Kolumne: Das Altpapier am 20. März 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 20. März 2025 Ohrfeige per Post

20. März 2025, 12:42 Uhr

Mit Klagen kann man Berichte verhindern. Eine neue Studie zeigt, was der Staat dagegen machen kann. Und: Das Portal "News4teachers" demonstriert, wie man die Opferpose nutzt, um von Kritik abzulenken. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

SLAPP-Klagen: Recht und billig?

Ein Geschworenengericht im US-Bundesstaat North Dakota hat die Umweltorganisation Greenpeace zur Zahlung von 660 Millionen Euro an den Energiekonzern "Energy Transfer" verurteilt, berichtet unter anderem "ZDF heute". Der Hauptvorwurf ist Verleumdung. Greenpeace hatte in den Jahren 2016 und 2017 Proteste gegen eine Pipeline organisiert. Der Konzern wirft der Organisation vor, falsche Informationen verbreitet zu haben. Dadurch sei dem Unternehmen ein wirtschaftlicher Schaden entstanden.

Das ist ein aktuelles Beispiel für eine sogenannte SLAPP-Klage. Das Akronym steht für: Strategic Lawsuits Against Public Participation – strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Das englische Wort "slap" bedeutet auch: Ohrfeige. Und das beschreibt die Wirkung einer solchen Klage sehr anschaulich.

Sie ist ein heftiger Schlag gegen den Kopf, der einen Eindruck davon vermittelt, was der Schlagende bereit ist zu unternehmen, um etwas für ihn Unangenehmes zu verhindern. Es ist ein Einschüchterungsversuch, der dazu dient, eine kritische Berichterstattung oder Proteste zu unterbinden.

"Charakteristisch für einen SLAPP ist, dass Kläger*innen häufig eine Position der wirtschaftlichen Überlegenheit ausnutzen und sich trotz geringer Erfolgsaussichten für ein juristisches Vorgehen entscheiden. Auf der gegnerischen Seite sehen sich die Betroffenen trotz tatsächlicher Erfolgsaussichten oft nicht in der Lage, den Prozess zu bestreiten; außerdem werden oftmals stark limitierte Ressourcen durch die rechtliche Auseinandersetzung erschöpft",

schreibt die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion der Gewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung zur Forderung des No-SLAPP-Bündnisses, einem Zusammenschluss aus ungefähr 15 zivilgesellschaftlichen Organisationen, an die neue Bundesregierung. Das Bündnis will erreichen, dass die neue Bundesregierung wirksame Maßnahmen gegen solche Klagen in den Koalitionsvertrag schreibt.

Die neue Regierung muss in jedem Fall bald handeln. Die Europäische Union hat vor einem Jahr eine Anti-SLAPP-Richtlinie verabschiedet. Alle EU-Länder müssen die Richtlinie bis Mai 2026 in nationales Recht übersetzen. Der Haken ist: Die Richtlinie deckt nur grenzüberschreitende Fälle ab.

EU-Richtlinie: Viel Freiheit für die Staaten

Die Mannheimer Jura-Professorin Stefanie Egidy schlägt in einer im Auftrag von Verdi entstandenen Studie der Otto-Brenner-Stiftung (Titel: "Einschüchterung ist das Ziel") vor, die Umsetzung der Richtlinie zum Anlass zu nehmen, um auch auf nationaler Ebene einen besseren Schutz vor SLAPP-Klagen zu schaffen. Die Richtlinie lege das sogar nahe, schreibt sie. Sie erlaube es ausdrücklich, einen Schutz zu schaffen, der über den Mindeststandard hinausgeht.

Als eine wirksame Maßnahme nennt Egidy zum Beispiel die Möglichkeit, SLAPP-Klagen frühzeitig abzuweisen.

Außerdem soll die klagende Partei eine Sicherheitsleistung hinterlegen müssen, die sich nach den zu erwartenden Prozesskosten richtet. Falls sich herausstellt, dass die Klage missbräuchlich oder unbegründet ist, kann das Gericht die Leistung nutzen, um die Kosten zu decken. Das soll die Einschüchterung weniger attraktiv machen.

Laut Egidy wäre es auch sinnvoll, wenn Betroffene die gesamten Verteidigungskosten erstattet bekämen – also nicht nur den Betrag, den das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht.

Dazu schlägt die Studie vor, für den Missbrauch des Rechtssystems Strafen zu verhängen.

Weitere Anregungen sind psychosoziale oder juristische Beratungsangebote, Schulungen für Richterinnen und Richter zur Sensibilisierung und eine bessere Dokumentation der Fälle.

Die Kritik an der EU-Richtlinie besteht laut Egidy im Wesentlichen aus drei Punkten. Erstens: Die Maßnahmen gingen nicht weit genug. Zweitens: Möglichkeiten zum Schutz gegen SLAPP-Klagen blieben ungenutzt. Drittens: Man gebe den Ländern der Umsetzung der Regeln zu viel Freiheit.

Folgt man der Kritik, könnte man sagen: Die Europäische Union gibt auch den Ländern die Möglichkeit, ihrer Pflicht zur Umsetzung nachzukommen, die gegen SLAPP-Klagen gar nichts machen wollen.

Versetzen wir uns kurz in die Perspektive einer wirtschaftsfreundlichen Partei. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sieht die Sache ganz anders aus. Hier steht das Interesse von Unternehmen im Mittelpunkt, sich gegen Rufschädigungen, falsche Behauptungen oder Kampagnen juristisch wehren zu können. Baut man höhere Hürden ein, macht man es Aktivisten leichter, Firmen oder Institutionen ohne rechtliche Konsequenzen an den Pranger zu stellen.

Das gibt auch die Studie zu bedenken. Anti-SLAPP-Recht kann dazu missbraucht werden, berechtigte Klagen zu verhindern.

Jetzt muss man nur noch versuchen, sich vorzustellen, wie der mit großer Wahrscheinlichkeit zukünftige CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz über die Sache denkt.

Drei aktuelle Fälle

Lea Eichhorn berichtet in einem 22-minütigen Beitrag für das NDR-Medienmagazin "Zapp" über mehrere Fälle von SLAPP-Klagen. Zum Beispiel über den des Fotojournalisten Jannis Große, der vor acht Jahren eine Protestaktion von Klimaaktivisten journalistisch begleitet hat, die ein RWE-Kohlekraftwerk besetzt haben. Er soll nun zwei Millionen Euro Schadensersatz zahlen. Der Vorwurf ist: Er sei nicht als neutraler Journalist vor Ort gewesen, sondern habe aktiv an den Protesten teilgenommen. Großes Anwalt Jasper Prigge sieht hier ein klassisches SLAPP-Beispiel.

Ein weiterer Fall ist der des freien Journalisten Emran Feroz, der über den afghanischen Investor Ajmal Rahmani berichtet hat, gegen den das US-Finanzministerium laut dem Bericht Sanktionen wegen Korruptions- und Betrugsvorwürfen verhängt hat.

Rahmani klagt gegen Feroz und fordert Unterlassung. Streitwert: 100.000 Euro. Rahmanis Anwalt erhebt gegen Feroz unbewiesene Vorwürfe, darunter eine angebliche Nähe zu den Taliban.

In einem dritten Fall geht es um taz-Berichte über die US-Sanktionen gegen Rahmani. Rahmani hat unter anderem erfolglos versucht, der Zeitung die Behauptung zu verbieten, dass es sich um eine SLAPP-Klage handle. Allerdings verlor die Zeitung im Streit über ihren ersten Bericht zunächst vor Gericht, depublizierte den Artikel und schrieb einen neuen.

"Wir waren uns sehr, sehr sicher, dass wir hier einer wichtigen Geschichte nachgehen mit einem wichtigen Autoren und dass dies von erheblichem Interesse sein sollte, dass wir uns hier auch aus Prinzip wehren",

sagt taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann in dem "Zapp"-Beitrag; taz-Reporter Sven Hansen erzählt, wie er irgendwann anfing, von dem Fall nachts zu träumen. Das beschreibt wahrscheinlich am besten die subtile Wirkung von SLAPP-Klagen.

Allerdings bietet die Einschüchterungspraxis auch die Möglichkeit, das Narrativ zu nutzen, um sich bei berechtigter Kritik in eine Opferhaltung zu begeben. Das zeigt ein anderer aktueller Fall.

News4teachers: Was trifft, betrifft?

Bent Freiwald kritisiert in einem Beitrag für "Übermedien" und die "Krautreporter" das Bildungsmedium "News4teachers", das sich als unabhängiges journalistisches Magazin präsentiere, aber Journalismus und PR vermische, ohne Interessenkonflikte offenzulegen, so seine Kritik.

Hinter der Seite steht die "Agentur für Bildungsjournalismus" des gelernten Journalisten und früheren Ministeriumssprechers Andrej Priboschek. Die Agentur bietet nicht nur journalistische Inhalte an, sondern produziert auch kostenpflichtige PR-Dienstleistungen.

Freiwald kritisiert unter anderem, dass das Medium bezahlte Inhalte nicht als "Anzeige" oder "Advertorial" kennzeichne, sondern als "Pressemeldung". Das ist eine beliebte Praxis, um den Werbecharakter von Inhalten zu verschleiern.

Ein weiterer Kritikpunkt ist: Priboschek arbeite für Institutionen wie Montessori Deutschland oder das Schreibmotorik-Institut und berichte gleichzeitig über diese Akteure, ohne seine Verbindungen offenzulegen.

Dazu träten Redakteure von "News4teachers" gleichzeitig als PR-Berater auf. Das verstoße gegen journalistische Standards, nach denen eine klare Trennung zwischen Berichterstattung und PR nötig ist.

Freiwald hat Priboschek mit den Vorwürfen konfrontiert. In seinem Artikel kritisiert er unter anderem, dass Priboschek angegeben habe, die Landesmedienanstalt habe seine Seite "umfassend geprüft und kein Fehlverhalten aufgrund von fehlender Trennung von redaktionellem und nicht-redaktionellem Inhalt festgestellt".

Die Landesmedienanstalt widerspreche der Darstellung, schreibt Freiwald. Sie habe nach einer Beschwerde einen einzigen Beitrag geprüft.

Das alles sind Kritikpunkte, die man einem journalistischen Medium vorwerfen kann.

Andrej Priboschek reagiert auf die Kritik in einem Beitrag "in eigener Sache" mit einem Gegenangriff. Er stellt Freiwalds Artikel in einem Kontext mit einer früheren SLAPP-Klage der AfD gegen sein Medium und behauptet, nun von beiden Seiten attackiert zu werden, von rechts und von links.

Diese Opferpose ist eine gängige Strategie, um von der eigentlichen Kritik abzulenken.

Priboschek unterstellt Freiwald persönliche Motive. Er stellt dessen Expertise als Bildungsjournalist in Frage. Er wertet die "Krautreporter" ab ("Wer zahlt für so ein bescheidenes Angebot?"). Er unterstellt dem Magazin eine linke Agenda. Er mutmaßt, ob es in finanziellen Schwierigkeiten stecke. So leitet er den Vorwurf her, es gehe offenbar darum, die Konkurrenz zu diskreditieren.

Feststellen kann man: Priboschek reagiert nicht rein sachlich auf die Auseinandersetzung, sondern sehr heftig und aggressiv mit einem persönlichen Angriff. Und man sagt ja: Was trifft, betrifft. Wenn eine Kritik eine starke Reaktion hervorruft, hat sie oft einen wahren Kern. Das ist der Eindruck, der zurückbleibt.

Ich kenne Bent Freiwald nicht persönlich und habe keine Verbindungen zu den "Krautreportern". Aber kleiner Recherchetipp, um meine Kritik in Zweifel zu ziehen: Ich habe einige Male für "Übermedien" geschrieben.


Altpapierkorb (Neue Zeitung, Facebook vs. Faktenchecker, Carsten Janz, Spionageskandal, Auslandsjournalismus, Chatkontrolle)

+++ Das Medienhaus Naumann im einen Kilometer von der Gemeinde Linsengericht entfernten Gelnhausen hat für einige Gesellschaften der Gruppe Insolvenzanträge in Eigenverwaltung gestellt, schreiben die geschäftsführenden Gesellschafter Oliver Naumann und Jochen Grossmann in einem Beitrag "in eigener Sache" in ihrer "Neuen Zeitung". Kurz zusammengefasst: Sie wollen das Unternehmen wieder auf die Beine bekommen, neue Leute einstellen und "gestärkt, erneuert und innovativer in die Zukunft gehen".

+++ Der Facebook-Konzern Meta ersetzt sein professionelles Fact-Checking-Programm früher als angekündigt durch Community Notes, also eine von Nutzern erstellte Faktenprüfung, ähnlich dem System auf Elon Musks "X" (Altpapier), berichtet Nils Dampz für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Meta-Chef Mark Zuckerberg begründet den Schritt mit angeblicher politischer Voreingenommenheit der Faktenchecker. Die Europäische Union prüft jetzt, ob das neue System mit dem Digital Services Act vereinbar ist – dem EU-Gesetz, das große Online-Plattformen und -Dienste verpflichtet, illegale Inhalte schneller zu entfernen, Transparenz zu erhöhen und Nutzerrechte besser zu schützen.

+++ Das Landgericht Hamburg hat die Geldstrafe von 2.600 Euro gegen den Journalisten Carsten Janz bestätigt, der aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss zitiert hatte, meldet Robert Matthies für die taz. Laut Strafgesetzbuch ist die wörtliche Veröffentlichung amtlicher Dokumente aus schwebenden Verfahren verboten. Das soll die Unvorgenommenheit der Justiz schützen. Janz und seine Verteidiger argumentieren, die Regelung sei unverhältnismäßig, greife in die Pressefreiheit ein und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Janz kritisierte das Urteil als pressefeindlich und will Revision einlegen, um eine grundsätzliche Neubewertung der Vorschrift zu erreichen.

+++ Warum nicht etwas reißerischer anfangen? Es gibt einen neuen internationalen Spionageskandal in der Medienwelt, berichtet Annabell Brockhues für "@mediasres". Das Spionageprogramm "Paragon Graphite" ist offenbar genutzt worden, um Journalisten in mehreren Ländern auszuspionieren, unter anderem in Italien.

+++ Der Auslandsjournalismus in Deutschland steckt in der Krise: Die Zahl der Korrespondentinnen und Korrespondenten nehme ab, berichtet Sarah Schaefer für das Verdi-Medienmagazin "M – Menschen Machen Medien". Freie arbeiteten unter prekären Bedingungen, viele Weltregionen gerieten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, große humanitäre Krisen blieben unbeachtet.

+++ Die EU-Staaten haben es immer noch nicht geschafft, sich auf eine gemeinsame Position zur geplanten Chatkontrolle einigen – also der Möglichkeit, private Nachrichten auf digitalen Plattformen automatisiert nach illegalen Inhalten durchsuchen zu können, schreibt Andre Meister für "Netzpolitik.org" (Altpapier). Ein Kompromissvorschlag aus Polen, der auf Freiwilligkeit setzt, habe keine Mehrheit gefunden. Deutschland könne in der Debatte eine Schlüsselrolle spielen, denn die neue Bundesregierung könnte die Position noch ändern, schreibt Meister. Im Juli übernimmt Dänemark die Ratspräsidentschaft. Die Regierung dort befürwortet die Chatkontrolle.

Das Altpapier am Freitag schreibt Ben Kutz.

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