Eure Geschichte Das Wirken der Treuhandanstalt in den neuen Bundesländern

06. Oktober 2023, 21:18 Uhr

Nach der Wende begann die Arbeit der Treuhandanstalt. "Wenn pro Tag eine Firma verkauft wird, obwohl für jeden Verkauf drei Monate nötig sind, dann können eben Fehler unterlaufen", so der damalige Treuhandmitarbeiter Klaus Klamroth. Wie die Treuhandanstalt tatsächlich gearbeitet hat, zeigt sich an drei ausgewählten Beispielen.

Die nunmehr zugänglichen Akten (der Treuhandanstalt) widerlegen die kursierenden Gruselgeschichten.

Norbert F. Pötzl

Auf der Grundlage des 2019 erschienen Buches "Der Treuhandkomplex – Legenden. Fakten. Emotionen." des Historikers Norbert F. Pötzl ist die dringend notwendig gewordene differenzierte Betrachtung dieser wohl umstrittensten Institution der Nachwendezeit möglich geworden. Die Zahl ihrer Befürworter und Gegner ist seit Jahren ungebrochen. Gerade in jüngster Zeit nimmt die Anzahl der Publikationen zum Thema wieder enorm zu. Mit dem oben genannten Buch liegt nun erstmals ein aktenbasiertes Werk über die Arbeitsweise der Anstalt vor.

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Mi 11.10.2017 12:38Uhr 05:51 min

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Auch der 1983 in Aschersleben geborene Historiker Marcus Böick forscht seit 2012 intensiv zu diesem Thema. Der von ihm geprägte Begriff der "emotionalen Bad Bank" fasst die Gefühlslage jener Ostdeutschen zusammen, für die die Treuhandanstalt das Symbol erfahrener Zurücksetzungen und Entwertungen ihrer Lebensleistung verkörpert. In ihrer Erinnerungskultur ist dieser "negative Gründungsmythos" noch immer fest verankert, stellt Böick fest.

Aus einer eher publizistischen Sicht heraus beschäftigt sich Klaus Behling mit den Folgen des Wirkens der Treuhandanstalt. Auch die Kriminalliteratur schöpft aus dem reichhaltigen Fundus ihrer Aktivitäten. Das Buch "Die blaue Liste" von Wolfgang Schorlau sei hier für die anspruchsvolleren Leser dieses Genres empfohlen.

Mit dem Auftrag gegründet, in möglichst kurzer Zeit die staatlichen Monopole der DDR abzuschaffen und Betriebe gesamtwirtschaftlich zu optimieren bzw. den Regularien der Marktwirtschaft anzupassen, stand die Treuhandanstalt vor der Aufgabe, die gesamte Wirtschaft dieser Region umzugestalten.

Die drei ausgewählten Beispiele stellen den Versuch dar, die ganze Bandbreite von Erfolg bis Misserfolg bei der Umsetzung dieser Aufgabe darzustellen. Deshalb wurden Unternehmen unterschiedlicher Größe, Ausrichtung und Bedeutung gewählt.

Privatisierung der Unternehmen

Als gelungenes Beispiel der Privatisierung fungiert der VEB Plastina Erfurt. An ihm lassen sich alle wesentlichen wirtschaftlichen Entwicklungen der 1990er- und frühen 2000er-Jahre nachvollziehen.

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Bei Foron-Scharfenstein steht das konstruktive Zusammenwirken westdeutscher und ostdeutscher Interessen mit dem Ziel des Umweltschutzes im Mittelpunkt. An diesem Fall lässt sich die Flexibilität und gleichzeitig auch das problembehaftete Umfeld der Treuhand gut untersuchen.

Mit der Schließung des Kaliwerkes Bischofferode wird das wohl umstrittenste und emotional äußerst aufgeladene Kapitel des Wirkens der Treuhand beleuchtet.

In Westdeutschland wäre es nicht möglich gewesen, den Leuten eine Veränderung dieses Ausmaßes zuzumuten. …. Wir brauchen in Deutschland eine breite gesellschaftliche Debatte über die Mühen der Einheit.

Birgit Breuel WELT, 21.07.2019

Die Gründung einer "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" wurde im März 1990 am "Runden Tisch" nach Forderungen von Oppositionsgruppen beschlossen. Die Hauptaufgabe dieser Institution sollte es ursprünglich sein, DDR-Bürger mittels Anteilsscheinen (Cupons) am Volkseigentum zu beteiligen.

Rechtliche Grundlage der Treuhandanstalt

Nach dem Beitritt der DDR zur BRD in "Treuhandanstalt" (THA) umbenannt, fand sie im Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ihre rechtliche Grundlage. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehörten die rasche Ausrichtung der DDR-Wirtschaft auf die Erfordernisse der Marktwirtschaft, die Abschaffung staatlicher Monopole, die Privatisierung staatlicher Betriebe und die freie Preisbildung. Von einer Coupon-Privatisierung war nicht mehr die Rede.

Privatisierung und kommunale Übergabe

Das Ergebnis dieser Arbeit sah wie folgt aus. Von den rund 12.000 Betrieben wurden zwischen 6.500 bis 7.800 privatisiert bzw. in kommunale Hände übergeben. Die Zahl der "abgewickelten" bzw. in Liquidation geführten Betriebe wird mit rund 3.700 angegeben. Damit gingen in den "neuen Bundesländern" von den ehemals 4 Mio. Arbeitsplätzen mehr als 3 Mio. verloren.

In der "Treuhand" selbst arbeiteten am Ende gut 4.600 Mitarbeiter. Neben einer geringen Zahl ostdeutscher Angestellter waren es überwiegend junge und oft genug unerfahrene westdeutsche Betriebswirte sowie Manager der mittleren Führungsebene bundesdeutscher Unternehmen. Die mitgebrachten Wertmaßstäbe und Erfahrungen mit der Marktwirtschaft bestimmten maßgeblich deren Handeln. Bei ihrer Arbeit vor Ort sahen sie sich dann mit den konträren Erfahrungen der Ingenieure, Meister und Facharbeiter aus der planwirtschaftlich geprägten "Mangelwirtschaft" konfrontiert.

Konfliktgeladene Zusammenkunft

Konflikte waren vorprogrammiert. Respekt, Toleranz und Offenheit im Umgang miteinander waren auf beiden Seiten oft schwierig. Nicht zuletzt deshalb wurde die "Treuhand" innerhalb kürzester Zeit und lange über ihre eigentliche Existenz hinaus für viele Bürgerinnen und Bürger Ostdeutschlands zur unbeliebtesten Institution des neuen Staates.

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Geldfresser "Treuhandanstalt"

Auch die Bundesregierung war nur bedingt mit den Ergebnissen der Arbeit der Treuhandanstalt zufrieden. Statt der in Aussicht gestellten 600 Mrd. DM Erlös aus den Verkäufen flossen nur gut 66 Mrd. DM in die Kassen des Finanzministeriums.

Die Ausgaben für die Behörde selbst waren fast doppelt so hoch. Die Ursachen dafür waren vielfältiger Natur. Vor allem der ostdeutschen Öffentlichkeit sind die so genannten "Buschzulagen" (Geldzahlungen für weite Wege/Trennungsgeld und mangelnden Komfort) für die Mitarbeiter aus den "alten Bundesländern" in Erinnerung geblieben.

Auch die unsittlich (weit über das gebräuchliche Maß hinaus) hohen Zahlungen an bundesdeutsche und internationale Beraterfirmen, die erst nach dem Einspruch des Bundesrechnungshofes eingeschränkt wurden, trugen zum Imageverlust bei.

Bundesanstalt zieht Notbremse

Die "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben" (kurz BvS) übernahm ab 1995 die noch verbliebenen Aufgaben und ging 2008 in der "Bundesanstalt für Immobilienaufgaben" auf.

Die Treuhandanstalt stand während ihrer Existenz unter der Leitung von Detlev Karsten Rohwedder und Birgit Breuel. Rohwedder hatte bereits in den späten 1960er-Jahren als Staatssekretär die Wirtschaftsverhandlungen mit der DDR geführt.

Nach seiner Rückkehr in die "freie Wirtschaft" in den 1970er-und 1980er-Jahren erwarb er sich einen exzellenten Ruf als Sanierer von Großkonzernen und wurde deshalb zum Leiter der Anstalt berufen. Im Jahr 1991 fiel er einem Attentat zum Opfer, welches der RAF (Rote-Armee-Fraktion, linksterroristische Vereinigung) zugeordnet wird.

In der aktuellen Debatte zur Treuhand gilt dieser Mord als Wendepunkt im eigenständigen Wirken der Anstalt. Äußerst kontrovers wird darüber diskutiert, ob die Bunderegierung unter Helmut Kohl (CDU) mit der Prämisse "Rückgabe vor Privatisierung" ein eigenständiges Handeln der Nachfolgerin Rohwedders, Birgit Breuel, nicht nur erschwert, sondern nahezu unmöglich gemacht hat.

Birgit Breuel: Umstrittener Aufstieg

Birgit Breuel war über ihre Parteiarbeit in führende Positionen gekommen. Als Wirtschafts-, Verkehrs- und später als Finanzministerin des CDU-regierten Landes Niedersachsen konnte sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Nach ihrer zum Teil äußerst kritisch betrachteten Arbeit bei der "Treuhand", übernahm sie als Generalkommissarin Verantwortung für die erfolgreiche Durchführung der Expo 2000 in Hannover.

Danach zog sie sich weitgehend aus der Politik zurück und äußerte sich erst im Jahr 2019 wieder öffentlich zum Thema "Treuhand".