Ein Mann schneidet einer Frau die Haare. 3 min
Eric will in seinem Ausbildungsbetrieb bleiben. Er ist damit einer von drei. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Fachkräftemangel Was der Weggang eines Azubis für einen Handwerksbetrieb bedeutet

11. September 2023, 16:20 Uhr

Mehrere Zehntausend Euro kostet ein Azubi den Ausbildungsbetrieb. Leisten kann sich der Betrieb das nur, wenn der Betrieb auch durchweg Gewinne erzielt. Wenn der Azubi am Ende bleibt, ist das ein Gewinn. Wenn er allerdings geht oder die Ausbildung abbricht, ist das Geld verloren. Zwei Ausbilder und ihre Azubis erzählen.

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Die Johanniskirche in Magdeburg ist voller Menschen. Viele Eltern sind gekommen, um zu sehen, wie ihre Kinder in die Gesellschaft entlassen werden. Klingt nach Jugendweihe, doch die "Kinder", von denen die Rede ist, sind alle über 18 Jahre alt und haben gerade ihre Ausbildung in einem Handwerksberuf erfolgreich beendet. Nun werden sie "freigesprochen" und laut der mittelalterlichen Tradition als Handwerker in die Gesellschaft übergeben.

Im Publikum sitzt ein Mann und lächelt.
Eric hat eine Ausbildung zum Frisör beendet. Er wartet auf seinen Gesellenbrief. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Das Vorprogramm bestehend aus Gesang und verschiedenen Reden ist in vollem Gange. Einer der Azubis, der voller Vorfreude im Publikum sitzt, ist Eric. Der junge Mann ist einer von 102 Azubis aus 70 Ausbildungsbetrieben, die von der Kreishandwerkerschaft Elbe-Börde an diesem Tag freigesprochen werden. Seine Ausbildung hat er in einem Frisörsalon in Magdeburg gemacht und dort war der junge Azubi sogar noch vor der Freisprechung tätig.

Fachkräftemangel und teure Ausbildung im Handwerk

Ein paar Stunden zuvor. Im Frisörsalon in der Keplerstraße in Magdeburg ist es wuselig. Haare fallen zu Boden, Menschen erzählen wild durcheinander, ein Föhn taucht den Salon in eine wohlige Wärme. Mittendrin ist Eric. Er schneidet einer Kundin die Haare. Das Handwerk des Frisörs zu erlernen war sein Traum, erklärt er MDR SACHSEN-ANHALT: "Meine Mama war auch Frisörin. Das hat mich schon als kleines Kind interessiert. Irgendwann habe ich entschieden, dass ich das auch mache."

Nach seiner dreijährigen Ausbildung hat Eric sogar das Glück, von dem Salon übernommen zu werden – und auch Eric will bleiben. "Bei uns im Salon ist ein sehr schönes Ambiente und wir machen auch ständig Weiterbildungen. Das hat mich überzeugt", sagt er. Für die Besitzerin und Ausbilderin des Salons, Katrin Wilke, ist es in Zeiten des Arbeitskräftemangels besonders toll, wenn man neue Mitarbeiter gewinnen kann, erklärt sie MDR SACHSEN-ANHALT. Eric ist damit der dritte Azubi, der in ihrem Laden bleibt. Über die Jahre hat sie insgesamt schon 30 Azubis ausgebildet.

Ein Frisörset.
Mit Schere und Kamm arbeitet Eric – sein Werkzeug. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Arbeitskräftemangel ist hier ein gutes Stichwort. Während es vor 13 Jahren im Jahr 2010 in Sachsen-Anhalt noch insgesamt 11.286 Auszubildende im Handwerk gab, davon 8.742 männlich und 2.544 weiblich, sind es im Jahr 2022 nur noch 7.020. Das zeigen Zahlen des Statistischen Landesamts Sachsen-Anhalt.

Dass ein Azubi bleibt, ist nicht nur wegen des Mangels ein Gewinn, sondern auch, weil die Ausbildung eines Azubis mehrere Zehntausende Euro kostet. Wilke überschlägt: Ihr zufolge hat Erics Ausbildung um die 40.000 Euro gekostet. Bis sich Erics Ausbildung also für den Salon tatsächlich rechnet, dauert es zwei Jahre. Denn Eric muss sich erstmal einen festen Kundenstamm erarbeiten, so die Ausbilderin.

Eine Frau und ein Mann umarmen sich als Beglückwünschung.
Eric bleibt seinem Ausbildungsbetrieb auch nach der Lehre erhalten. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Leisten kann sich ein Betrieb die Ausbildung, wenn er Gewinn macht

Preislich sind laut Handwerkskammer Magdeburg viele Ausbildungsberufe ähnlich intensiv. So kostet die Ausbildung eines Malers und Lackierers ca. 35.000 Euro, die zum Metallbauer gut 32.000 Euro und die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker sogar 42.000 Euro. Hinzukommen laut der Kammer dann noch die Kosten für Werkzeug, Bekleidung, Mobilität des Azubis, zusätzliche Betriebskosten und Weiterbildungen.

Zwei Frisöre suchen Farben aus.
Rund 40.000 Euro kostet Erics Ausbildung. Katrin Wilke bildet gern aus und freut sich, dass Eric bleibt. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Das Problem: Die Kosten müssen vom Betrieb selbst finanziert werden. Laut Sachsen-Anhalts Ministerium für Wirtschaft gibt es auch keinerlei Förderungen, von denen die Betriebe Gebrauch machen könnten. Gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT heißt es: "Es gibt keine direkte finanzielle Unterstützung für die Ausbildungsvergütung während der Ausbildung." Gefördert werden demnach vom Land oder Bund Zusatzkurse in der handwerklichen Ausbildung und die überbetriebliche Lehrunterweisung – ein bundeseinheitlicher Kurs, der Spezialisierungen von kleinen Handwerksbetrieben ausgleichen soll.

Der jeweilige Ausbildungsbetrieb finanziert neben seinen Kosten automatisch den Lehrling mit. Das Geld kommt aus den gesamten Einnahmen, die der Betrieb erwirtschaftet.

Konrad Zahn Vorstandsvorsitzender der Kreishandwerkerschaft Elbe-Börde

Dass es keine allgemeine finanzielle Unterstützung für die Ausbildungsbetriebe gibt, findet Konrad Zahn nicht gut. Er ist Vorstandsvorsitzender der Kreishandwerkerschaft Elbe-Börde und für die Freisprechungen der Azubis zuständig. Er erklärt MDR SACHSEN-ANHALT, dass aufgrund der hohen Kosten folglich nur Betriebe ausbilden können, die auch ein "finanziell positives Ergebnis" erzielen. "Der jeweilige Ausbildungsbetrieb finanziert neben seinen Kosten automatisch den Lehrling mit. Das Geld kommt aus den gesamten Einnahmen, die der Betrieb erwirtschaftet", so Zahn.

Wenn der Azubi geht, bleibt er meist immerhin im Handwerk

Ein Tischlerazubi schaut seinem Meister zu.
Tischler Jens Werner hat es schlecht getroffen. Sein Azubi ist nach der Ausbildung nicht bei ihm geblieben. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Zurück im Frisörsalon. Eric und Katrin Wilke sammeln mittlerweile Haarfarben aus einem Regal zusammen. Für sie ist klar: "Ich bilde gerne Lehrlinge aus und wenn es dann so ist, dass der Lehrling auch bleibt, ist es natürlich wie ein Geschenk", freut sich Wilke. Während sich für die Ausbilderin des Salons ein positives Bild abzeichnet, sieht es in einem Tischlereibetrieb in Magdeburg ein paar Stadtteile weiter südlich eher anders aus.

Von zwei Auszubildenden in der Tischlerei von Jens Werner, ist hier nur noch einer übrig. Der Azubi, der gegangen ist, ist jetzt auf der Waltz, möchte sich weiterbilden und noch andere Betriebe kennenlernen, so Werner. Die Kosten für die Ausbildung zum Tischler: Etwa 40.000 Euro, erklärt Werner.

Die Ausbildung ist ja nicht nur für mich, sondern es ist ja fürs ganze Handwerk – und er bleibt ja im Handwerk.

Jens Werner Tischlereimeister aus Magdeburg
Zwei Tischler arbeiten an einer Tür.
Ludwig Mantei weiß noch nicht genau, ob er bei Werner bleiben will. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Dass der Azubi die Ausbildung beendet hat und dann gegangen ist, sieht er mit gemischten Gefühlen. "Man kann das ja nicht ändern. Vielleicht hat man die Chance, dass er irgendwann einmal zurückkommt. Das er sagt: 'Mensch, jetzt habe ich genug gelernt oder gesehen. Wie sieht es denn aus?'", so der Ausbilder. Doch eine Sache macht Werner an der Stelle dennoch gute Laune: "Die Ausbildung ist ja nicht nur für mich, sondern es ist ja fürs ganze Handwerk – und er bleibt ja im Handwerk."

Ob der zweite Auszubildende bei seinem Meister bleiben will, ist diesem selbst noch nicht ganz klar. Ludwig Mantei ist aktuell im zweiten Lehrjahr. Er hat noch keinen genauen Plan: "Eine Überlegung ist auf jeden Fall, den Meister zu machen. Vielleicht kann man sich dann selbständig machen. Das ist für die Zukunft ganz gut. Aber ein Studium würde ich eigentlich auch ganz gern noch mal mitnehmen", sagt er. Eine Sache weiß er allerdings sicher: Er will nach der Ausbildung auf jeden Fall weiter als Tischler tätig sein.

Ein neuer Lebensabschnitt

Ein Mann hält eine Urkunde und lächelt.
Eric wurde nach mittelalterlicher Tradition freigesprochen. Im Jahr 2022 bestanden 1.473 Azubis aus Sachsen-Anhalt ihre Abschlussprüfung. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Apropos nach der Ausbildung: In der Johanniskirche in Magdeburg ist das Rahmenprogramm durch und die letzte Rede wurde gehalten. Jetzt geht es nur noch um die Azubis. Eric, der mit seiner Ausbilderin Katrin Wilke gekommen ist, darf in der Kategorie "Frisör und Kosmetik" als erstes auf die Bühne. Stolz nimmt er seine Gesellenurkunde entgegen. Dann ein erleichterter Blick rüber zu seiner Ausbilderin und Chefin, der sagt: "Geschafft, endlich bin ich angekommen!"

Das Thema bei FAKT IST!

Um den Fachkräftemangel im Handwerk sowie Ursachen und Lösungswege geht es am Montag (11. September 2023) auch bei "Fakt Ist" aus Magdeburg. Sehen Sie die Sendung ab 20:30 Uhr im Livestream auf mdr.de oder um 22:10 Uhr im MDR-Fernsehen.

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MDR (Maximilian Fürstenberg)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. September 2023 | 19:00 Uhr

25 Kommentare

astrodon vor 33 Wochen

@Ik2001: Von 260 Arbeitstagen gehen 25 Tage Urlaunb ab, bleiben 235. Ok, an weiteren 35 Tage sind Ferien, da arbeitet der Azubi. Von den verbleibenden 200 Tage ist er ca. 80 Tage in der Berufsschule. In der Praxis ist er also 120+35 =155 Tage oder 1240 Std. oder 100 Std. pro Monat (abgerundet für Feiertage und auch mal Krankheit)
Wenn der Geselle mit 50€ berechnet ist, darf für den Azubi 45~65%, je nach Ausbildungsstand, mithin also ein Satz von 22~32€. Bei den o.a. 100 Stunden wären das 2200€ ~ 3200€ UMSATZ. Da weder Gesellen noch Azubis 100% ihrer Arbeitszeit abgerechnet werden (können) sind 1650~2400€ (75%) realistisch.
Bei einer Vergütung von 1075€ (Durchschnitt aus den Handwerksberufen Zimmerer, Maurer, Fliesenleger, Dachdecker , Klempner, Tischler im Jahr 2022)
zzgl. 20% Sozialabgaben (müssen Azubis auch zahlen!), dazu Versicherungen, Kammerbeiträge, Werkzeug, Arbeitskleidung, Schutzausrüstung, und, und, und ... dürfen Sie gern überlegen, was da tatsächlich übrigbleibt: NIX!

Anita L. vor 33 Wochen

@ralf meier, man kann darauf achten, dass der Betrieb grundsätzlich gewillt ist, Azubis auszubilden. Selbst wenn mal ein Jahr oder zwei kein Ausbildungsverhältnis zustandekommt.

Anita L. vor 33 Wochen

"lieber von Sozialhilfe leben" - Da gibt es auch eine Menge junge Männer, die schon länger als nur ein paar Jahren in Deutschland leben (quasi seit ihrer Geburt) und nicht arbeiten wollen.

"längst die Sprache beherrschen müssten" - sag ich mir auch, wenn ich die Bemühungen so mancher toitscher Sprösslinge vor mir habe.

Hunderttausende junge Männer - den Artikel "Bilanz: Was aus den Geflüchteten von 2015 und 2016 geworden ist" vom 9.9.23 haben Sie verpasst?

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