Klage gegen Eltern Vater gegen Tochter: Kampf um den Unterhalt vor Gericht

17. April 2024, 09:00 Uhr

Lena und ihre Mutter haben lange kämpfen müssen, bis die Tochter keinen Umgang mehr mit dem Vater haben musste. Sie sagen, er habe sie gestalkt und sei gewalttätig gewesen; so haben sie es empfunden. Nun muss Lena ihm vor Gericht wieder gegenüberstehen. Es geht um den Unterhalt. Um den müssen viele junge Erwachsene kämpfen.

Wenige Monate nach ihrem 18. Geburtstag hat Lena ein Schreiben vom Familiengericht bekommen. Ihr Vater hatte ein Verfahren gegen sie angestrengt. Es geht um den Unterhalt. Vater und Tochter stehen sich vor Gericht gegenüber. "Ich muss dazu sagen, es ist so ist unfassbar emotional belastend für mich", sagt Lena. Sie habe in den vergangenen Jahren viele schlechte Erfahrungen mit Gerichten und ihrem Erzeuger - wie sie ihn nennt - sammeln müssen.

"Das war eine der schlimmsten Situationen für mich als Mutter", sagt Lenas Mutter Jessica. Die Namen sind geändert, die beiden wollen anonym bleiben. "Dass sie jetzt, als allererstes mit 18, in einem Gerichtsverfahren steht, das hätte ich ihr gerne erspart." Sie wünsche sich auch, dass dies vielen anderen Kindern erspart bliebe, wenn diese volljährig werden, so Jessica. "Und da haben wir einen ganz enormen Systemfehler. Das kann nicht sein. Wenn nachzuweisen ist, dass man eigentlich unterhaltsberechtigt ist." Aus ihrer Sicht sei es falsch, wenn so junge Menschen vor Gericht um ihre Rechte kämpfen müssten.

Jetzt mit 18 wirklich gezwungen zu werden, vor Gericht diesem Menschen wieder zu begegnen. Das ist schon wirklich belastend.

Lena über ihren Vater

Unterhaltsberechtigt sind Volljährige in der ersten Ausbildung oder Studium. Doch wenn ein Elternteil nicht zahlt, müssen die jungen Erwachsenen mögliche Unterhaltsansprüche vor dem Familiengericht selbst geltend machen. Das Jugendamt darf sie per Gesetz nicht mehr vor Gericht vertreten, kann sie aber bis zum 21. Geburtstag beraten.

Lenas Vater ist Projektleiter in der Forschung und will seine Unterhaltspflicht klären. Nach dem Abitur hatte Lena ein einjähriges Praktikum bei einer Gewerkschaft absolviert. Das erkennt der Vater aus verschiedenen Gründen nicht an.

Lena belastet das Verfahren sehr. "Jetzt mit 18 wirklich gezwungen zu werden, vor Gericht diesem Menschen wieder zu begegnen", sagt Lena. "Obwohl man sich jahrelang wirklich erkämpft hat, dass man frei von diesem Menschen leben kann." Es gibt eine Anwesenheitspflicht vor Gericht. "Beim ersten Termin hatte ich unfassbar Angst. Man muss sich vorstellen …", sagt die junge Frau und bricht unter Tränen mitten im Satz ab.

Vorwurf: Stalking nach der Trennung

Im Fall von Lena gibt es eine Vorgeschichte. Die begann mit der Trennung ihrer Eltern vor elf Jahren. Der Vater habe sie und ihre jüngere Schwester anschließend massiv gestalkt, so haben sie und ihre Mutter es empfunden. Damals war Lena neun Jahre alt. "Die Kinder wurden auf dem Schulweg, in der Schule aufgesucht. Und es war so, dass die Kinder nicht mehr alleine zur Schule gehen wollten", erzählt Mutter Jessica. Es sei über zwei Jahre gegangen. Lena habe das Haus kaum noch verlassen. Soziale Kontakte sein sehr reduziert und für die drei alles sehr belastend gewesen.

MDR Investigativ hat Lenas Vater dazu angefragt. Eine Antwort darauf bekommt die Redaktion nicht. Seine Anwältin schreibt dazu dem Familiengericht, die Vorwürfe seien wahrheitswidrig. Für den Vater gilt insoweit die Unschuldsvermutung, ebenso was die folgenden Erlebnisse anbelangt, die Lena schildert. Damals hätten die beiden Schwestern regelmäßig zum Umgang mit ihrem Vater gemusst, mit Übernachtung. Dabei sei es durch Kleinigkeiten zu heftigen Wutattacken durch den Vater gekommen, etwa durch ein versehentlich ausgeschüttetes Glas.

Ein Streit beim Zähneputzen resultierte darin, dass man so heftig rangezogen wurde, dass der komplette Schlafanzug zerfetzt war.

Lena

Lena sagt weiter: "Ein Streit beim Zähneputzen resultierte darin, dass man so heftig rangezogen wurde, dass der komplette Schlafanzug zerfetzt war und man Kratzspuren am Dekolleté hatte, weil man so heftig gepackt wurde." Für Lena sei dies schockierend gewesen. Die Anwältin des Vaters schreibt dem Familiengericht, er habe niemals Gewalt gegenüber seiner Tochter ausgeübt.

Vor Gericht: Als Kind das Fehlverhalten des Vaters auflisten müssen

Lena und ihre Schwester wollten dann nicht mehr zu ihrem Vater. Vor dem Familiengericht und bei Gutachten mussten sie deshalb immer wieder aussagen. Denn das Familiengericht war der Ansicht, der Vater habe ein Recht auf Umgang und der Kontakt mit beiden Elternteilen entspräche dem Kindeswohl. "Dieser Zwang, jedes Mal aufs Neue alles zu erzählen und dazu gezwungen zu werden, auch vor meinem Erzeuger sozusagen alles aufzulisten, was jetzt eigentlich sein Fehlverhalten ist."

Doch Lena und ihre Schwester mussten per Gerichtsbeschluss weiterhin zum Vater. Mutter Jessica, die Polizistin ist, zeigte das mutmaßliche Stalking immer wieder an. Doch die Anzeigen wurden eingestellt. Das Landeskriminalamt (LKA) sah dennoch eine hohe Gefährdung für sie und die Kinder, verhängte eine Schutzstufe. Die Mutter zog dann mit den Kindern unter Polizeischutz in ein anderes Bundesland. Erstaunlich: Das Familiengericht dort schlug einen Vergleich vor mit Umgangsausschluss. Dem stimmte der Vater zu.

Der Wechsel in das andere Bundesland hat mir und den Kindern wirklich das Leben gerettet.

Jessica Mutter von Lena

"Der Wechsel in das andere Bundesland hat mir und den Kindern wirklich das Leben gerettet", sagt Jessica. "Deshalb ist es für mich wirklich dramatisch, rückblickend betrachtet, dass die Verfahrensweisen, wie mit solchen Schicksalen umgegangen wird, auch absolut länderabhängig sind."

Nach zwei Jahren kehrten die drei wieder in die Heimat zurück. Nun herrschte auch dort Ruhe und so etwas wie Normalität kehrte ein. Lena fing das Tanzen im Verein an, ging aufs Gymnasium, pflegte Freundschaften. Doch dann bekam sie den Brief mit dem Gerichtstermin, Streit um die Unterhaltspflicht. Der Schutzstatus des LKA war inzwischen ausgelaufen. Vor dem Familiengericht musste Lena all ihre Daten offenlegen. "Was passiert denn, wenn es jetzt wieder von vorne losgeht?", fragte sich Lena damals. "Natürlich löst es auch wirklich, wirklich Angst im Hinterkopf aus."

Viele junge Erwachsene müssen um Unterhalt kämpfen

Mit dem Kampf um den Unterhalt, der ihr möglicherweise zusteht, ist Lena nicht allein. Der Alltagskulturforscher von der Universität Wien, Felix Gaillinger, hat darüber ein Buch geschrieben. Er hat herausgefunden: Allein im Jugendamt München werden pro Jahr rund 1.700 Beratungen zu diesem Thema durchgeführt. "Es ist wichtig zu verstehen, dass Unterhaltskonflikte junger Volljähriger eine häufig auftretende Thematik sind, die auch gehört werden sollte. In der Politik wird darüber gerade kaum bis gar nicht gesprochen."

Im Bundesjustizministerium wird unter Minister Marco Buschmann (FDP) gerade an einer Reform des Unterhaltsrechtes gearbeitet. Ein Eckpunktepapier dazu liegt vor. Allerdings: Das Problem der jungen Volljährigen wird darin nicht berücksichtigt. Eine Möglichkeit wäre, ihre rechtliche Vertretung durch das Jugendamt zu verlängern bis zum Ende ihrer ersten Ausbildung, ebenso den Beratungsanspruch über den 21. Geburtstag hinaus.

Das Bundesministerium der Justiz antwortet auf Anfrage des MDR zum geplanten Gesetzentwurf: "Es ist wichtig, jungen Erwachsenen gute Instrumentarien an die Hand zu geben, um sich gut beraten zu lassen und den Unterhalt geltend machen zu können. Das geltende Recht bietet hierzu (…) ausreichende Möglichkeiten."

Fehlendes Geld und emotionale Belastung

Doch: Betroffene sind durch den Rechtsstreit und die emotionale Belastung schlechter aufgestellt als andere Studierende oder Azubis, findet Experte Gaillinger: "Weil sie sehr viel mehr Kapazitäten einerseits in den Rechtsstreit investieren müssen." Hinzu kommt: "Um das fehlende Geld auszugleichen, müssen sie arbeiten gehen und sich noch dazu einem Vollzeitstudium widmen."

Wie etwa bei Lena: Sie studiert inzwischen Jura. Doch Unterhalt vom Vater bekommt sie momentan nicht. Auch zum gesamten Thema Unterhalt hat MDR Investigativ ihn angefragt. Die Anwältin schreibt dem Gericht, dass er bis Mai 2023 zuverlässig bezahlt habe, aber dass er Lena aktuell nicht als unterhaltsberechtigt ansehe. Für Tablet und Laptop musste Lena ihre kompletten Ersparnisse aufbrauchen.

"Ich würde sagen, es kommt auch eine gewisse Art von Wut auf", sagt Lena. Sie fühle sich hilflos und allein gelassen gerade aufgrund der Vorgeschichte. "Dass man nichts dagegen tun kann, das war schon niederschmetternd." Der Prozess zur möglichen Unterhaltspflicht des Vaters läuft noch. Es stehen noch weitere Gerichtstermine an. Lena ist inzwischen 20. Finanziert wird sie derzeit von der Mutter komplett alleine.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 10. April 2024 | 20:15 Uhr

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