Schneckentempo beim Windkraftausbau in Deutschland
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Jahresbilanz 2023 Energiewende, wir kommen! Aber nur gaaanz langsam.

05. Januar 2024, 16:43 Uhr

Ausschreibung, Zuschlag, Planung, Bau, Inbetriebnahme. Zack, zack, zack, fertig. Äh, nein, doch nicht. Bis eine Windkraftanlage arbeitet, geht mittlerweile immer mehr statt weniger Zeit ins Land. Das kann schon mal fünf Jahre dauern.

Wer es mit der Windenergie hält, kann eine gemischte Jahresbilanz 2023 ziehen. Die positiven Aspekte kommen dabei aber nicht so sehr aus Mitteldeutschland. Ganze 33 neue Windkraftanlagen sind in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Jahr 2023 in Betrieb genommen worden, nochmal 25 weniger als im Jahr zuvor, das nun auch nicht gerade rekordverdächtig war.

Deutschlandweit sieht es ein wenig anders aus. Fast genau drei Gigawatt Leistung sind 2023 bei Windkraft an Land netto hinzugekommen, also neu gebaute Anlagen abzüglich stillgelegter. Das ist immerhin mehr Zuwachs als in den Vorjahren, es ist sogar eine stetige Steigerung seit 2019 zu sehen.

Und trotzdem muss man auch deutschlandweit Langsamkeit konstatieren. Denn um das große Ziel zu erreichen, im Jahr 2030 an Land 115 Gigawatt und auf See 30 Gigawatt installiert zu haben, müsste es deutlich schneller gehen. Stattdessen entfernt sich im folgenden Diagramm die türkisfarbene Linie des Zubaus aber immer weiter von der roten, die das durchschnittliche Ausbautempo zeigt, das nötig wäre, um pünktlich zum Ziel zu kommen.

Die gelbe Linie symbolisiert eines der größten aktuellen Probleme. Es gibt Unmengen an geplanten Anlagen (derzeit 2.715 laut Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur), die bislang nicht in Betrieb genommen wurden. Einige wirken wie Karteileichen und kommen über den Planungsstatus wahrscheinlich nie hinaus, andere werden sicher irgendwann ans Netz gehen. Aber wann?

Wenn man nur die Anlagen betrachtet, die seit 2020 den Zuschlag bei Ausschreibungen bekommen haben, wird der "Ausbaustau" überdeutlich. Selbst nach drei Jahren haben es einige Anlagen noch nicht ans Netz geschafft.

Und an den Anlagen, die doch 2023 ans Netz gingen, sieht man, wie viel Zeit seit der Ausschreibung vergangen ist. Die allermeisten wurden 2021 geplant, drei Anlagen brauchten aber sage und schreibe fünf Jahre von der Ausschreibung im Mai 2018 bis zur Inbetriebnahme im Mai 2023.

Ja, der Windkraftausbau wird immer langsamer statt schneller, genauer gesagt der Bau jeder einzelnen Anlage im Durchschnitt. Egal, ob man den Mittelwert oder den Median für die Durchschnittsberechnung zugrunde legt, kommt man zur Erkenntnis: Zwischen dem Tag der Ausschreibung und dem Tag der Inbetriebnahme vergeht mittlerweile mehr Zeit als je zuvor. Mehr als 700 Tage im Schnitt, das sind fast zwei Jahre. Gestiegene Kosten, Fachkräftemangel und fehlende Genehmigungen für Schwerlasttransporte hinterlassen statistisch nachweislich ihre Spuren.

Windkraft trotzdem mit größtem Zuwachs bei der Stromeinspeisung

Bei aller Zähigkeit geht es in absoluten Zahlen aber natürlich trotzdem voran bei der Windkraft an Land. Langsam aber sicher, könnte man optimistisch sagen, auch in Sachen Stromeinspeisung. 18 Terrawattstunden mehr (und damit auch 18 Prozent mehr) wurden 2023 eingespeist als im Jahr zuvor. Das können Windkraft auf See, Photovoltaik und die anderen erneuerbaren Energieträger nicht von sich behaupten. Sie alle stagnierten mehr oder weniger.

Wobei auf den ersten Blick verwundert, dass die Photovoltaik leicht rückläufige Zahlen im Vergleich zum Vorjahr aufweist. Schließlich gab es da 2023 einen starken Ausbau neuer Anlagen. Aber Solarenergie entsteht eben nur, wenn die Sonne scheint. Und das tat unser Fixstern 2023 deutlich seltener als im Sonnenschein-Rekordjahr 2022. Durchschnittlich gab es in Deutschland 71 Stunden beziehungsweise 13,4 Prozent weniger Sonne als im Vorjahr.

Allen Zähig- und Widrigkeiten zum Trotz ist der Anteil erneuerbarer Energien am Netto-Strommix auf 55 Prozent gestiegen. Diesem Effekt zugute kam allerdings, dass der gesamte Stromverbrauch 2023 niedriger war als 2022, sodass die bereitgestellten Mengen erneuerbarer Energie einen größeren Anteil am Ganzen ausmachen konnten.

(rr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 04. Januar 2024 | 19:30 Uhr

1 Kommentar

Quantix vor 19 Wochen

Ein paar Zahlen.

Wir erzeugen also aktuell zwischen 100 und 140 TWh Windstrom im Jahr. 50 TWh steuert Solar bei.
Deutschland braucht pro Jahr 2400 TWh Energie.

Wenn deutsche Haushalte mit COP 3,0-Wärmepumpen betrieben werden sparen wir knapp 400 TWh. Wenn jedes Fahrzeug elektrisch fährt, brauchen wir 250 TWh Energie im Verkehrsektor weniger. Dank Deindustrialisierung brauchen wir 100 TWh Energie weniger.

Nehmen wir also einen zukünftigen Bedarf von 1650 TWh Energie an.

Wir haben bereits 0,9% der gesamten Landesfläche Deutschlands mit Windkraftanlagen bebaut (sagt das Umweltbundesamt). Vielleicht schaffen wir 2%, aber dann peakt die Windkraft bei 200 bis 300 TWh im Jahr. Selbst bei vierfacher Solarfläche fehlen immer noch bis zu 1150 TWh. Solar braucht zusätzlich teure, ineffiziente Speichermedien, da der Strombedarf für die Wärmepumpen im Winter vermutlich in H2 oder Methanol zwischengespeichert werden muss.

Meine Frage: Wo bekommen wir die fehlenden 1150 TWh her?