Zwei junge Männer radeln im Park, im Vordergrund zwei junge Bäume und Narzissen, im Hintergrund Wiese sowie kahle Bäume und einige Wohnhochhäuser 2 min
Bildrechte: imago/Science Photo Library
2 min

Wir Menschen sind zwar möglichst frühzeitigen Frühlingsgefühlen nicht grad abgeneigt. Für die Natur ist das aber nicht unbedingt das große Frühjahrsfest, nach dem es aussieht. Florian Zinner weiß mehr.

MDR AKTUELL Do 14.03.2024 13:54Uhr 02:26 min

https://www.mdr.de/wissen/audios/audio-fruehzeitiger-fruehlingsanfang-nicht-gut-fuer-pflanzen-und-tiere-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Klimawandel und Biodiversität Kein Frühlingsfest: Warum ein zeitiges Frühjahr für Pflanzen und Tiere ungünstig ist

14. März 2024, 16:52 Uhr

Wir wollen ja nicht die Laune verderben, aber der Frühling, der sich dieses Jahr vielerorts schon im Februar gezeigt hat und den März ganz farbenfroh macht, ist nicht so fröhlich, wie er aussieht – zumindest, wenn man Pflanzen und Tiere fragt. Für die kann so einiges aus dem Gleichgewicht geraten. Fest steht: Das zeitige Frühjahr bleibt keine Ausnahme, sondern wird zur Regel.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
Bildrechte: MDR

Wenn für einen Igel der Wecker klingelt, bevor die Natur mit dem Frühstücksbrettchen um die Ecke kommt, nun, dann ist das eine ziemlich ungünstige Situation. Die Folgen für das Tier können durch ernsthafte Unterernährung existenzbedrohend sein. Ein abgebrochener Winterschlaf, weil das Frühjahr viel zu zeitig am kuscheligen Nest anklopft, heißt eben nicht, dass Regenwürmer und andere Leckerbissen ebenfalls aus der Winterstarre erwacht sind. Zum Beispiel dann, wenn die Böden noch trocken oder gefroren sind.

2024 wird beim Blick in die Fauna der Vorgärten indes klar: Osterglocken? Lange vor Ostern. Magnolien? Mirabellen? Viel zu früh. Und über Forsythien müssen wir gar nicht erst reden. Ein zu frühes Frühjahr kann also nicht nur Stacheltieren, sondern auch dem Menschen so manches Frühstück verhageln – etwa dann, wenn die Obstbäume viel zu zeitig dran sind. Der tückische Spätfrost ist da ein gefürchteter Klassiker – je früher die Blüte, desto höher das Risiko. Es kann aber auch sein, dass die Bäume so früh zu blühen beginnen, dass schlichtweg noch kein Insekt an Ort und Stelle ist, um sie zu bestäuben. Darauf verweist Marten Winter vom Biodiversitätsforschungszentrum iDiv in Leipzig: "Das kann im schlimmsten Falle bedeuten, dass die Pflanze in diesem Jahr vielleicht keinen Reproduktionserfolg hat." Soll heißen: keine Samen. Und kein Obst.

Brauner Schmetterling mit einer Reihe schwarzer Punkte auf Flügel sitzt auf einer ovalen, Knopf-artigen Blüte
Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling Bildrechte: imago/blickwinkel

Früher Frühling kann Tiere an Fortpflanzung hindern

Auch umgekehrt wird ein Schuh draus: ohne Blüten keine Tiernahrung. "Da sind die Insekten, die vielleicht später aus ihrem Überwinterungsstadium kommen – vielleicht fehlt dann schon das Nahrungsangebot." Der Frühling ist, so betrachtet, ein ziemlicher Balanceakt zwischen den einzelnen Akteuren der Ökosysteme. Das zeigt sich auch bei der geschützten Schmetterlingsart Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Ameisenbläulinge gibt es verschiedene, aber dieser da legt seine Eier nur in die Blüte des Wiesenknopfs, erklärt die Biologin Christine Römermann von der Uni Jena: "Bei Veränderungen des Klimas, kann es sein, dass der Wiesenkopf noch gar nicht aufgeblüht ist oder dass er schon verblüht ist und damit würde es ganz starke Konsequenzen geben." Nämlich eine ausbleibende Fortpflanzung für das ohnehin seltene Tier.

Phänologie … ist die Wissenschaft von jahreszeitlich wiederkehrenden, sichtbaren Entwicklungserscheinungen in der Natur – zum Beispiel das Verhalten von Tieren oder die Blüte von Pflanzen zu bestimmten Jahreszeiten.

Christine Römermann ist eine ausgewiesene Phänologie-Expertin. Sie forscht zu Veränderungen je nach Jahreszeit sichtbarer Pflanzenmerkmale, unter anderem federführend in einem internationalen Netzwerk botanischer Gärten (Phenobs), an dem zum Beispiel auch die Gärten in Halle und Leipzig beteiligt sind. Sie kann eine klare Verschiebung der Jahreszeiten beobachten – nicht nur im langjährigen Mittel. "Also wir sehen auch innerhalb nur der letzten fünf Jahre eine extrem deutliche Verfrühung."

Über die vergangenen sechzig Jahre sehen wir ganz extreme Veränderungen.

Christine Römermann Uni Jena

Das zeigt etwa der Untersuchungsgegenstand "Gewöhnliche Küchenschelle". Kennen Sie nicht? Macht nix: Das auch Kuhschelle genannte Hahnenfußgewächs ist eine krautige Pflanze, die im Frühjahr violette, durchaus ansehnliche Blüten hervorbringt. In diesem Jahr war sie zwanzig Tage vor ihrer Zeit dran, also vor dem langjährigen Mittel. Blickt man indes auf die vergangenen fünf Jahre, dann ist die Verfrühung kein Einzelfall, sondern mittlerweile die Regel. Durch das Beobachtungsnetzwerk der botanischen Gärten lässt sich sicherstellen, dass es sich beim zeitigen Frühling in Jena um ein Phänomen handelt, dass auch andernorts beschrieben wird. Generell gilt: "Über die vergangenen sechzig Jahre sehen wir ganz extreme Veränderungen im Tag des Austriebs, im Tag der ersten Blüte", so Römermann.

Frühes Frühjahr: Einige Arten sind Gewinner

Welche Arten davon konkret betroffen sind, dazu fehlt noch ein ganzes Stück Forschung. Klar ist aber, dass die Ökosysteme den Klimawandel auch auf diese Weise zu spüren bekommen. "Also es ist nicht so, dass sich alle Arten auf die gleiche Weise anpassen", räumt Christine Römermann ein und spricht in diesem Zuge von Konkurrenzverschiebungen. Soll heißen: Ein frühes Frühjahr bringt nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner mit sich: "Wir können zum Beispiel beobachten, dass Arten, die besonders hochwüchsig sind, die besonders schnellwüchsig sind, zu den Arten gehören, die auch besonders konkurrenzstark sind." Und daraus lässt sich jetzt schon schließen: Ein früher Frühling geht auf Kosten der Biodiversität.

Eine Beobachtung, die auch Marten Winter vom iDiv teilt. Er bringt einen Begriff ins Spiel, bei dem fast schon eine gewisse Melancholie mitschwingt: "Wir haben ein paar Reliktarten im sächsischen Erzgebirge – Pflanzenarten, die sehr viel seltener werden. Auf der anderen Seite verschieben sich Artzusammensetzungen. Wir sehen das immer mehr, vor allen Dingen auch bei Insektenarten." Kälteliebende Arten verschwinden, wärmeliebende kommen hinzu. Trotz aller Irritationen in der Natur, ganz hoffnungslos scheint die Situation nicht zu sein, zumindest noch nicht: "Dass ein kompletter Verlust von Bestäubungsleistungen passiert, das sehen wir noch nicht." Das Obst zum Frühstück ist also erstmal gesichert. Außer, na, Sie wissen schon: Spätfrost.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 14. März 2024 | 13:54 Uhr

0 Kommentare

Mehr zum Thema