Montag, 13.05.2024: Die Angst vor dem Fremden

Tom und Paul sitzen in der Höhle. Sie tragen beide ein Gewand aus groben Fellen. Tom hat einen Speer, an dessen Spitze er mit viel Geschick einen scharfkantigen Stein befestigt hat. Sie sind in der Steinzeit. Tom will die Höhle verlassen. Paul hält ihn zurück: "Dort in dem Busch - hast du das gesehen? Dahinter könnte sich ein Säbelzahntiger versteckt halten! Bleib lieber in der sicheren Höhle!".

Harald Lamprecht, 2009 2 min
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2 min

gesprochen von Dr. Harald Lamprecht

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Mo 13.05.2024 05:45Uhr 02:21 min

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Die Furcht von Paul kennen wir alle: Das Unbekannte ist gefährlich. Das hat die Evolution in unseren Genen verankert. Nicht in fremde Gewässer springen. Keine unbekannten Pilze essen. Wer das beherzigt, lebt in der Tat länger. Allerdings gilt auch: Wenn es damals nur Paul gegeben hätte, würden wir vielleicht jetzt noch in der Höhle sitzen. Es braucht auch den Mut, die Überwindung dieser Angst vor dem Fremden, vor dem Unbekannten. Denn wenn ich das Gewässer erkunde, dann ist es nicht mehr unbekannt. Dann kann ich die ungefährlichen von den gefährlichen Stellen unterscheiden und finde vielleicht auch gute Orte zum Baden.

Das gilt auch gegenüber Menschen. Die Angst vor dem Fremden steckt auch hier in unseren Knochen. Sie ist ein Stück weit normal. Das Unbekannte ist immer potenziell bedrohlich. Aber das Unbekannte muss eben nicht unbekannt bleiben. Es ist eine Kulturleistung, diese Urangst zu bezähmen. Ich kann den Anderen kennenlernen. Dann ist er mir nicht mehr fremd. Dann muss ich mich nicht mehr ohne Grund vor ihm fürchten. Auch nach dem Kennenlernen mag es Menschen geben, denen man lieber aus dem Weg geht. Aber es gibt dann auch die anderen, die Netten, Freundlichen, Hilfsbereiten.

Als Christ glaube ich, dass jeder Mensch von Gott geschaffen ist. Deshalb muss ich nicht jeden mögen. Aber ich weiß, dass auch diejenigen, die ich nicht kenne, von Gott geliebt sind. Die pauschale Ablehnung von Fremden aus rassistischen Motiven dient nicht der Rettung unserer Kultur. Es ist der Rückfall in die Höhle. Die Angst vor dem Fremden zu überwinden kostet etwas Mut und Anstrengung. Aber das ist gut investierte Mühe, die auch mein Leben interessanter machen kann.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzbiografie Dr. Harald Lamprecht

Dr. Harald Lamprecht

geboren 1970 in Dresden | verheiratet, drei Kinder | 1990 Theologiestudium in Leipzig, Göttingen und Halle | 1996 Wiss. Mitarbeiter am Institut für Ökumenik, Konfessionskunde und Religionswissenschaft der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg | 1999 Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes, Landesverband Sachsen

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.