Aussenansicht des Gebäudes des ZK der SED (Zentralkomitee der SED) am Werderschen Markt / Kurstrasse in Berlin
Haus des Zentralkomitees der SED mit Parteilogo im Januar 1990. Bildrechte: IMAGO / Jürgen Ritter

Kampf ums Milliarden-Erbe Das verschwundene SED-Vermögen

09. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Über sechs Milliarden Ost-Mark in bar und zahlreiche Immobilien: Die SED war eine der reichsten Parteien Europas. 1989 steht sie vor dem Aus. Doch die Genossen kämpfen weiter - um Wählerstimmen, aber auch um das Milliarden-Erbe der DDR-Staatspartei.

Anfang Dezember 1989: Einen Monat nach dem Fall der Mauer liegt die DDR in den letzten Zügen. Auch die SED, die das Land 40 Jahre lang straff regiert hat, befindet sich in Auflösung. Hunderttausende Genossen schmeißen ihre Parteibücher hin. Die Mitgliederzahl der einst allmächtigen Staatspartei ist von 2,3 Millionen auf 700.000 geschrumpft. Ein Großteil der früheren Parteiführung um Erich Honecker wurde aus der SED ausgeschlossen, das letzte Politbüro um Egon Krenz hat sich selbst aufgelöst. Die Partei ist führungslos.

Kurz vor der Auflösung

Ein außerordentlicher Parteitag soll in dieser kritischen Lage über die Zukunft der SED entscheiden. 2.147 Delegierte treffen sich am Abend des 8. Dezember 1989 in der Dynamo-Sporthalle in Berlin-Hohenschönhausen. Nicht wenige von ihnen wollen das Kapitel SED beenden. "25 Prozent der Delegierten zu diesem außerordentlichen Parteitag kamen mit einem Mandat, für die Auflösung der Partei zu stimmen", schätzt der Zeithistoriker Manfred Wilke die damalige Situation ein. Für die Parteitagsspitze um DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, den Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer und den Berliner Anwalt Gregor Gysi ein Schreckensszenario. Sie wollen die Partei erhalten und den Untergang der DDR verhindern.

Modrows Brandrede

Dr, Hans Modrow, Ministerpraesident Außerordentlicher Parteitag der SED
Mit einer flammenden Rede setzt sich DDR-Ministerpräsident Hans Modrow im Dezember 1989 für den Erhalt der SED ein. Bildrechte: imago images/sepp spiegl

Während einer aufregenden Nachtsitzung, von der nur Tonband-Aufzeichnungen erhalten sind, redet Modrow den Genossen ins Gewissen: "Ich muss hier in aller Verantwortung sagen: Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht." Die Worte verfangen: Bei der späteren Abstimmung votiert kein einziger der Delegierten für eine Auflösung der SED. Ja, sogar ihren alten Parteinamen werden die Genossen behalten - versehen mit dem Zusatz "Partei des Demokratischen Sozialismus" - PDS.

Hoffnungsträger Gysi

Zum neuen Parteivorsitzenden wählt der Sonderparteitag am 9. Dezember 1989 den eloquenten und schlagfertigen, ansonsten weitgehend unbekannten Gregor Gysi. Der Rechtsanwalt ist zwar seit 1967 Parteimitglied, aber kein belasteter Vertreter des alten Parteiapparates.

Als Symbol des Neuanfangs und der Reinigung der Partei von ihren Altlasten bekommt der damals 41-Jährige einen großen Besen überreicht. Gysi wird später sagen, dass Modrow mit seiner Rede in der Nachtsitzung zum 9. Dezember die Auflösung der SED verhindert hat. Der Anwalt selbst hat aber auch keinen unwesentlichen Anteil daran. In einer mitreißenden Rede geißelt er Amtsmissbrauch und Korruption der alten SED-Führung, fordert für die DDR einen dritten, durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gezeichneten Weg sozialistischer Prägung und eine völlig veränderte neue SED: "Es geht nicht um neue Tapeten, wir wollen eine neue Partei."

Sechs Milliarden in bar

Es geht aber auch um sehr viel Geld. Tatsächlich ist die SED eine der reichsten Parteien Europas: 6,1 Milliarden DDR-Mark an Barvermögen, davon 3,3 Milliarden in Fonds. Hinzu kommt ein umfangreicher Immobilien- und Grundstücksbesitz, Verlage und Betriebe. Allerdings beschäftigt die Partei Ende 1989 auch 40.000 hauptamtliche Mitarbeiter. Deren Bezahlung ist nach den Massenaustritten der zurückliegenden Monate aus den laufenden Einnahmen nicht mehr gesichert. Der Anwalt Gysi unterstützt den Fortbestand der SED als SED-PDS vor diesem Hintergrund auch mit dem Argument, dass eine Auflösung und Neugründung juristische Auseinandersetzungen um das Parteivermögen nach sich ziehen und die Partei wirtschaftlich ernsthaft bedrohen würde.

Parteivermögen soll gesichert werden

Tatsächlich beschließt der SED-Sonderparteitag, der am 16. und 17. Dezember fortgesetzt wird, auch die umfangreichen Vermögenswerte für die künftige Parteiarbeit zu sichern. Wenig später verabschiedet der Parteivorstand um Gysi und seinen Stellvertreter Wolfgang Pohl "Maßnahmen zur Sicherung des Parteivermögens ...".

Gregor Gysi auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS am 16. und 17. Dezember 1989
Gysi auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS am 17. Dezember 1989. Bildrechte: IMAGO / teutopress

Zudem konstituiert sich eine parteiinterne "Arbeitsgruppe zum Schutz des Vermögens der SED-PDS". Sie soll unter anderem verhindern, dass sich Funktionäre im Zuge der Auflösungserscheinungen selbst bereichern. Aber auch die Furcht, die Partei könnte im Zuge des politischen Wandels verboten und enteignet werden, spielt eine große Rolle. Noch im Januar beschließt die SED-PDS, rund drei Milliarden DDR-Mark ihres Barvermögens für soziale und kulturelle Zwecke an den Staatshaushalt der DDR abzuführen. Zu dem Zeitpunkt stellt sie mit Hans Modrow noch den Ministerpräsidenten.

Knapp 300 Millionen für Darlehen

Darüber hinaus versucht die Parteiführung auf verschiedene Weise, das Parteivermögen dem staatlichen Zugriff zu entziehen. So organisiert die von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe die großzügige Vergabe von Spenden und kurbelt rund 160 Unternehmensbeteiligungen an. Zudem werden an Genossen Darlehen für Firmengründungen vergeben. Für viele der ehemals 40.000 hauptamtlichen SED-Beschäftigten eine Starthilfe. Laut dem 1998 veröffentlichten Bericht der 2. Untersuchungskommission des Bundestags zum Verbleib des SED-Parteivermögens werden Darlehen von umgerechnet rund 293 Millionen D-Mark ausgereicht, zum Teil mit Laufzeiten von 100 Jahren.

Parteivermögen unter Aufsicht

Die nach der Volkskammerwahl im März 1990 in die Verantwortung gelangte neue DDR-Regierung unter CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière will die Vermögen der alten DDR-Parteien- und Massenorganisationen unter staatliche Aufsicht stellen. Die PDS macht dagegen mobil. Aber es hilft nichts. Mit dem von der Volkskammer am 31. Mai beschlossenen neuen Parteiengesetz werden die Vermögen der Alt-Parteien unter Aufsicht einer unabhängigen Kommission gestellt. In der PDS-Parteispitze wird man unruhig: Steht ein Verbot bevor? Muss sich die Partei auf die Illegalität vorbereiten?

Der "Putnik-Deal"

In dieser Lage bereiten der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Pohl und der Leiter der Parteifinanzen Wolfgang Langnitschke im Auftrag des Parteipräsidiums die Verschiebung von 50 Prozent des noch vorhandenen Barvermögens der PDS vor. Im Zuge der als "Putnik-Deal" bekannt gewordenen Aktion sollen mit Hilfe der KPdSU 107 Millionen D-Mark ins Ausland verschoben und so dem Zugriff des Staates entzogen werden. Die Moskauer Scheinfirma "Putnik" stellt dazu fingierte Rechnungen über angebliche Altforderungen aus: 25 Millionen D-Mark für die Errichtung eines "Zentrums der internationalen Arbeiterbewegung", 70 Millionen D-Mark für die Ausbildung von 350 Studenten aus der Dritten Welt und rund 12 Millionen D-Mark für die Behandlung von Augenkrankheiten bei Dritte-Welt-Studenten. Nichts davon ist wahr, dafür sind die fingierten Mahnungen "echt".

Die Sache fliegt auf

Der Deal fliegt trotzdem auf: Die beteiligten Banken schöpfen Verdacht und stoppen die Transaktion. Die Staatsanwaltschaft wird eingeschaltet. 100 Kriminalbeamte und Schutzpolizisten durchsuchen die PDS-Parteizentrale im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. Parteichef Gysi protestiert und vergleicht die Aktion laut dem damals anwesenden Staatsanwalt Volker Kähne mit den Razzien, die das Haus 1933 als KPD-Zentrale durch die Politische Polizei erlebte. Einen Tag später fliegt Gysi nach Moskau. Im Bericht der Untersuchungskommission des Bundestages heißt es dazu, er habe versucht, die KPdSU "zur Aufrechterhaltung der Legende hinsichtlich bestehender Altforderungen zu bewegen". Doch Journalisten finden heraus: Das Unternehmen "Putnik" gibt es gar nicht. Die KPdSU fürchtet eigenen politischen Schaden und lehnt jede weitere Unterstützung ab. Die Legende bricht wie ein Kartenhaus zusammen.

Zwei Bauernopfer

Laut dem späteren Bericht der Untersuchungskommission beschließen bei einem anschließenden Krisentreffen Gysi, der PDS-Ehrenvorsitzende Modrow und Parteivize André Brie, dass Pohl und Langnitschke die Verantwortung für den missratenen "Putnik-Deal" übernehmen sollen.

Wolfgang Pohl
Der Stellvertretende SED-Vorsitzende Wolfgang Pohl beim Sonderparteitag 1989. Bildrechte: imago/teutopress

Während letzterer ablehnt, tritt Pohl kurz darauf vor die Presse und erklärt, er habe in einer Zeit, da die Partei "besonders stark gefährdet schien" mit dem Genossen Langnitschke versucht, "einen bestimmten Grundstock von Mitteln für die Partei zu retten." In einem späteren Untreue-Verfahren vor dem Landgericht Berlin werden Pohl und Langnitschke freigesprochen. Das Gericht stellt fest, das beide im Auftrag und mit dem Wissen der PDS-Verantwortlichen und ohne persönliche Bereicherungsabsicht handelten. Die 107 Millionen Euro aus dem "Putnik-Deal" werden später durch die Treuhandanstalt zurückgeholt.

Die nächste Austrittswelle

Für die SED-PDS ist die "Putnik"-Affäre ein riesiger Image-Schaden. Eine zweite große Partei-Austrittswelle ist die Folge. Hinzu kommt, dass die Treuhandanstalt im Sommer 1991 alle Parteikonten beschlagnahmt und die PDS damit in eine finanzielle Existenzkrise stürzt. Der Partei stehen von da an nur noch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Mittel der staatlichen Parteienfinanzierung zur Verfügung. 1992 verzichtet die PDS in einer notariellen Einigung mit der Treuhandanstalt auf sämtliche Auslandsvermögen der früheren SED.

Der nächste Skandal

Ungeachtet dessen fliegt 1993 ein weiterer versuchter Millionentransfer auf. Wie damals herauskommt, hatte die PDS versucht, 15,3 Millionen D-Mark für ausländische linke Parteien nach Luxemburg zu überweisen. Auch diesmal versucht die Partei, den Eindruck einer regulären Zahlung zu erwecken. Ihr wird vorgeworfen, die Ermittlungen nicht ausreichend zu unterstützen. Trotz zahlreicher Untersuchungen durch verschiedene Behörden kann der PDS nie nachgewiesen werden, jemals für ihren eigenen Parteibetrieb auf illegale SED-Altvermögen zurückgegriffen zu haben.

Vergleich mit der Treuhand

Berliner Treuhandanstalt im ehemaligen Haus der Ministerien in der Leipziger Straße, 1991
Gebäude der Treuhandanstalt in Berlin 1991. Bildrechte: picture-alliance / dpa | Klaus Franke

Erst 1995 wird der juristische Streit zwischen der PDS und der Treuhandanstalt um das verschleppte SED-Vermögen beendet. In einem vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht geschlossenen Vergleich verzichtet die PDS auf ihr offiziell noch vorhandenes Altvermögen in Höhe von 1,8 Milliarden D-Mark. Auch die noch bestehenden Darlehen gehen an die Treuhandanstalt über. Außerdem soll jedes neu aufgefundene Altvermögen im In- und Ausland fortan automatisch dem Staat zufallen. Im Gegenzug stellt die Treuhandanstalt ihre Rückforderungen gegenüber der PDS ein und sichert der Partei Rechtssicherheit über ihr verbliebenes legales Vermögen zu.

Über eine Milliarde Euro Inlands-Geld gesichert

Laut dem Schlussbericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR von 2006 können allein aus dem Inlands-Geldvermögen der SED-PDS bis Ende 2005 rund 1,17 Milliarden Euro "für das treuhänderisch verwaltete Vermögen" gesichert werden: "Dieser Betrag setzt sich überwiegend zusammen aus eingezogenem Vermögen, Verwertungen, Veräußerungen sowie aus Darlehensrückzahlungen."

Trotzdem beschäftigt der verschwundene SED-"Schatz" auch weiterhin Staatsanwälte und Richter. Dabei geht es durchweg um die Auslandsvermögen der früheren DDR-Staatspartei. So wird seit 2008 untersucht, ob sich noch altes SED-Auslandsvermögen auf einem Treuhand-Konto in Liechtenstein befindet.

Millionenbetrag bleibt verschwunden

Einige erhebliche Summen können die deutschen Behörden nach jahrzehntelangen Ermittlungen und Rechtsstreitigkeiten erfolgreich einklagen: So wird 2013 die Bank Austria durch ein Schweizer Bundesgericht dazu verpflichtet, für von Konten einer Schweizer Tochter der Bank verschwundene Devisen einer früheren SED-Außenhandelsfirma aufzukommen: 254 Millionen Euro inklusive Zinsen wandern an den deutschen Fiskus.

Dennoch bleibt ein großer Teil des Altvermögens der früheren DDR-Staatspartei unauffindbar. Experten gehen von einem dreistelligen Millionenbetrag aus. Genau wird man das wohl nie erfahren.

Dieser Artikel wurde erstmals am 20. Februar 2017 veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Was wurde aus der SED? - Film von Jan Lorenzen | 21. Oktober 2016 | 23:30 Uhr