Kolumne: Das Altpapier am 15. Mai 2024: Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 15. Mai 2024 Wann wird Journalismus richtig gemeinnützig?

15. Mai 2024, 10:50 Uhr

Dem Anti-Fake-News-Blog "Volksverpetzer" wurde die Gemeinnützigkeit entzogen, was erneut eine Debatte über die aktuell unklare Rechtslage von gemeinnützigen Medien auslöst. Außerdem: Eine Zwischenbilanz zu einem neuen "funk"-Kanal, der nach wie vor für Diskussionen sorgt. Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.

Porträt der Altpapier-Autorin Johanna Bernklau
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Der Volksverpetzer" verliert seine Gemeinnützigkeit

"Jetzt ist das passiert, wovor wir die ganze Zeit warnen",  schreibt "Correctiv"-Publisher David Schraven in einem Beitrag auf "LinkedIn". Was ist passiert? Der Blog "Der Volksverpetzer", der gegen Fake News und Desinformation im Netz vorgeht, gab am Dienstag bekannt, dass er seine Gemeinnützigkeit verloren hat.

Das Finanzamt deutete dem "Volksverpetzer" gegenüber an, dass "unsere Arbeit zu nah an der von Journalisten sei. Und bis jetzt gibt es noch keinen gemeinnützigen Journalismus."

Die Satzung, die sich der Blog mit seinem Entstehen 2019 gegeben und seitdem auch nicht mehr verändert hat, soll plötzlich nicht mehr als gemeinnützig gelten. Das Finanzamt habe dem "Volksverpetzer" nach der neuesten Prüfung die Gemeinnützigkeit sogar rückwirkend ab 2021 aberkannt.

David Schraven schreibt dazu weiter in seinem LinkedIn-Post: "Ohne Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus wird das weiteren Medienprojekten in Zukunft auch passieren." Schraven ist tief drin im Gemeinnützigkeits-Game: Einerseits als Publisher vom ebenfalls gemeinnützigen Medium "Correctiv", andererseits als Vorsitzender des "Forum gemeinnütziger Journalismus", das sich schon seit mehreren Jahren für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts einsetzt. Soll heißen: Nicht kommerzieller Journalismus soll rechtlich als gemeinnützig anerkannt werden.

Bereits Ende letzten Jahres hat das Forum dieses Anliegen in einem Offenen Brief formuliert, Mitglieder sind dort neben "Correctiv" und dem "Volksverpetzer" auch "netzpolitik.org", "karla", "Katapult" und "Netzwerk Recherche".

Eigentlich hätte es diesen Offenen Brief gar nicht gebraucht – die Ampel-Regierung vermerkte bereits 2021 in ihrem Koalitionsvertrag (auf Seite 97): "Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus." Passiert ist dann allerdings doch nichts.

Wer hat Angst vor gemeinnützigem Journalismus?

Es wirkt so banal: Wenn sogar Schach, Karneval und Hundesport als gemeinnützig gelten, warum dann nicht auch Journalismus?

In einer Studie der Otto Brenner Stiftung vom vergangenen Dezember wurde die Gegenposition recht eindeutig klar: Der "Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger" (BDZV) fürchtet einen Zweiklassen-Journalismus: Auf der einen Seite der gewinnorientierte Journalismus, auf der anderen "jener, der mit staatlichem Siegel gemeinnützig agiert. Schon das ist eine Diskriminierung", befand Anja Pasquay, Kommunikationschefin des BDZV.

Worauf das "Forum gemeinnütziger Journalismus" aber eine Antwort hat:

"Diese Gefahr [des Zweiklassen-Journalismus] sehen wir nicht, da erst einmal aller Journalismus grundsätzlich als gemeinnützig und förderungswürdig wahrgenommen und definiert wird. Nur wenn er auf die Gewinnentnahme verzichtet, darf er auf Basis der Abgabenordnung Steuererleichterungen wahrnehmen."

Auch zu der Frage, wer denn (wenn nicht der Staat) eine solche Gemeinnützigkeit feststellen würde, hat sich das Forum Gedanken gemacht. Eine Selbstorganisation soll Siegel für gemeinnützigen Journalismus vergeben und feststellen, wann eine journalistische Organisation Steuerbegünstigungen bekommen soll.

Der Fall des "Volksverpetzers" hat der Forderung nach einem gemeinnützigen Journalismus außerhalb der Grauzone und des Wohlwollens von Finanzbehörden nun jedenfalls wieder neuen Schwung gegeben: Das "Forum gemeinnütziger Journalismus" hat eine Petition gestartet, um die Ampelregierung und Medienministerin Claudia Roth an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erinnern.

Korrekturhinweis: In der ursprünglichen Version der Kolumne hieß es, dass das "Forum gemeinnütziger Journalismus" noch keine Antwort darauf hat, welche Selbstorganisation Kriterien für gemeinnützigen Journalismus festlegen könnte. Das war so nicht korrekt. Wir haben den Absatz entsprechend geändert und entschuldigen uns für den Fehler. 

Der neue Star von "funk"

Kaum zwei Monate Teil des "funk"-Netzwerks und schon war er Gast bei "Hart aber Fair" und wird vom "Spiegel" interviewt: Die Medienöffentlichkeit für den ostdeutschen YouTuber Alexander Prinz alias "Der dunkle Parabelritter" wächst.

Prinz galt lange als einer der größten Kritiker von "funk", bevor er Anfang März selbst dem Jugendnetzwerk von ARD und ZDF beitrat (Altpapier) – auf Wunsch seines "Heimatsenders MDR", wie er in seinem dazu veröffentlichten Video teilte.

Auf seinen Beitritt zu "funk" gab es gemischte Reaktionen aus der Community:

"Oh man, eigentlich fand ich den Parabelritter immer spannend, aber dass er jetzt für Funk arbeitet, nachdem er so viel harte Kritik geäußert hat, macht ihn leider unauthentisch."

Auf den Kommentar gab es gleich 11 Antworten, die Prinz' Entscheidung in Schutz nahmen, unter anderem diesen hier:

"Der Parabelritter hat dazu selber gesagt, dass er zwar diese einzelnen Sachen scheiße fand, das Prinzip aber gut. Und jetzt hatte er die Wahl zwischen immer weiter meckern oder selbst was verändern. Ich find’s super, dass er nun aktiv gegen die Missstände vorgehen kann, statt "nur" von außen zu kritisieren."

Der Rest der Kommentarspalte ist ein Ping-Pong zwischen für und wider:

"Mein Allergietest schlägt beim Parabelritter an."

"Der Parabelritter ist eine echte Bereicherung."

"Schade, dass so eine schwierige Person wie der Parabelritter nun Teil von Funk ist."

"Mit dem Parabelritter ist mal wieder Qualität an Bord."

Prinz arbeitet bei seinen YouTube-Videos mit reißerischen und verkürzten Titeln und erinnert damit ein bisschen an das ehemalige "funk"-Mitglied "Leeroy will’s wissen", für den es unter anderem wegen seiner unvorbereiteten Interviews, die gefühlt nur auf Clickbait aus waren, sehr viel Kritik gab.

Doch obwohl Prinz' Videos in etwa so lang sind wie die von Leeroy, schafft er es, darin deutlich mehr differenzierten Inhalt zu bringen – mal mehr und mal weniger meinungsgetrieben. Warum er trotzdem auf Clickbait-Thumbnails und stark verkürzte Intros setzt, erklärt er im Interview mit dem "Spiegel":

"Ich möchte Leute abholen, die für so etwas anfällig sind, ja. Und diesen Leuten dann die Möglichkeit geben zu überdenken, ob sie weiter so anfällig dafür sein wollen. Das ist das Publikum, das ich eigentlich erreichen will."

Sprich: Er möchte außerhalb der eigenen Bubble fischen. Ich frage mich allerdings, ob diese an sich lobenswerte Herangehensweise tatsächlich funktioniert. Überprüfen lässt sich das freilich nicht, die politische Einstellung muss man in seinem YouTube-Profil noch nicht angeben.

Seine eigene politische Einstellung möchte Prinz auch im "Spiegel"-Interview nicht verraten, stattdessen sagt er:

"Neulich war ich überrascht, als im Podcast 'Lästerschwestern' über mich gesprochen wurde und der Begriff 'Mitte rechts' fiel. Denn es gibt auch Leute, die mich als linksextrem bezeichnen. Mein Gefühl ist: Wenn ich von links und rechts beschimpft werde, ist das genau richtig. Dann habe ich mich gut eingenordet."

Wofür er auf Instagram unter einem Post von "funk" gleich wieder Kontra bekam. Eigentlich schön, wie viel Widerspruch und Diskussion der "Parabelritter" in das "funk"-Netzwerk bringt. "funk" hat damit alles richtig gemacht.


Altpapierkorb (SLAPP-Klagen, Christian Schertz, Verfrühte "FAZ"-Meldung)

+++ Die journalistische Gewerkschaft dju von verdi ruft eine "Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit" ins Leben. Damit will sie Journalisten, die von Einschüchterungsklagen (sogenannten SLAPP-Klagen) bedroht werden, unterstützen und die Pressefreiheit stärken.

+++ Passend zu Einschüchterungsklagen ging es hier auch schon gestern im Altpapierkorb um die neue ARD-Doku über Medienanwalt Christian Schertz. Ein Satz von Schertz, der mir im Gedächtnis geblieben ist: "Die wirklichen Masterpieces und Operationen am offenen Herzen sind doch die, wo es mir gelingt - auch durch Hintergrundgespräche mit Journalisten und Chefredakteuren - Veröffentlichungen zu verhindern." Kurzum: Agenda Cutting as its best, zu dem eben auch SLAPP-Klagen zählen. Die Doku ist auch heute Thema auf der "FAZ"-Medienseite.

+++ Apropos "FAZ": Der ist gestern ein kleiner Fehler unterlaufen, den Björn Höcke direkt für sich zu nutzen wusste. Die "FAZ" hatte eine Meldung über den Ausgang des Höcke-Gerichtsurteils veröffentlicht, bevor dieser überhaupt feststand. Statt die vorläufig (falsch) formulierte Meldung zu speichern, sei sie veröffentlicht worden, wird der "FAZ.net"-Ressortleiter auf dwdl.de zitiert.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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