MDR KLIMA-UPDATE | 2. September 2022 Der Club of Rome schon wieder — was will er denn diesmal?
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Ausgabe #54 vom Freitag, 2. September 2022
02. September 2022, 11:00 Uhr
Guten Tag zusammen!
Seitdem sich Nachhaltigkeit so irre gut verkaufen lässt und selbst die fragwürdigsten Betriebe dieser Erde zusehen, noch ein Stückchen vom grünen Marketingkuchen abzubekommen, wird es mir immer unangenehmer, dieses Wort auszusprechen. Oder, wie in diesem Fall, zu tippen (musste mich grad echt überwinden!). Das mag daran liegen, dass es bekanntermaßen öde ist, mit dem Strom zu schwimmen (ach kommen Sie, seien Sie ehrlich). Aber auch daran, dass die Wirtschaft diesen Begriff derart verwässert und bis zur Unglaubwürdigkeit verhunzt hat, so dass man fast zum Schluss kommen muss, es sei das Nachhaltigste, einfach nicht mehr von Nachhaltigkeit zu sprechen, um ernst genommen zu werden.
Wie mag es da wohl erst dem Club of Rome ergehen? Würde sich dieser Zusammenschluss an klugen Köpfen den zeitgenössischen Mitteln des Kommunikationsdesigns bedienen, stünde unter dem Logo schon längst: "Original nachhaltig – seit 1968". Als sich der Club of Rome gründete, galten Einwegverpackungen als fortschrittlich, weil man sie nicht reinigen musste, Plastik als der Heilsbringer aller irdischer Materie und Kapitalismus war zumindest im politischen Westen schwer angesagt (Ach ja? Mehr dazu ganz unten). Schon vier Jahre nach der Gründung zeigte der Club of Rome: Das Wachstum ist begrenzt. Gehört ganz schön viel Mut dazu, sowas in einer Zeit von sich zu geben, als nicht nur Weltmetropolen, sondern sogar DDR-Städte an einer prosperierenden Skyline gearbeitet haben.
Soll ich Ihnen was sagen? Der Club of Rome ist immer noch mutig. Und der Club of Rome hat was Neues – zusammen mit anderen Einrichtungen wie dem PIK in Potsdam. Dazu gleich.
Zahl der Woche:
1.100
… Menschen und mehr sind bereits durch heftige Regenfälle und die Flutkatastrophe in Pakistan gestorben. Diese Zahl ist die wichtigste. Insgesamt sind aber sogar 33 Millionen Menschen betroffen, 220.000 Häuser wurden zerstört. Von offizieller Seite wird der außergewöhnliche Monsunregen als "klimabedingte humanitäre Katastrophe epischen Ausmaßes" bezeichnet.
Entweder es profitieren nur ein paar – oder es profitieren einfach alle
Ich will Sie jetzt nicht langweilen und noch mal mit dem Urschleim beginnen – sollten Sie nicht mehr genau auf dem Schirm haben, was es mit dem Club of Rome auf sich hat, finden Sie die Infos sicher schnell an anderer Stelle.
Halten wir fest: Der Club of Rome beschäftigt sich seit jeher damit, wie wir unseren Heimatplaneten in Ordnung halten und möglichst lange darauf leben können. Ähnlich wie in wissenschaftlichen Akademien ist der Club of Rome ein Expertinnen- und Expertennetzwerk, dessen Mitglieder z.B. wissenschaftlich, aber auch ökonomisch arbeiten, unterschiedlichste kulturelle und berufliche Hintergründe haben, auch Personen des öffentlichen Lebens sein dürfen – aber keine hochrangigen Politikerinnen und Politiker.
So wie seinerzeit mit Die Grenzen des Wachstums ist ein neues Buch des Clubs im Anmarsch: Earth for All: A Survival Guide for Humanity (dt. Ein Überlebensleitfaden für die Menschheit – im deutschen Titel: Ein Survivalguide für unseren Planeten). Wenn sich etwas Überlebensleitfaden nennt, schließt das mit ein, dass es eine lebensbedrohliche Situation gibt. Und damit sind wir bei der …
Ausgangslage
Auch wenn das hier ein Klima-Update ist, stellen wir das Klima mal kurz hinten an. Die eigentliche Ausgangslage für den neuen Leitfaden ist die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaften auf der Erde immer weniger funktionieren werden und gegen Mitte des Jahrhunderts zu kollabieren drohen. "Wir stehen an einer Klippe", das sagt Jørgen Randers. Der norwegische Forscher war schon Mitautor von Die Grenzen des Wachstums und zählt auch zu den sechs Beteiligten von Earth for All. Er sagt: Unser derzeitiges Wirtschaftssystem wird in den nächsten fünfzig Jahren nicht für mehr Wohlstand sorgen, sondern für weniger und gleichzeitig die sozialen Spannungen erhöhen. Verschärft durch den Klimawandel. "Dies birgt die Gefahr einer explosiven Kombination aus extremer politischer Destabilisierung und wirtschaftlicher Stagnation zu einer Zeit, in der wir alles tun müssen, um Klimakatastrophen zu vermeiden."
Das Werk untersucht zwei Zukunftsszenarien. Da wir Menschen bekanntermaßen vom Blick auf Dystopien fasziniert sind, fangen wir mit der beunruhigenden Variante an:
🤷 Szenario 1: Zu wenig, zu spät
- Die Wirtschaftspolitik der vergangenen vierzig Jahre bleibt so, wie sie ist.
- Das führt dazu, dass Reiche weiterhin reicher und Arme weiterhin ärmer werden. Daraus folgen soziale Spannungen innerhalb der Gesellschaft eines Landes oder zwischen Ländern.
- Die Folge sind unweigerliche politische Spaltung und mangelndes Vertrauen, was es wiederum erschwert, die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
- Bis zur nächsten Jahrhundertwende ist ein Temperaturanstieg von 2,5 Grad zu erwarten. Für die ärmsten Volkswirtschaften bedeutet das extreme Bedingungen. Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass mit dem fortschreitenden Jahrhundert etwa zwei Milliarden Menschen in Gebieten leben, die an der Grenze der Bewohnbarkeit sind.
- Selbst in wohlhabenden Ländern wird der Wohlstand weiter abnehmen, alle Gesellschaften werden unter Extremwetter und Ernteausfällen leiden.
Dieses Szenario bietet ausreichend Stoff für einen abendfüllenden Blockbuster. Was das echte Leben betrifft, schauen wir mal besser auf …
🦘 Szenario 2: Der Riesensprung
- Bis 2050 wird global extreme Armut beendet, soziale Spannungen nehmen ab, Einkommensgleichheit sorgt für mehr Wohlbefinden.
- Der Temperaturanstieg kann unter zwei Grad stabilisiert werden, der Materialverbrauch reduziert und die Weltbevölkerung bleibt deutlich unter neun Milliarden Menschen.
Wahrscheinlich würden Sie sich auch für Szenario 2 entscheiden. Damit das kein Luftschloss bleibt, werden in Earth for All fünf Maßnahmen gezeigt, die notwendig sind, um dieses Szenario zu erreichen.
- Reform des internationalen Finanzsystems: Dadurch können drei bis vier Milliarden Menschen aus der Armut geholt werden. (mehr dazu unten)
- Beseitigung starker Ungleichheit: Die reichsten zehn Prozent dürfen nicht mehr als vierzig Prozent des nationalen Einkommens erhalten.
- Stärkung der Rolle der Frauen: bis 2050 muss eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter erfolgen.
- Umgestaltung des Lebensmittelsystems: Gewährleistung von gesunder Ernährung für alle Menschen unter Berücksichtigung des Planeten.
- Umstellung auf saubere Energie: bis 2050 Netto-null Emissionen.
Um diese fünf Maßnahmen umzusetzen, geben die Autorinnen und Autoren fünfzehn politische Empfehlungen auf den Weg, die sich insbesondere an Entscheiderinnen und Entscheider richten und den Umfang dieses Newsletters sicherlich sprengen würden.
Aber da der Wandel mit dem Geld beginnt, dazu noch ein paar kurze Notizen:
- Der große Wandel wird vielleicht gar nicht so teuer: Die erforderlichen Investitionen liegen bei zwei bis vier Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts – weniger als die jährlichen Subventionen für fossile Brennstoffe.
- Es braucht eine zielführender Besteuerung, insbesondere von Vermögen.
- Das würde zum einen die Mittel für Szenario 2 bereitstellen, zum anderen für eine Umverteilung des Reichtums sorgen.
- … was wiederum zu Vertrauen und Legitimität auf politischer Ebene führen würde – und die brauchen Regierungen dringend, um Szenario 2 realisieren zu können.
🎓 Was wir daraus lernen
Die Veröffentlichung des Club of Rome – in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der gemeinnützigen schwedischen Forschungseinrichtung Stockholm Resilience Centre und der privaten norwegischen Wirtschaftshochschule Norwegian Business School – zeigt abermals, das alles mit allem zusammenhängt. Wir können eine Biodiversitätskrise nicht ohne Klimakrise denken, wir können aber eine Klimakrise auch nicht ohne Armutsbekämpfung und Gleichstellung aller Geschlechter denken. Sobald das klar ist, ist zwar noch nicht der Riesensprung geschafft, aber schon mal der kleine Schritt.
Der große Schritt wird schließlich zu einer hohen Lebensqualität aller beitragen. Auch der Wenigen, denen es vermutlich sowieso gut gehen wird.
Und jetzt zu dem, was sonst noch los ist:
🗓 Klima-Termine
Sonnabend, 3. September, Leipzig
Natur- und Klimawandel in Nordwest-Sachsen ist Titel der Veranstaltung im Leipziger Naturkundemuseum. Gezeigt wird, wie sich prähistorische Klimaveränderungen auf die Natur in unserer Region ausgewirkt haben. 11 Uhr geht's los.
Stadtradeln in Erfurt und Leipzig
Sonnabend, 3. September: In Erfurt startet das Stadtradeln – wer Kilometer sammeln möchte, findet alle Infos hier.
Freitag, 9. September: Leipziger Radnacht. Mit der größten Fahrraddemo des Jahres startet Leipzig in den Wettbewerb Stadtradeln. Infos beim Ökolöwen
12. bis 16. September: Außerschulische Klima-BIldung
Bei Lern-Fair Fokus gibt's für Schülerinnen und Schüler kostenlos die Möglichkeit, über den schulischen Tellerrand zu blicken. Diesmal geht es in einer digitalen Projektwoche um Klima und Nachhaltigkeit. Mehr Infos hier
12. bis 16. September: Woche der Klimaanpassung
Der Klimawandel bringt auch die Anpassung an neue klimatische Gegebenheiten mit sich. Dazu lädt das Zentrum-Klimaanpassung zusammen mit dem Bundesumweltministerium zur Woche der Klimaanpassung. Im Aktionszeitraum haben Kommunen, Einrichtungen, Verbände etc. die Möglichkeit, ihre Initiativen im Bereich Klimaanpassung öffentlich zu präsentieren. Eine Übersicht der Online- und Präsenzveranstaltungen gibt's im zugehörigen Portal.
📰 Klimaforschung und Menschheit
Soziale Kosten durch CO2-Emissionen viermal höher
Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der University of California. Während der aktuelle US-Regierungswert bei 51 US-Dollar pro zusätzliche Tonne CO2-Emissionen liegt, beträgt die neue Schätzung 185 US-Dollar pro Tonne. Die neuen Berechnungsmethoden sind in einer Studie im Fachblatt Nature erschienen.
Maßnahmen für Klimaschutz im Straßenverkehr
Spritpreise rauf und Kaufanreize für emissionsarme Fahrzeuge schaffen – dem Berliner Mercator-Insitut zufolge sind das zwei gute Maßnahmen, um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor drastisch zu reduzieren, ohne die Wirtschaftslage zu beeinträchtigen. Die Forschenden untersuchten dazu Erfolgsgeschichten von Ländern, die genau das hinbekommen haben. Dabei standen nicht Einzelmaßnahmen im Mittelpunkt, sondern die Wechselwirkung verschiedener Maßnahmen im Paket. Als Vorzeigebeispiel verweist das Forschungsteam auf Luxemburg. Die Studie ist in Nature Energy erschienen – hier gibt's eine Zusammenfassung, beim Deutschlandfunk auch zum Hören.
Fahrradfahren hilft wirklich
700 Millionen Tonnen CO2 könnten jährlich eingespart werden, wenn jeder Mensch durch tägliches Fahrradfahren dazu beitragen würde. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Süddänischen Universität. Das Augenmerk liege derzeit zu sehr auf Elektroautos. Infos zur Studie bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder direkt im Journal
Nachfolger für 9-Euro-Ticket kommt
Das kündigte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Mittwoch an. Zwar erteilte der Minister einem generell entgeltfreien ÖPNV eine Absage, betonte jedoch, es dürfe keinen Rückfall zur alten Preisstruktur geben, so wie es jetzt zum 1. September der Fall war. Infos hat die tagesschau
Unterdessen führt der 9-Euro-Fonds die Idee des Tickets auf eigene Faust weiter. Evtl. Strafen fürs Schwarzfahren werden erstattet, sofern man selbst monatlich neun Euro in den Topf einzahlt. Die Hintergründe bei der taz
CDU-Wirtschaftsrat für Windkraft im Wald
Die Landesfachkommission Agrar- und Forstwirtschaft des Wirtschaftsrats Sachsen-Anhalt hat sich für die Errichtung von Windrädern im Wald ausgesprochen. Der CDU-Verband sieht so insbesondere für von Naturkatastrophen wie Sturm, Wind oder durch Feuer kahlgefallene Flächen eine Nutzungsperspektive. Eine Errichtung im Wald sei derzeit durch das Landeswaldgesetz verboten. (PM)
📻 Klima in MDR und ARD
👋 Zum Schluss
Wenn Sie wirklich bis hierher gelesen haben: Seien Sie so gut und schreiben Sie uns kurz. Dann wissen wir, ob diese Rubrik an Ort und Stelle bleiben muss oder wir darüber nachdenken sollten, sie zu verschieben. 🆙
Ach ja, damit Sie jetzt nicht leer ausgehen: Es war nicht alles schlecht im Jahr 1972, ein soziales und ökologisches Bewusstsein herrschte damals schon. Als der Club of Rome mit Die Grenzen des Wachstums an die Öffentlichkeit ging, waren die Probleme, mit denen wir uns heute herumschlagen, schon an der öffentlichen Tagesordnung. Allen voran Umweltverschmutzung und die Lücke zwischen Arm und Reich.
Könnte heute sein.
Besten Dank fürs Lesen, bleiben Sie uns gewogen und passen Sie auf sich und die Welt auf, herzlich
Florian Zinner
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