Günther Zech guckt streng.
Günther Zech und seine Frau Else wollen ihr zu Hause nicht verlassen. Sie sind in Mühlrose geboren und wollen auch dort begraben werden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Braunkohle Ein letztes Dorf für die Kohle: Muss Mühlrose weggebaggert werden?

02. März 2023, 05:00 Uhr

Wochenlang war Lützerath in Nordrhein-Westfalen im Fokus, doch auch in Sachsen soll noch ein Ort weggebaggert werden: Mühlrose. Nur wenige Menschen wohnen noch in dem Dorf in der Lausitz. Viele Häuser sind bereits abgerissen. Dennoch stellt sich auch dort die Frage: Braucht es diese Kohle noch – oder gibt es sogar längst andere Pläne für den Ort?

An den blassen roten Backsteinen prangt ein Kreuz aus gelben Latten. Es ist ein stilles Zeichen des Widerstandes. Günther Zech und seine Frau Else wollen ihr Haus nicht verlassen. Der 84-Jährige lebt bereits in dritter Generation auf dem Hof in Mühlrose. "Wir sind hier geboren und wollen auch auf unserem Friedhof unter die Erde kommen", sagt der Rentner und stützt sich auf seine Krücke. Doch Mühlrose am Rande von Sachsen soll abgebaggert werden. Es heißt, das Dorf soll einer der letzten Orte sein, die der Kohle weichen müssten – doch stimmt das?

Das Dorf in der Lausitz bei Bautzen ist bereits von drei Seiten durch die riesigen Bagger in den tiefen Löchern des Braunkohletagebaus Nochten umgeben. Dessen Eigentümer ist das Energieunternehmen LEAG, das Teil einer tschechischen Unternehmensgruppe ist. Die LEAG will den Tagebau erweitern und die Kohle unter Mühlrose abbaggern. Nach Schätzungen des Unternehmens sind das 150 Millionen Tonnen.

Mühlrose: Bislang keine Genehmigung zum Abbaggern

Günther und Else Zech haben für ihre Heimat noch eine große Hoffnung: "Dass man sagt: Die Kohle unter Mühlrose wird nicht mehr gebraucht", erklärt er. Seit Jahrzehnten geht es in dem Ort darum, ob das Dorf nun für die Kohle abgerissen wird oder nicht. 2014 hatte das Innenministerium von Sachsen, in dem immer noch geltenden Braunkohlenplan, die Fläche von Mühlrose für einen möglichen Kohleabbau freigegeben. Das war allerdings noch keine Genehmigung zum Abbau. Bis heute ist nach wie vor unklar, ob das Dorf abgebaggert werden soll.

Fest steht: Seit 2020 wird das Jahrhunderte alte Mühlrose Stück für Stück abgerissen. Damit womöglich eines Tages Kohle unter dem Dorf abgebaut werden kann. Wo einst Häuser standen, sind an vielen Stellen mittlerweile brache Flächen unter dünnem Grün. Von den rund 200 Einwohnern werden die allermeisten bis Ende 2024 gehen. Um das Ehepaar Zech wird es immer einsamer – und ungemütlicher. "Alle halbe Stunde fahren Sie hier mit einem Radlader mit Schrott vorbei", berichtet Günther Zech. Weiter hinten stünden Container. Es würde ordentlich beim Abladen krachen. "Das ist ganz schön belastend."

Umsiedlung auch ohne Genehmigung möglich

2019 hatte die LEAG in der Gaststätte von Mühlrose – in Anwesenheit von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) – einen Umsiedlungsvertrag unterzeichnet. Der Mühlrose-Vertrag besagt, dass die Dorfbewohner, die gehen wollen, Entschädigungszahlungen von der LEAG bekommen. Das Unternehmen darf den Einwohnern von Mühlrose ihre Häuser und Grundstücke abkaufen, auch wenn eine Genehmigung zum Abbaggern immer noch nicht da ist.

Diese 15 Jahre haben mich mehr Nerven gekostet als die Erziehung von zwei erwachsenen Töchtern.

Claudia Paufler Einwohnerin

Für viele Einwohner war das nach Jahren der Unsicherheit eine gute Nachricht. "Uns ist ein Riesen-Stein vom Herzen gefallen", sagte Claudia Paufler damals im Gasthof. "Diese 15 Jahre haben mich mehr Nerven gekostet als die Erziehung von zwei erwachsenen Töchtern."

Das neue Mühlrose: Siedlung mit Einfamilienhäusern

Nur sechs Kilometer vom alten Dorf entfernt ist inzwischen ein neues Mühlrose entstanden – eine Neubau-Siedlung mit Einfamilienhäusern. Dort wohnt seit anderthalb Jahren auch das Ehepaar Paufler. Ihr neues Haus hat über 150 Quadratmeter und das Grundstück fast 1.000. Ihr zu Hause ist damit in etwa so groß geblieben wie zuvor. Nur: Jetzt ist alles auf dem neuesten Stand. Weiße Wände, frische Böden, fünf Zimmer, zwei Bäder und ohne Neuverschuldung.

Im alten Mühlrose hatte das Ehepaar Paufler den alten Kindergarten bewohnt. "Den haben wir auch umgebaut", sagt Ernst-Gerd Paufler. Das sei 1996 gewesen und auch wie ein Neubau gewesen. "Aber ich hätte jetzt wieder so viel Geld reinstecken müssen nach 26 Jahren." Zudem sei der Tagebau immer näher gerückt. Das Ehepaar ist zufrieden mit dem neuen Haus.

Nach Ansicht der Pauflers hat auch die Dorf-Gemeinschaft nicht unter der Umsiedlung gelitten. "Wir konnten uns die Nachbarn aussuchen. Wen wir gerne haben möchten, wen wir nicht haben möchten", erzählt Claudia Paufler. Es seien fast alle so zusammengeblieben wie zuvor. "Und das ist das Schöne hier im neuen Mühlrose, dass wir alle enger zusammen sind."

Umweltverbände kritisieren Vorgehen der LEAG

Der Umsiedlungsvertrag bescherte denen, die gehen wollten ein neues zu Hause. Doch eigentlich wäre der Mühlrose-Vertrag laut Umweltverbänden noch gar nicht an der Reihe. Denn üblicherweise beantragt das Kohleunternehmen nach dem Braunkohlenplan eine Genehmigung zum Abbaggern – und erst danach kommt die Umsiedlung.

Im Fall von Mühlrose hat die LEAG allerdings den zweiten vor dem dritten Schritt getan, einen Umsiedlungsvertag geschlossen, ohne eine Genehmigung zum Abbaggern zu haben. Wenn man bedenkt, dass der Braunkohlenplan von 2014 gerade überarbeitet wird – dann ließe sich sogar behaupten, dass Schritt drei vor Schritt eins gemacht wurde.

Die LEAG teilt dazu schriftlich mit: Dass es "(…) auch bei früheren Umsiedlungen in der Lausitz üblich (war), dass bereits mit dem bestätigten Braunkohlenplan mit den Vorbereitungen für die Umsiedlung begonnen wurde, ohne dass bereits ein genehmigter Rahmenbetriebsplan vorgelegen hätte."

Sachsen: In der Landesregierung herrscht Uneinigkeit über Mühlrose

Der Konzern verfolgt also offenbar weiterhin den Plan, das Dorf abzubaggern. Der Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2038 ist längst beschlossen. Grünen-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck pocht sogar auf ein früheres Ende der Kohle – auch im Osten bis 2030.

Dennoch: In Sachsen ist die Landesregierung uneinig über die Zukunft von Mühlrose. Während das Wirtschaftsministerium mit der Kohle unter dem Dorf plant, geht der Umweltminister davon aus, dass es keine Genehmigung zum Abbaggern geben wird.

"Wir haben hier im Koalitionsvertrag in Sachsen eine ganz klare Vereinbarung", sagt Umweltminister Wolfram Günther (Die Grünen). "Dass in Sachsen, unter Ortslagen in der Lausitz nur das abgebaggert wird, und auch nur Orte umgesiedelt werden, wo die Kohle noch gebraucht wird. Wir gehen davon aus, dass diese Kohle nicht gebraucht wird."

Das Wirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage von MDR Investigativ, dass gesetzlich festgelegt sei, dass das Kraftwerk Boxberg bis 2038 betrieben werden soll. Für dessen Versorgung sei der Tagebau Nochten verantwortlich. "Der Weiterbetrieb des Tagebaues setzt die Verfügbarkeit der Kohle aus dem Teilfeld Mühlrose zwingend voraus."

Studie: Kohle unter dem Dorf wird nicht gebraucht

Die Forschungsgruppe "Fossil Exit" beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Kohleausstieg und hat auch eine Studie zu Mühlrose erstellt. Deren Leiter sagt: "Unsere Studien zeigen, dass die Kohle, die unter dem Dorf liegt, aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht mehr benötigt wird und es dementsprechend keine Notwendigkeit gibt, das Dorf zu zerstören", so Pao-Yu Oei von der Universität Flensburg.

Auch betriebswirtschaftlich würde sich das Abbauen der Kohle unter Mühlrose nicht lohnen. "Einfach weil der CO2-Preis so teuer sein wird in den Dreißiger Jahren, dass Kohleverstromung einfach zu teuer ist", sagt Pao-Yu Oei, Professor für Nachhaltige Energiewende Ökonomie. "Und es ist so, dass, wenn ich die Kohle unter dem Dorf mit verbrennen würde, ich auch Klimaschutzziele eben nicht mehr einhalten kann."

LEAG plant Solar- und Windpark in der Lausitz

Doch warum gibt es trotz allem eine Umsiedlung, die das Unternehmen LEAG vermutlich mehrere Millionen Euro kostet? "Es kann natürlich sein – und es wäre nicht das erste Mal –, dass das Dorf als Spekulationsobjekt benutzt wird", sagt der Vorsitzende des Umweltverbandes "Grüne Liga", René Schuster. So werde versucht bei einem früheren Kohleausstieg, "noch nicht gerechtfertigte Entschädigungszahlungen oder andere Zugeständnisse der Bundespolitik heraus zu handeln." Auf Nachfrage dazu reagierte die LEAG nicht.

Für einen Windpark kann man in Deutschland keine Menschen zwangsumsiedeln und das ist auch gut so.

René Schuster Umweltverband "Grüne Liga"

Doch es ist nicht die einzige Theorie, die über das Dorf gerade in der Region kursiert: René Schuster erzählt gegenüber MDR Investigativ von einem möglichen Windpark auf der Fläche von Mühlrose. "Dann hätten wir natürlich die Situation: Für einen Windpark kann man in Deutschland keine Menschen zwangsumsiedeln und das ist auch gut so."

Manche Einwohner wollen in Mühlrose bleiben

Bei den Recherchen findet MDR Investigativ einen Handelsregister-Eintrag mit dem Namen "Windpark Mühlrose Beteiligungs GmbH". Die LEAG schreibt, dass das keines ihrer Unternehmen sei und sie sich deswegen nicht dazu äußern könne. Fest steht allerdings, dass die LEAG in der Lausitz ihre sogenannte "GigaWattFactory" plant – einen riesigen Solar- und Windpark, der bis 2030 auf ehemaligen Bergbauflächen entstehen soll.

Windpark oder Kohle? Für das Ehepaar Zech spielt es keine Rolle, wofür sie am Ende ihr Dorf verlassen sollen. Anfang des Jahres haben sie die Proteste von Klimaaktivisten im nordrhein-westfälischen Lützerath verfolgt. "Um uns kümmert sich hier keiner komischerweise. Ich begreife das nicht", sagt Günther Zech und sitzt neben dem gekachelten Herd mit schmiedeeisernen Platten. Sie wünschen sich mehr Aufmerksamkeit. Doch für ihn und seine Frau steht fest: Sie werden bleiben. "Denn das ist meine Heimat. Und ich will unter der Erde von Mühlrose begraben werden. So sieht das nämlich aus."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 01. März 2023 | 20:15 Uhr

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