Pretzsch: Darf ich Sie, Her Guhl, um eine Einschätzung Ihrer Zusammenarbeit mit den Musikstudenten bitten?
Guhl: Gerne, soweit es sich um meine Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr handelt, denn über das diesjährige Konzert zu sprechen, ist deshalb nicht möglich, weil diese Zeilen schon vor Beginn der Probenarbeit im Druck sein müssen. Auf alle Fälle möchte ich feststellen, dass das Wetteifern der Musikstudenten im Rahmen eines jährlichen Konzerts "Zauber der Musik" eine hervorragende Einrichtung ist, die gleichermaßen für die Zuhörer interessant wie für die Studenten nützlich ist. Ich begrüße diese Einrichtung sehr und bin mir mit den Mitgliedern des Großen Rundfunkorchesters Leipzig einig in der Zielsetzung, diese Konzerte besonders erfolgreich zu gestalten, denn was könnte es für uns Wichtigeres ergeben, als unseren eigenen künftigen Kollegen fördernd zur Seite zu stehen.
Pretzsch: Wie drückt sich die Förderung in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit aus?
Guhl: Zunächst einmal rein zeitlich dadurch, dass für ein Konzert mit den Musikstudenten mehr Proben angesetzt sind als normalerweise für ein Programm ähnlichen solistischen Charakters. Das hat nicht etwa seine Ursache darin, dass die Studenten ihr Stück nicht beherrschten. Ganz im Gegenteil möchte ich zur Ehre unserer jungen Künstler und ihrer Hochschulpädagogen ausdrücklich feststellen, dass - bisher wenigstens - ausnahmslos alle Studenten bestens vorbereitet zu Probe kamen und eine sichere Leistung zeigten. Der Mehraufwand an Proben ist gerade umgekehrt insofern notwendig, als es darauf ankommt, die gezeigte Leistung in ihrer ganzen Eigenart erst einmal genauestens kennenzulernen und dann vorsichtig abtastend, sie nach Möglichkeit noch zu steigern.
Pretzsch: Darf ich aus Ihren Worten schließen, dass Sie als Dirigent Ihre eigenen künstlerischen Absichten hinter die des betreffenden jungen Solisten zurückstellen?
Guhl: Im Grunde ist es so, wenn auch mit Unterschieden. Die Unterschiede resultieren aus dem individuellen Charakter, dem künstlerischen Temperament, der geistigen Reife, dem instrumentaltechnischen Können, dem Alter, dem Studienjahr - kurz, aus dem Gesamtbild der jungen Künstlerpersönlichkeit. Fünfzehn junge Solisten an einem Abend zu begleiten, heißt für mich und die Musiker des Großen Rundfunkorchesters, fünfzehnmal auf das künstlerische Eigenleben junger Persönlichkeiten einzugehen. Dabei kann es vorkommen, dass man den einen vielleicht etwas bremsen, den zweiten antreiben, den dritten recht vorsichtig begleiten, den vierten stärker stützen muss - aber wie immer der jeweilige Solist in den wenigen entscheidenden Minuten seines Podiumsauftritts seine Darbietung auch anlegt, er muss die Gewissheit haben, dass ihn das Orchester auf keinen Fall im Stich lässt. Und daher die intensive Probenarbeit.
Pretzsch: Gibt es von Ihrer Sicht her Vorschläge für die Verbesserung der Programme?
Guhl: Zumindest einen Ratschlag. Davon ausgehend, dass bestimmte Standardtitel laufend in den Rundfunkprogrammen auftauchen und dort von Künstlern vorgetragen werden, die internationalen Ruf besitzen, möchte ich sagen, dass mancher junge Künstler, besonders Sänger, sich schon um den vollen Erfolg gebracht hat, weil seine Interpretation anders - ich will gar nicht sagen, schlechter, sondern eben anders war als die im Ohr haftende "Idealleistung". Die Musikliteratur ist schließlich groß genug, als dass nicht ein junger Künstler auch weniger gängige Programmnummern in Hülle und Fülle vorschlagen könnte.
Pretzsch: Ich möchte Ihren sehr gut gemeinten Ratschlag aufgreifen und ihn noch erweitern. Wie wäre es denn, wenn unsere jungen Künstler, sich mehr für das zeitgenössische Musikschaffen einsetzen würden? Ich darf vielleicht als konkretes Beispiel die Vorschläge der Musikhochschulen für das diesjährige Konzert wiedergeben. Von den vier Musikhochschulen der DDR, denen die Auswahl sowohl der Studenten als auch der Programmnummern frei überlassen bleibt, wurden vorgeschlagen 27 Studenten mit insgesamt 61 Programmnummern. Von den 61 Programmnummern entfallen ganze fünf auf Werke lebender Komponisten. Das erscheint mir entschieden zu wenig.
Guhl: Völlig richtig. Denn wenn man nun noch die Besonderheiten bei der Aufstellung eines Programms "Zauber der Musik" berücksichtigt, so ergab sich in diesem Jahr, dass am Schluss keiner der an sich begrüßenswerten Vorschläge zu verwenden war. Das eine Werk schied aus, weil es in seiner großen dreisätzigen Form den Rahmen des Programms gesprengt hätte, das zweite, weil mehrfache, qualitativ unterschiedliche Nennungen für das gleiche Instrument vorlagen, das dritte weil sowohl Instrument als auch Komposition einen für andere Veranstaltungen zweifellos geeigneten, für "Zauber der Musik" aber allzu "unterhaltsamen" Charakter trugen und so weiter. So ist es gekommen, dass im diesjährigen Programm mir und dem Großen Rundfunkorchester Leipzig die Aufgabe zugefallen ist, in der einleitenden und der abschließenden Orchesternummer das Schaffen lebender Komponisten zu vertreten - eine Sache, die wir gern übernehmen in der Hoffnung, dass im nächsten Jahr die jungen Solisten das als ihre ureigene Angelegenheit betrachten. Trotz dieses Einwandes aber möchte ich, wenn ich unser Gespräch zum Abschluss bringen darf, ausdrücklich sagen, dass wir, die Mitglieder des Großen Rundfunkorchesters und ich, uns auf die Zusammenarbeit mit den jungen Künstlern wiederum freuen. Die ausgezeichneten menschlichen und künstlerischen Kontakte, die sich bisher immer angesponnen haben und deren wir bestimmt wieder neue anknüpfen werden, sollen auch im diesjährigen Konzert wie ich hoffe ihre Wirkung vom Podium zum Zuhörerraum und zurück nicht verfehlen.