Kolumne: Das Altpapier am 17. März 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. März 2025 Wie repariert man einen Totalschaden?

17. März 2025, 10:16 Uhr

Beim RBB beginnt die öffentliche Aufarbeitung des Gelbhaar-Desasters mit Rücktritten und der Verordnung von Regeln, die eigentlich längst hätten gelten sollen. Der Schaden, den die US-Regierung anrichtet, wird täglich größer – nun geht sie gegen CNN, MSNBC und vor allem die US-Auslandssender vor. Und: Fragen an den Staatshaushaltsjournalismus. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Der RBB zieht Konsequenzen

Ein "Totalschaden für den Journalismus" sei angerichtet worden, schrieb die "Süddeutsche" (Abo) kürzlich in einem langen Recherchetext über den Fall Gelbhaar. Ralf Heimann hat hier im Altpapier zusammengefasst, worum es geht. Wie aber repariert man einen Totalschaden? Seit Freitag ist klar, der Reparaturprozess wird mit personell-strukturellen Konsequenzen eingeleitet. Der RBB, der bereits "schwerwiegende Fehler" bei der Berichterstattung eingeräumt hatte, teilte mit, dass Chefredakteur David Biesinger und Programmdirektorin Katrin Günther ihre Ämter niederlegen.

Für Außenstehende mag das unvermeidlich wirken, zumindest im Fall des Chefredakteurs, der in seiner Rolle für eine derart heikle journalistische Recherche Verantwortung übernehmen muss. Aber erstens sieht man ARD-Interna innerhalb der ARD bisweilen etwas anders als außerhalb. (Das "Spiegel"-Porträt (Abo) des ARD-Vorsitzenden Florian Hager deutet es – in völlig anderem Zusammenhang wohlgemerkt – im Schlusssatz an: "Was man in der ARD als Erfolg sieht, war wohl eine Selbstverständlichkeit für alle anderen".) Und zweitens gibt es in verschachtelt gebauten großen Unternehmen, in denen sich Zuständigkeiten zur Not umdefinieren lassen, generell immer auch die Wege Gras-drüber-wachsen-lassen und Andere-vor-den-Zug-werfen. Insofern sind die beiden Rücktritte respektabel. (Und ob dabei nun nachgeholfen wurde, mag "zwar machttektonisch interessant" sein, wie Zeit Online schreibt, sei aber letztlich "zur Heilung der Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung".)

Dass die richtige Konsequenz gezogen worden sei, sieht auch Christian Meier so, Medienredakteur der Welt. Er schreibt:

"Jeder Fehler wird (…) zu einem Elfmeter, um die Glaubwürdigkeit zu demontieren. Hier dürfen Medien ihren Gegnern, den Verächtern einer unabhängigen Presse, nicht in die Hände spielen. Und sie dürfen ihr Publikum, das ihnen Vertrauen entgegenbringt, nicht enttäuschen. Dieses Pathos braucht es, um die Tragweite der Gefahr deutlich zu machen, in der Medien sich heute befinden. Denn wer mag noch seinen Rundfunkbeitrag oder für ein Abonnement bezahlen, wenn Falschmeldungen folgenlos bleiben?"

Das ist ein übergeordnet wichtiger Punkt: Verantwortung zu übernehmen ist bedeutsam, weil nicht Aufmerksamkeit, sondern Glaubwürdigkeit die zentrale Währung des Journalismus ist. Umso mehr, als Medien heute "im Kreuzfeuer von Gegnern" stünden, "die unabhängigen Journalismus verachten und Medien deshalb als manipulativ und voreingenommen diffamieren", so Meier. Vielleicht könnte "Welt"-Herausgeber Ulf Poschardt diesen Satz zwischen zwei Retweets des "ÖRR-Blogs" (Altpapier) demnächst ja nochmal bei X posten.

Die im RBB-Fall konkret größte Frage ist aber, wie es nun weitergeht mit der Aufklärung beim mittlerweile skandalerprobten RBB. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands Berlin, Steffen Grimberg, als Medienjournalist für die "taz" und die "Katholische Nachrichten-Agentur" tätig, zuvor auch als Sprecher und Journalist für den MDR, schreibt in einer Verbandsmitteilung:

"Was jetzt nicht passieren darf, ist, dass sich der RBB und die betreffenden Verantwortlichen hinter verschlossenen Türen einigen. Und es dann wieder heißt, mit dieser Vereinbarung sei Stillschweigen vereinbart worden und daher könne man leider jetzt auch nichts mehr sagen."

Michael Hanfeld zitiert die Passage in der "FAZ" (Abo) und nickt sie so ab. Die "Offenlegung der Hintergründe des Skandals" regt auch Christian Meier an. Der RBB selbst hat angekündigt, die Aufarbeitung durch eine Expertenkommission solle 100 Seiten stark und Ende März fertig sein. "Datenschutz- und arbeitsrechtliche Belange", die einer Veröffentlichung bislang als entgegenstehend betrachtet wurden, wird man zwar womöglich berücksichtigen müssen, aber eine Nichtveröffentlichung des Abschlussberichts wäre in den Augen derer, die seit Freitag über die Angelegenheit berichten, falsch. Es nun gut sein zu lassen, fordert jedenfalls niemand. "Datenschutzrechtliche Bedenken lassen sich beseitigen, diesbezüglich relevante Stellen schwärzen. Da ist viel möglich, wenn man Transparenz wirklich will." So sieht es zum Beispiel Raoul Löbbert bei Zeit Online.

Der RBB selbst hat zunächst drei Maßnahmen angekündigt, die u.a. spiegel.de so zusammenfasst:

"Bei Recherchen mit dieser Tragweite sollten die investigativen Einheiten des Senders künftig zwingend einbezogen werden. Die Chefredaktion solle eine aktive Rolle bei der Kontrolle solcher Recherchen wahrnehmen. Außerdem sollten verpflichtende Schulungen zur Verdachtsberichterstattung eingeführt werden."

Alles gute Punkte. Man fragt sich aber schon, warum es zumindest Standard eins und zwei für Recherchen dieser Tragweite nicht bereits gegeben hat.

Trumps Attacken gegen Medien gehen weiter

Man sollte nicht jeden Fitzel des Zeugs wiederholen, mit dem der unablässlich die Welt mit schwachsinnigen Behauptungen vor sich hertreibende, auf Rechtsstaatlichkeit pfeifende und demokratische Institutionen unterwandernde Präsident des südlich von Kanada am Golf von Mexiko gelegenen Landes namens USA die Nachrichtenwelt flutet. Donald Trumps tägliches Kampfgewese darf nicht zum Teppich werden. Zu den richtigen Katastrophen, die Trump und Elon Musk bislang angerichtet haben, gehört die Aussetzung von USAID, die, bliebe es dabei, nach einer Schätzung der "New York Times" (Abo) nach einem Jahr Millionen von Menschen im globalen Süden das Leben kosten könne.

Aber was Trump gegen Medien unternimmt, kann man einfach nicht vernachlässigen. Trump hat kritische Berichterstattung im Stil eines Autokraten abgeurteilt: Die Sender CNN und "MSDNC" seien "korrupt" und "illegal"; was sie täten, sei auch "illegal". Man muss kaum hinzufügen, dass es keine Anhaltspunkte für "Korruption" bei den Sendern gibt und kritische Berichterstattung in den USA auch nicht "illegal" ist, jedenfalls nicht bisher. Es gibt auch gar keinen Sender namens MSDNC. Der Kanal heißt MSNBC. Aber wer Jargon spricht, hat Trump schon verstanden. Das "DNC" in "MSDNC" ist rechtes Internetgeschwätz für "Democratic National Committee". Indem Trump es nutzt, unterstellt er MSNBC einen Bias für die Demokraten.

Zur Bedeutung des ungewöhnlichen Orts der Trump-Rede –  das Justizministerium – schreibt rnd.de: "Normalerweise halten Präsidenten etwas Abstand zu dem Ressort, um keine Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen zu lassen." Aber normalerweise is over.

Trumps Aversion gegen unabhängige Journalisten mag natürlich nicht neu sein, sie waren ja schon in seiner ersten Amtszeit mit seinen unentwegten Attacken konfrontiert. Aber diesmal, so die These eines 15-Minüters bei Arte (entdeckt via bildblog.de), scheint er die Medienlandschaft nicht nur beschimpfen und schädigen, sondern "komplett umkrempeln zu wollen".

Dazu passt, dass es nicht nur bei Worten bleibt, sondern dass 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des US-amerikanischen Auslandssenders "Voice of America" am Wochenende nicht mehr in ihre Büros kamen, weil die US-Regierung die für "VoA" und andere Auslandssender zuständige Muttergesellschaft, die Behörde USAGM, zusammenzustreichen zu gedenken scheint. Sender wie "Radio Free Europe/Radio Liberty" (RFE/RL) mit Sitz in Prag (früher in München) sowie "Radio Free Asia" sind ebenfalls betroffen; die "Süddeutsche" (Abo) berichtet. Die Institutionenzerstörungspolitik der US-Regierung, die nach wie vor nicht mit einem "Bürokratieabbau" zu verwechseln ist, nimmt an dieser Stelle also ihren Fortgang.

Die Meldung "Radio Free Europe darf in Russland nicht mehr senden" gibt es übrigens auch. Sie stammt allerdings schon aus dem Februar 2024 (deutschlandfunkkultur.de). Der Kreml hatte den US-finanzierten Sender, der durch seine Konstruktion allerdings inhaltlich unabhängig ist, als "ausländischen Agenten" eingestuft und dann zu einer "unerwünschten Organisation" erklärt. Dass "Radio Free Europe/Radio Liberty" Trumps Entscheidung gegen die Auslandssender als "Geschenk" für die "iranischen Ayatollahs, die kommunistischen Führer Chinas und die Autokraten in Moskau und Minsk" bezeichnet (zitiert u.a. bei faz.net), hat also eine Grundlage: Das Weiße Haus führt fort, was der Kreml begonnen hat.

Fragen an den Staatshaushaltsjournalismus

Dass das Wort "Schuldenbremse" gar nicht im Grundgesetz steht, darauf weist die ehemalige Altpapier-Autorin Annika Schneider im "Übermedien"-Newsletter (Abo) hin, den Abonnentinnen und Abonnenten wochenends zugeschickt bekommen. "Sondervermögen" ja, andere zusammengesetzte Hauptwörter auch, "Schuldenbremse" nein. Sie bezieht sich in einer Begriffskritik auf den Kommunikationswissenschaftler Eric Wallis, der sich wünsche, "dass Medien stattdessen von einer 'Kreditobergrenze', 'Schuldenregel' oder 'Grenze staatlicher Neuverschuldung' schreiben". "Schuldenbremse" sei "nicht politisch neutral, schreibt er, weil sich darin eine Bewertung verstecke: Schulden sind schlecht, also ist eine 'Schuldenbremse' etwas Gutes".

Vor allem aber kritisiert sie, dass es nicht einfach sei, sich hintergründig zum Thema Staatshaushalt zu informieren. Sie sei fündig geworden, im Podcast "Lage der Nation" etwa, oder in Formaten, die sich explizit an Jüngere richten. Sie schreibt, sie habe viele Fragen zu Sondervermögen: wie oft es sie schon gab, wie weit man mit 500 Milliarden Euro eigentlich wirklich kommt, und "auf was wir in Zukunft womöglich verzichten müssen, um uns die Zinszahlungen leisten zu können".

"Stattdessen beantworten mir sehr viele Beiträge eine Frage, die ich mir gar nicht gestellt habe: Wer hat was gesagt? Ich erfahre, wer wem was vorwirft, wer wie taktiert, wer Zugeständnisse einfordert und wer wem die Hand ausstreckt."

Zweifellos nimmt die Mehrheitsfindungsberichterstattung in der Debatte enorm viel Raum ein: das oft skizzierte Problem des auf machtpolitische Tektonik spezialisierten Hauptstadtjournalismus.


Altpapierkorb (Proteste in Serbien, NS-Aufarbeitung beim "Donaukurier", Deutschlandradio Kultur, 30 Jahre Standard.at)

+++ Es gab in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Berichte über die Proteste gegen die serbische Regierung. Aber die Größenordnung vermittelt sich erst jetzt. Am Samstag kursierte noch die zunächst berechtigte Kritik, deutsche Medien würden die Proteste in Belgrad viel kleiner darstellen, als sie seien. Tatsächlich war zunächst hier und da von "tausenden Menschen" die Rede, allerdings wurde die Zahl im Lauf des Wochenendes dort, wo sie zunächst zu niedrig waren ("Tausende"), von tagesschau.de über zdf.de bis faz.net nach oben korrigiert. Die "FAZ" zeigt ein Foto der Proteste auf ihrer Seite Eins. Die "taz" widmet ihnen ihren Titel. In der "taz" steht auch, wie es zu den aber immer noch deutlich unterschiedlichen Zahlen kommt: "Die unabhängige Organisation Archiv der öffentlichen Veranstaltungen sprach von 275.000 bis 325.000 Menschen. Das Innenministerium setzte die Zahl auf 107.000 herab".

+++ Wilhelm Reissmüller, der 1993 gestorbene Verleger des "Donaukuriers" in Ingolstadt, hatte zuvor die NS-Parteizeitung "Donaubote" verlegt: "Nach dem Krieg haben die amerikanischen Militärbehörden den 'Donauboten' verboten. Reissmüller betrachteten sie als 'Nazi-Verleger'. Wie gelang es ihm, sich dennoch an die Spitze des neu gegründeten 'Donaukuriers' zu setzen, in Ingolstadt ein Meinungsmonopol zu erringen und damit mächtiger als davor zu werden? Indem er sein frühes NS-Engagement gegenüber den Militärbehörden verschwieg und in Abrede stellte." Erst seit Dezember werde nun über die Aberkennung seiner Ehrenbürgerwürde im Stadtrat verhandelt, schreibt Thomas Schuler in der "Süddeutschen". Der neue Text ergänzt sein "Lehrstück mangelnder Aufarbeitung" vom Oktober, ebenfalls in der "SZ" erschienen.

+++ Über Kultur im Radio spricht Ralf Müller-Schmid, Programmchef von Deutschlandfunk Kultur, im Interview mit Stefan Fischer von der "SZ" (Abo) und lässt sich dabei ungern das Programm anderer öffentlich-rechtlichert Kultursender vorwerfen: "Wir haben Fachredaktionen, bei uns werden Bücher nicht einfach bepunktet, sondern intensiv besprochen und eingeordnet von Leuten, die sich auskennen. Damit wollen wir Menschen ansprechen und begeistern. Eine Sprache zu wählen, die von vielen Menschen verstanden wird, darin liegt schon eine Aufgabe – das ist aber keine Verflachung. Die fängt dann an, wenn man den Dingen, über die man spricht, den Tiefgang nimmt, den sie haben."

+++ Der Chefredakteur des Wiener "Standard", Gerold Riedmann, schlägt in einem Essay zum 30-Jährigen von standard.at einen weiten Bogen zu Stand und Herausforderungen des offenen Internets: von AOL über Plattformen bis zu Mikronationen und Freedom Cities nach Silicon-Valley-Art.

+++ "Übermedien" hat am Montagmorgen per Mail darüber informiert, dass die GmbH DWDL.de die Anteile an der Übermedien GmbH von deren Mitgründer Stefan Niggemeier übernehme. Er schreibe aber weiter für Übermedien. DWDL teilte das ebenfalls mit, per BlueSky.

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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