Ein mittelalterliches Buch liegt aufgeschlagen zur Ansicht. 4 min
Diese Dilherr-Bibel ist eines der wertvollsten Stücke, das bei der Suche nach Eigentum der Stendaler Freimaurer entdeckt wurde. Einst lag sie im Tempelraum der Freimaurer. Bildrechte: MDR/Katharina Häckl
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Inwiefern schlummern in der Nazizeit beschlagnahmte Exponate noch heute in Museen? In Stendal erforscht man Gegenstände der Freimaurer, die durch die Nazis aufgelöst wurden. Katharina Häckl hat die Kultobjekte gesehen.

MDR KULTUR - Das Radio So 28.04.2024 13:10Uhr 03:59 min

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NS-Raubgut Wie die Freimaurer in Stendal ihre Kultgegenstände vor den Nazis retteten

27. April 2024, 04:00 Uhr

Im Altmärkischen Museum zu Stendal hat man ein völlig neues Kapitel der Provenienzforschung zu NS-Raubgut aufgeschlagen: Man sucht Eigentum der Stendaler Freimaurer. Durch die Nationalsozialisten wurde das geheimnisvolle, humanistische Netzwerk damals zerstört. In Stendal jedoch konnten einige Gegenstände gerettet werden. Eine Historikerin folgt nun ihre Spur.

"Vorsicht! Die ist schon sehr mitgenommen!", warnt Corrie Leitz. Da blättert sie lieber selbst in dem dicken großen Buch mit dem etwas zerfledderten Leder-Einband. "Herausgegeben in Nürnberg 1693!" Die Dilherr-Bibel ist eines der wertvollsten Stücke, die die Historikerin auf ihrer Suche nach Eigentum der Stendaler Freimaurer entdeckt hat. Die Bibel aus dem Tempel der Freimaurerloge in Stendal lag im Altmärkischen Museum. Corrie Leitz hat das alte Buch sogar im Zugangsverzeichnis von 1936 gefunden – "eine kleine Sensation, wenn man als Provenienzforscher unterwegs ist".

Aus dem Depot des Museums in Stendal sind noch andere Stücke wieder aufgetaucht: personalisierte, dickwandige Trinkgläser mit typischen Freimaurer-Gravuren, hunderte Bücher (und etwa Tausend lagern noch in sieben Kisten im Bundesarchiv in Berlin), Freimaurer-Schürzen und -zirkel.

Corrie Leitz, eine ältere Frau mit kurzen, braunen Haaren steht vor einer Museumsvitrine mit kunstvollen Trinkgläsern.
Corrie Leitz forscht im Altmärkischen Museum in Stendal zum Verbleib des Freimaurer-Eigentums nach deren erzwungener Auflösung. Bildrechte: MDR/Katharina Häckl

Nationalsozialisten zerstörten Freimaurer-Netzwerk

Wäre es nach den Nationalsozialisten gegangen, wären die Objekte alle vernichtet worden. Die Freimaurer, die seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert überall im Geheimen agierten, sprachen, dachten und lebten nach der französischen Devise "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Ihre abgeschiedenen Treffen und ihr Verschwiegenheitsgelübde garantierten über lange Zeit ihre Unanfechtbarkeit.

Zwar waren die Freimaurer im 19. Jahrhundert und in den 1920er-Jahren bereits Attacken ausgesetzt, doch erst die Nazis schafften es, das Freimaurer-Netzwerk zu zerstören. Nach der Machtübernahme 1933 befahlen sie die Auflösung aller Logen in Deutschland und die Vernichtung deren Eigentums. So brannten auch in Salzwedel große Feuer auf einem Wirtschaftshof – die Zeitung feierte das damals in Wort und Bild.

Stendaler Museum "rettete" Freimaurer-Objekte

Auch in Stendal konnte vieles nicht gerettet werden, aber immerhin einiges. Das lag an "personellen Verflechtungen", wie es Corrie Leitz nennt. Museumsverwalter Franz Kuchenbuch sei selbst Logenmitglied gewesen, der Vorsitzende der Stendaler Freimaurer-Loge Wernicke Verwalter der Museumsbibliothek. "Diese personellen Verflechtungen haben sicherlich erheblich beigetragen, dass hier in Stendal einiges gerettet werden konnte, was woanders nicht mehr da ist."

Auf einer Ausstellungsvitrine liegen Namensschilder aus Metall, ein Anhänger in Kreuzform und einer in Form eines Winkels, außerdem zwei Zirkel und eine verwitterte blaue Schachtel mit der Aufschrift "Für die Viktoria Stiftung" und dem Logo der Freimaurer aus Winkel und Zirkel.
Die Zirkel als deutliches Freimaurer-Zeichen, das Kreuz und der Winkel wahrscheinlich als Kettenschmuck – Corrie Leitz hat diese Stücke im Depot des Altmärkischen Museums gefunden. Bildrechte: MDR/Katharina Häckl

Das Altmärkische Museum spielt für das Schicksal der örtlichen Freimaurer-Loge also eine ambivalente Rolle. Einerseits profitierte es natürlich, weil der Bestand des Museums reicher wurde durch die Aufnahme von Freimaurer-Objekten. Andererseits scheint das – aus heutiger Sicht – die sicherste Möglichkeit gewesen zu sein, überhaupt Freimaurer-Eigentum zu bewahren.

Zentrum Kulturgutverluste unterstützt das Projekt

Bevor Corrie Leitz im vergangenen Oktober im Auftrag des Museumsverbandes Sachsen-Anhalt mit der Freimaurer-Recherche begann, gab es nur eine Ahnung, dass da noch was zu finden sei. Sie hätte pure Grundlagenforschung betrieben in Stendal, lacht sie etwas verzweifelt. Denn ihr Zeitplan ist eng – gerade ist ihr Projekt aufgrund der Fülle der Aufgaben bis Frühjahr 2025 verlängert worden.

Provenienzforschung bedeutet in den meisten Fällen, nach einem Objekt oder Dokument zu suchen und stattdessen drei zu finden, mit denen man gar nicht gerechnet hatte. Das Projekt finanziert sich aus Fördermitteln des "Deutschen Zentrums Kulturgutverluste".

Allerdings arbeitet Corrie Leitz offiziell nur halbtags. Das hält sie aber – aus eigenem Antrieb und eigener Neugier – nicht davon ab, Nachtschichten zu Hause am Computer einzulegen, Wochenenden durchzuarbeiten. "Wir schauen halt, dass wir so viel wie möglich in dieser Zeit schaffen", erzählt Leitz. Überstunden werden nicht gezählt.

Verschiedene hitorische Bücher liegen auf einem Tisch mit weißer Tischdecke.
Ein paar hundert Bücher der Freimaurer-Loge hat Corrie Leitz bereits ausfindig gemacht, unter anderem ein handschriftlich gefülltes über christliche Vorträge, die die Stendaler Freimaurer während ihrer Treffen hörten. Etwa Tausend Bücher lagern noch – in sieben Kisten verstaut – im Bundesarchiv in Berlin. Bildrechte: MDR/Katharina Häckl

Rückgabe des NS-Raubguts noch ungewiss

Neben dem Erkenntnisgewinn ist das oberste Ziel der Provenienzforschung, Objekte und Dokumente an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Das ist auch im Fall der Stendaler Freimaurer angedacht. Die Johannes-Loge "Zur Goldenen Krone" ist nach 1945 und auch nach 1990 nicht neu begründet worden. Dafür gibt es die Loge "Drei Türme im Hopfenfeld " in Gardelegen.

Der natürliche Restitutionsberechtigte aber ist vermutlich die Große National-Mutterloge "Zu den drei Weltkugeln" in Berlin. Sie kann die Objekte selbst in Anspruch nehmen oder sie als Dauerleihgabe im Altmärkischen Museum belassen. Die Verhandlungen darüber haben noch nicht begonnen.

Quellen: MDR KULTUR (Katharina Häckl), redaktionelle Bearbeitung: hro, tmk

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. April 2024 | 13:10 Uhr

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