Kolumne: Das Altpapier am 12. März 2025 Kennt Berthold Kohler junge Leute?
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12. März 2025, 13:30 Uhr
Wenn der Klimaschutz zu einem Klientel-Thema herunter geredet wird. Wenn Journalisten auf ihren Märchen beharren. Wenn ein posthum erschienenes Buch die Debatte über Tech-Faschismus bereichert. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
- Die fehlende Empathie eines Herausgebers
- Der Hufeisenwurf eines Märchenerzählers
- Das hellsichtige Buch eines verstorbenen Silicon-Valley-Experten
- Altpapierkorb (Beschwerde gegen BND-Gesetz in Straßburg, Solidarität mit Nicolas Potter, internationale Umfrage zu Moderation in sozialen Medien, Zeitungspapierlieferant Kanada)
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Die fehlende Empathie eines Herausgebers
Der journalistische Text, der am Dienstag gefühlt die meiste negative Furore machte, stammt von FAZ-Herausgeber Berthold Kohler. In einem Kommentar vertritt er die These, die Grünen hätten "noch nie Probleme mit einer Politik auf Pump" gehabt, "wenn die Kredite für Angelegenheiten eingesetzt werden, die grünen Zielen wie dem Klimaschutz zugutekommen". Das größte Thema der Menschheit wird hier also herunter geschrieben zu einem Thema einer Partei, zu einem Objekt von Klientelpolitik.
Der Kommentar sei ein Beispiel für "Journalismus ohne naturwissenschaftliche, volkswirtschaftliche und völkerrechtliche Verankerung", schreibt die Transformationsforscherin Maja Göpel, und das stimmt natürlich. Zum Ökonomischen: Klimaschutz kostet, auf welche Weise auch immer man ihn finanziert, sehr wenig - jedenfalls verglichen damit, was passiert, wenn man das Klima nicht schützt. In diesem Zusammenhang empfehlenswert ist eine knackige Grafik aus der ersten Ausgabe des neuen Wirtschaftsmagazins "Surplus" (Seite 28/29). Sie zeigt die simulierten Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts bis 2050 bei einem Temperaturanstieg von 2,6 Grad: Weltweit geht es um 13,9 Prozent zurück und in Europa um acht Prozent. Wobei "Länder, die wenig zur Klimakrise beigetragen haben", wirtschaftlich überdurchschnittlich betroffen sein werden. Quelle der Grafik: eine Analyse unter dem Titel "The economics of climate change: no action not an option".
An Kohlers Text fällt aber auch etwas anderes auf: die fehlende Empathie für die Generationen nach ihm. Ich riskiere jetzt mal die These, dass Berthold Kohler jüngere Menschen persönlich kennt. Sei es in der Familie oder im Freundeskreis. Seien es Kinder oder Jugendliche. Oder junge Erwachsene, die vielleicht gerade Eltern werden. Menschen jedenfalls, die möglicherweise gar keine "grünen Ziele" haben, weil sie der Partei der Grünen nicht nahe stehen, aber darauf hoffen, dass das Leben auf dem Planeten noch erträglich sein wird, wenn sich good old Berti schon die Radieschen von unten anschaut. Wie werden sie wohl darauf reagieren, was er da am Dienstag reingeschrieben hat in das von ihm mitherausgegebene Allgemeinblättle?
Erst vor wenigen Wochen performte Kohler die Meinung, Angela Merkel habe Friedrich Merz einen "Dolchstoß" versetzt, womit er die "beliebteste Verschwörungstheorie der Weimarer Republik" (Zeit Online) aufgriff, und schon dieser Artikel war relativ weit oben auf der nach oben offenen Berthold-Kohler-Skala. Der Kommentar zu den Grünen toppt nun noch die Revitalisierung der Dolchstoß-Legende.
Der Hufeisenwurf eines Märchenerzählers
Der journalistische Text, der an diesem Mittwoch die meiste negative Furore machen dürfte, stammt von Hilmar Klute aus der Redaktion der "Süddeutschen Zeitung". Anlass des Artikels ist die in der "New York Times" veröffentlichte Liste mit Wörtern, "von denen die amerikanische Regierung wünscht, dass sie künftig nirgends mehr zu lesen sein werden, vor allem nicht in Schriftstücken von Behörden und Schulen" (Klute). Bei den Begriffen, die "aus US-Regierungsdokumenten verschwinden sollen" ("Spiegel") handelt es sich u.a. um: "women"," historically", "trauma", "climate crisis", "prostitute", "privilege". Wie fasst man das zusammen? Der SZ-Vorspanndichter hatte da mal folgendes Ideechen:
"Das Trump-Lager greift damit nach der mächtigsten Waffe der Linken: der Sprache."
"Spiegel"-Redakteur Jonas Schaible hat bei Bluesky bereits auf den albernen Schlusssatz von Klutes Text hingewiesen, ein paar weitere Passagen seien hier aber noch zitiert:
"Das goldene Kalb, um das Wokies und Trumpisten gleichzeitig tanzten, war immer schon die nationale Identität Amerikas (…) Seit Langem schon sind die Kombattanten auf dem Feld, und ihre Mittel waren beiderseits unverhältnismäßig."
Das ist der Hufeisenwurf des Jahres. Oder auch: false Balance auf einem bisher nicht gekannten Niveau. Der Zeitpunkt, dass jemand damit um die Ecke kommt, dass afghanische Frauenrechtlerinnen so "unverhältnismäßig" agieren würden wie die Taliban, scheint nicht mehr weit entfernt zu sein. Von ähnlicher Kajüte wie der Satz mit dem goldenen Kalb ist dieser:
"Die penible und so oft gnadenlose Ausweisung vermeintlich transfeindlicher, rassistischer oder misogyner Texte, Wörter und letztlich Personen aus den Diskursen und leider oft auch aus den Lehrinstitutionen war eine beklemmende und vielen als ungerecht, zuweilen sogar grotesk erscheinende Entwicklung."
Über die Märchenerzählungen, die Klute hier aufwärmt, hat der Journalist Adrian Daub häufig geschrieben. Im Mai 2024 zum Beispiel (Altpapier):
"Seit Jahren hören wir, dass auf dem amerikanischen Campus die freie Meinungsäußerung mit Füßen getreten werde, die woke Orthodoxie wurde mit Polizeimetaphern belegt (Sprachpolizei, Sprechverbote). Wie viele Geschichten über Studierende, die an den Universitäten wegen Rassismus oder Sexismus 'angeklagt' wurden, musste man in den letzten zehn Jahren in der Presse lesen? Passiert ist diesen Studierenden in der überwältigenden Zahl der Fälle überhaupt nichts."
Und bereits im November 2022 (siehe ebenfalls Altpapier) hatte Daub geschrieben, "auch deutsche Medien" schürten die "regelmäßig hochkochende Panik über die neueste Campuskultur (…) seit Jahrzehnten begierig (…) - fast immer im Ton der Besorgnis und aufgehängt an vielfach reproduzierten Anekdoten".
Das hellsichtige Buch eines verstorbenen Silicon-Valley-Experten
Das Altpapier vom vergangenen Mittwoch haben wir mit der einigermaßen nüchternen Feststellung angeteasert, dass jemand, der im DOGE-Kontext "von 'Bürokratieabbau' spricht, die Kontrolle über sein Leben verloren (hat)". Dieser Kontrollverlust scheint in Deutschland weit verbreitet zu sein, jedenfalls konstatiert Quentin Lichtblau eingangs eines Zeit-Online-Textes:
"Das Vorgehen von Elon Musks Pseudo-Behörde DOGE wird hierzulande noch immer oft als 'Bürokratieabbau' bezeichnet."
Lichtblau schreibt auch:
"Warum fällt es vielen so schwer, diesen Staatsstreich als solchen zu benennen? Vielleicht, weil die Ebene, auf der er sich abspielt, schwer zu fassen ist. Denn statt Soldaten stürmen lediglich milchgesichtige Programmierer die Behörden."
Das wiederum klingt, als wäre es Anfang Februar geschrieben worden, wirkt also etwas aus der Zeit gefallen. Mit Gewinn liest man den Artikel dann aber doch, weil Lichtblau hier den 2023 verstorbenen Autor David Golumbia würdigt. Im November ist posthum sein Buch
"Cyberlibertarianism: The Right-Wing Politics of Digital Technology" erschienen, und das ist, nun ja, erschreckend aktuell. Golumbia war nämlich jemand, der die Ideologie der Silicon-Valley-Heinis schon korrekt beschrieben hat, als sich die Mehrheit noch blenden ließ. Lichtblau schreibt:
"Die These, die der 2023 verstorbene Digitalkritiker in seinem nun posthum erschienen Buch Cyberlibertarianism aufstellt, hätte man vor Monaten wohl nur bedingt zugestimmt, heute wirkt sie hellsichtig: Die Denker und Macher des Silicon Valley, schreibt Golumbia, waren seit jeher nicht nur staatsfeindlich, sondern antidemokratisch. Schon seit seinem Debüt The Cultural Logics of Computation vertrat er solche techkritischen Thesen: Hinter den schillernden Manifesten von Cyber-Befreiung, Demokratisierung und dem guten digitalen Leben habe sich schon immer eine Ablehnung des Staates und seiner Institutionen verborgen. Trotz Elon Musks stetiger Radikalisierung und der seit jeher offen rechten Politik des Paypal-Gründers Peter Thiel hatte sich das Valley lange seine progressive Aura bewahrt. DOGE sowie die Kniefälle von Mark Zuckerberg, Jeff Bezos oder Sam Altman vor Trump zeigen nun aber, dass der Hang zum Rechtsaußen-Libertarismus eher die Regel als die Ausnahme im Silicon Valley ist."
Altpapierkorb (Beschwerde gegen BND-Gesetz in Straßburg, Solidarität mit Nicolas Potter, internationale Umfrage zu Moderation in sozialen Medien, Zeitungspapierlieferant Kanada)
+++ Darüber, dass Reporter ohne Grenzen (ROG) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen, berichtet die Deutsche Welle. Sie legen dort Beschwerde ein gegen das BND-Gesetz, das, so ROG-Geschäftsführerin Anja Osterhaus, "immer noch die umfassende Überwachung von Medienschaffenden (ermöglicht), vor allem außerhalb Deutschlands, und damit die Pressefreiheit (gefährdet)".
+++ Zur gestern hier kurz erwähnten Rufmordkampagne gegen den taz-Journalisten Nicolas Potter schreiben die taz-Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann im "Hausblog" ihrer Zeitung: "Hier soll Berichterstattung durch Einschüchterung unterbunden werden. Die taz wird das nicht zulassen und sich mit allen journalistischen und juristischen Mitteln dagegen wehren." dju-Bundesvorstandsmitglied Peter Freitag sagt: "Dieser Fall zeigt eine neue und erschreckende Dimension der Gefahr: eine hybride Form der Propaganda, orchestriert durch Akteure, die gezielt Desinformationen und Hetze einsetzen, um unabhängigen Journalismus zu untergraben. Zitiert wird er in einer Pressemitteilung der Gewerkschaft.
+++ Was eine Umfrage zu Einstellungen zum Thema Moderation in sozialen Medien ergeben hat, an der "etwa 13.500 Menschen aus zehn Ländern" teilgenommen haben, steht bei mmm.verdi.de.
+++ Beim Thema Zölle gegen Kanada noch den Überblick zu behalten, fällt nicht ganz leicht. Warum wir das hier erwähnen? Weil es auch die Verlagsbranche in den USA betrifft. Das "Columbia Journalism Review" berichtet: "Kanada ist seit langem ein wichtiger Lieferant von amerikanischem Zeitungspapier - es liefert heute schätzungsweise 80 Prozent des von den US-Zeitungen verwendeten Papiers."
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.