst nachträglich mitgeteilten Verluste beim börsennotierten Unternehmen.

29.09.2014: Mifa meldet Insolvenz in Eigenverwaltung beim Amtsgericht Halle an. Der Grund: Die Pläne für einen Einstieg des indischen Herstellers Hero Cycle sind gescheitert.

30.09.2014: Der Jurist Lucas Flöther übernimmt das Ruder bei Mifa als Insolvenzverwalter.

11.12.2014: Die schwarz-rote Landesregierung gewährt der insolventen Mifa eine Landesbürgschaft. So soll eine Zerschlagung verhindert und Arbeitsplätze gesichert werden.

12.12.2014: Die Fahrradwerke sind gerettet. Der Chef des Automobilzulieferers Ifa Rotorion, Heinrich von Nathusius, übernimmt.

15.01.2015: Kurz vor der Übergabe an von Nathusius kündigt Insolvenzverwalter Flöther an, die Mifa-Aktien von der Börse zu nehmen. Der Börsenrückzug ist im Sommer abgeschlossen.

12.12.2015: Von Nathusius kündigt an, am Stadtrand von Sangerhausen ein neues 17 Millionen Euro teures Werk zu bauen. Der Betrieb sammelt Großaufträge namhafter Marken wie Peugeot ein und soll nach den Plänen des Eigentümers Europas kostengünstigstes Fahrradwerk werden. Das Land sagt eine Förderung von 2,85 Millionen Euro zu.

19.12.2016: Sechs Monate nach der Grundsteinlegung beginnt die Produktion im neuen Werk, obwohl der Umzug noch nicht abgeschlossen ist. Es häufen sich Gerüchte um Zahlungsschwierigkeiten.

04.01.2017: Mifa taumelt wieder. Zwei Jahre nach der Rettung meldet das Unternehmen mit gut 500 Beschäftigten erneut Insolvenz an.

18.01.2017: Der Versuch, Mifa in Eigenverwaltung zu sanieren scheitert. Die Eigentümerfamilie von Nathusius zieht eine Kreditzusage für ein Finanzierungspaket überraschend zurück. Einen Tag später wird erneut Flöther als Insolvenzverwalter berufen.

15.02.2017: Eine neue Kreditzusage der Eigentümerfamilie eröffnet die Möglichkeit, die Produktion nach einer saisonbedingten Pause wieder hochzufahren. Gleichzeitig wird die Belegschaft halbiert. Die Betroffenen kommen in einer Transfergesellschaft unter.

01.04.2017: Mifa halbiert noch einmal die Zahl der Beschäftigten auf 130 Mitarbeiter.

25.04.2017: Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach einer Anzeige wegen Insolvenzverschleppung gegen Alt-Eigentümer Heinrich von Nathusius.

19.05.2017: Die Zerschlagung des Unternehmens steht im Raum. Die Verhandlungen kommen wegen eines Streits zwischen von Nathusius und der am Einstieg interessierten Unternehmerfamilie Puello nicht voran.

31.05.2017: Die Gläubiger setzen eine Frist: Wenn Mifa bis Ende Juni keinen Retter hat, wird der Betrieb abgewickelt. Zeitgleich zieht sich Familie Puello offiziell aus dem Bieterrennen zurück. 

28.06.2017: Wenige Tage vor dem Ablauf der Gläubiger-Frist präsentiert Insolvenzverwalter Flöther einen neuen Interessenten: Der Eigentümer des früheren "Trabi"-Herstellers Sachsenring, Stefan Zubcic, will bei Mifa einsteigen und alle verbliebenen Jobs sichern.

20.07.2017: Der Coburger Manager Zubcic unterschreibt den Kaufvertrag für Mifa. Die verblieben 130 Mitarbeiter sollen ihren Job behalten, kündigt er an. Die Firma bekommt einen neuen Namen und wirbt als Manufaktur für ihre Arbeit.

01.08.2017: Ab diesem Tag heißen die Mitteldeutschen Fahrradwerke, kurz Mifa, nicht mehr Mifa, sondern "Sachsenring Bike Manufaktur". Nach 110 Jahren endet damit die Geschichte des traditionsreichen Fahrradherstellers unter altem Namen. Der neue Eigentümer begründet den Namenswechsel mit seiner Markenstrategie.

18.10.2017: Zubcic plant, zwei bekannte DDR-Marken zusammenzubringen. So könnte Sachsenring als Fahrradmarke etabliert werden. In der umbenannten Sachsenring Bike Manufaktur sollen 2018 zwischen 120.000 und 140.000 Fahrräder gebaut werden – vielleicht auch mit dem bekannten S-Logo aus Zwickau.

22.07.2018: Die Sachsenring Bike Manufaktur GmbH, das Nachfolgeunternehmen der Mifa, sucht etwa 50 neue Mitarbeiter. Der Radhersteller will in diesem Jahr 20.000 Fahrräder mehr produzieren als ursprünglich geplant. Bis zum Ende des Jahres sollen schwarze Zahlen geschrieben werden.

30.01.2019: Sachsenring Bike hat für dieses Jahr einen Großauftrag übernommen. Zehntausende Fahrräder und E-Bikes sollen für den Bike-Sharing-Dienst Nextbike aus Leipzig montiert werden.

04.06.2019: Der Landkreis Mansfeld-Südharz wollte die Mifa AG retten und kaufte 2014 das Gelände des Fahrradherstellers – wenig später ging der pleite. Das Oberlandesgericht Naumburg entscheidet nun: Das war nicht rechtens. Es droht ein Millionenverlust. Der Landkreis soll das 2014 erworbene Mifa-Gelände in die Insolvenzmasse zurückgeben – ebenso die erzielten Mieteinnahmen.

11.11.2020: Die Zukunft des Fahrradbaus in Sangerhausen steht erneut auf der Kippe. Der Kreistag von Mansfeld-Südharz hat dem Mifa-Nachfolger Sachsenring Bike Manufaktur GmbH ein Ultimatum gestellt. Landrätin Angelika Klein (Die Linke) sagte: Sollte das Unternehmen nicht bis zum 1. Dezember seine Mietrückstände begleichen und beim Brandschutz nachbessern, werde man den Gewerbemietvertrag kündigen.

18.11.2020: Auch der Mifa Nachfolger, die Sachsenring Bike Manufaktur, meldet beim Amtsgericht Halle Insolvenz an. Produktion und Werksverkauf laufen aber weiter. Der Insolvenzverwalter will spätestens zum Jahresende 2020 eine Sanierungslösung präsentieren.

16.2.2021: Der Mifa-Nachfolger Sachsenring Bike hat einen neuen Eigentümer. 75 der rund 120 Mitarbeiter sollen für die Fahrradproduktion übernommen werden. Den Namen des Investors nennt der Insolvenzverwalter nicht. Später wird das Fahrradwerk in Zweirad Union e-Mobility GmbH umbenannt.

21.07.2021: Am Landgericht Halle beginnt der Prozess gegen den ehemaligen Vorstandschef des Fahrradbauers Mifa Sangerhausen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-Manager besonders schweren Betrug in zehn Fällen vor.

03.05.2022: Nach drei Insolvenzen in sechs Jahren und mehreren Besitzer- und Namenswechseln geht es am alten MIFA-Standort in Sangerhausen wieder aufwärts. Unter dem neuen Namen Zweirad Union e-Mobility wollen die Investoren Kapazitäten im Werk wieder schrittweise erhöhen. 100.000 produzierte E-Bikes im Jahr seien kurzfristig machbar.

MDR/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Mai 2022 | 17:00 Uhr

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