Das Kollektiv "Künstlerische Entwicklung": (v.l.) Peter Strang, Heinz Werner, Ludwig Zepner
Bildrechte: Porzellanmanufaktur Meissen

Porzellan-Manufaktur Meissen: Das "Kollektiv Künstlerische Entwicklung"

19. Januar 2010, 14:30 Uhr

Um im Arbeiter- und Bauernstaat den "verkitschten Formen der spätbürgerlichen Kunst" etwas entgegenzusetzen, verlangte das Handelsministerium der DDR 1960 die Gründung einer Abteilung "Künstlerische Entwicklung". Dort sollte zeitgemäßes Porzellan kreiert werden, das die gleiche Akzeptanz wie das des Rokoko oder des Barock besitzt.

In der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen machte man sich umgehend an die Umsetzung der Forderung aus der Hauptstadt und rief noch im selben Jahr das "Kollektiv Künstlerische Entwicklung" ins Leben. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten der Dekorgestalter Heinz Werner, die Plastiker Peter Strang und Ludwig Zepner sowie der Blumenmaler Rudi Stolle. Einige Jahre später kam dann noch der Blumen- und Fruchtmaler Volkmar Bretschneider zur Gruppe hinzu.

Alle fünf waren hochtalentierte Künstler, die sich als ein Ensemble von Individualisten verstanden. Mehr als 30 Jahre lang waren sie für die Kreationen der Porzellan-Manufaktur zuständig und erlangten mit ihren gemeinsam entwickelten Arbeiten - etwa dem der Landschaft um Moritzburg nachempfundenen 200-teiligen Service "Großer Ausschnitt" - weltweite Anerkennung. Das Service ist eines der beiden großen Service, die jemals in der Manufaktur entstanden sind, und avancierte zu einem der Verkaufsschlager der Manufaktur.

Das Wirken in einem "sozialistischen Kollektiv" hatte für die fünf Künstler einige handfeste Vorteile: Gemeinsam konnten sie sich besser der schier übermächtigen Tradition der Porzellan-Manufaktur stellen und überdies bot es einen wirksamen Schutz vor Gängelei und immer mal wieder laut werdender kleinkarierter Kritik von Kulturfunktionären.

Der Leiter des Kollektivs Ludwig Zepner

1950 hatte der damals 19-jährige Zepner auf dem Dachboden der Meissner Manufaktur Bruchstücke von Porzellan-Orgelpfeifen entdeckt – Relikte fehlgeschlagener Bemühungen aus zwei Jahrhunderten. Das Thema ließ ihn nicht wieder los. Doch erst 50 Jahre später schaffte er es tatsächlich, eine funktionstüchtige Orgel aus Porzellan herzustellen. Die erste weltweit.

Ludwig Zepner 7 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
7 min

Ludwig Zepner sorgte als Leiter der Meissner Künstlergruppe für Gedankenfreiheit. Darin eingebettet studierten sie die Natur und schufen kleine Porzellan-Kunstwerke.

Sa 02.01.1993 22:00Uhr 06:34 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Im Jahr 2000 präsentierte das Leipziger Grassi-Museum das Lebenswerk Ludwig Zepners. Darunter befand sich eine einzigartige Kreation: eine Orgel, deren Pfeifen aus Meissner Porzellan modelliert sind.Für Zepner war diese Ausstellung mit der Präsentation seiner Orgel der Höhepunkt einer künstlerischen Karriere, die von Anfang an im Zeichen der blauen Schwerter gestanden hatte.

Begonnen hatte alles 1946 in einem Flüchtlingslager in Meißen, wo der 1931 in der Nähe von Breslau geborene Zepner gemeinsam mit seiner Mutter nach der Vertreibung aus der schlesischen Heimat Unterschlupf gefunden hatte. Zepner hatte hier zum Weihnachtsfest Krippenfiguren aus Ton modelliert. Der Lagerleiter war begeistert: "Der Junge muss in die Porzelline!" Und so geschah es auch.

Zepner besuchte von 1948 bis 1952 die Keramikschule der Meissner Porzellan-Manufaktur und lernte alles: Dekormalerei, das Zusammenfügen von Figuren, das sogenannte Bossieren, und das Modellieren. Anschließend studierte Zepner Formgestaltung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Nach seiner Rückkehr aus Berlin wurde er zum Leiter des "Kollektivs Künstlerische Entwicklung" berufen. Unter seiner Federführung entstanden in den folgenden 30 Jahren die bedeutendsten Neuschöpfungen der Staatlichen Porzellan-Manufaktur: das Jahrhundert-Service "Großer Ausschnitt", das "Jägerservice", das Porzellanensemble "Tausendundeine Nacht", Wandgestaltungen sowie Hunderte von Unikaten: Vasen, Teller, Figurengruppen ...

Auf die Frage nach der künstlerische Unabhängigkeit der sozialistischen Künstlergruppe sagte er einmal: "Es kann nur etwas Gültiges entstehen, wenn eine gedankliche Freiheit herrscht. Und diesen Freiraum, den haben wir uns geschaffen, trotz aller Reglements, die von politischer Seite kamen."

Der Dekormaler Heinz Werner

Heinz Werner, der 1928 in Coswig geboren wurde und 1943 als Zeichenschüler in die Meissner Porzellan-Manufaktur eintrat, gilt als der Mentor des modernen Meissner Porzellans. Er schuf weit über 100 Dekore, die heute zu den meistverkauften der Meissner Manufaktur zählen. Hinzu kamen noch Hunderte von Unikaten und Wandgestaltungen. Obwohl Heinz Werner, der seit 1981 auch als Kunstprofessor an der Burg Giebichenstein in Halle wirkte, Angebote aus dem In- und Ausland hatte, blieb er der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen 50 Jahre lang treu.

Der Meißner Porzellanmaler Heinz Werner 5 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Wer in der ‚Porzelline’ arbeitet, der ist ganz oben." Und da kümmerte es ihn auch nicht weiter, dass sein Name eigentlich nur Fachleuten und Liebhabern des Meissner Porzellans vertraut war: "Die blauen Schwerter haben Vorrang vor dem Namen des Künstlers."

Der Plastiker Peter Strang

Peter Strang wurde 1936 in Dresden geboren. Bereits im Alter von 14 Jahren begann er an der Staatlichen Porzellan-Manufaktur eine Ausbildung zum Bossierer, dessen Tätigkeit im Zusammenfügen einer Porzellanfigur besteht. Nach dem Abschluss der Lehrausbildung nahm Strang ein Studium an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste auf und kehrte 1959 als diplomierter Plastiker an die Meissner Manufaktur zurück. Ein Jahr später gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des "Kollektivs Künstlerische Entwicklung".

Strang schuf Wandplastiken, Porträts und Skulpturen aus Meissner Porzellan. Seine Arbeiten zeugen allesamt von einer unbändigen Experimentierfreudigkeit. "Ich will die Grenzen des Machbaren ausloten", lautet eine seiner Maximen. 1973 wurde er zum künstlerischen Leiter der Staatlichen Porzellan-Manufaktur berufen und bekleidete dieses Amt bis 2001.

Porzellanmaler Peter Strang 5 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Peter Strang, der für seine Schöpfungen an der Staatlichen Porzellan-Manufaktur mit dem "Kunstpreis der DDR" und dem "Nationalpreis für Literatur und Kunst" geehrt wurde, bekam 2000 den "Sächsischen Verdienstorden" verliehen, die höchste Auszeichnung, die der Freistaat Sachsen zu vergeben hat.

Der Maler Rudi Stolle

"Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, in der alle Dinge besprochen wurden und jeder hat beim andern reingeredet. Manchmal gab’s auch Streit, aber der gehört dazu", erinnert sich der Dekormaler Rudi Stolle an die Arbeit im "Kollektiv Künstlerische Entwicklung". "Wir haben ja oft auch Sachen gemacht, die einer allein gar nicht hätte bewältigen können, große Wandgestaltungen etwa, da mussten jeder mitmachen. Oder das berühmte 'Jagdservice', da mussten Figuren modelliert, neue Formen entwickelt und Dekore gemalt werden. Das war eine riesige Arbeit, die sich über zwei Jahre hinzog."

Rudi Stolle, der nur malte, wenn er Lust hatte, wurde 1919 in Meißen geboren. 1934 absolvierte er eine Lehre zum Lithograf und besuchte nebenher die Kurse der Malerklasse der Porzellan-Manufaktur. 1940 musste er als Soldat in den Krieg ziehen – nach Polen, in die Ukraine, nach Frankreich und Italien. 1944 geriet er in amerikanische Gefangenschaft und wurde in die USA gebracht. Nach Kriegsende hielt er sich in England auf – in Liverpool und Birmingham, bevor er 1947 nach Meißen zurückkehrte.

Osteuropa

Rudi Stolle im Interview 4 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im selben Jahr begann er als Blumenmaler in der Porzellan-Manufaktur zu arbeiten und wurde 1960 das älteste Mitglied des "Kollektivs Künstlerische Entwicklung". In diese Jahre fallen auch seine ersten eigenen Dekor-Entwürfe, denen unzählige weitere folgten.

1985 verließ Rudi Stolle die Staatliche Porzellan-Manufaktur und ging in Rente. "Doch ich werde nie aufhören zu arbeiten", sagte er damals. Er malte und zeichnete und entwarf Dekore für die Manufaktur, die sich heute in den bedeutendsten Museen der Welt befinden. "Ich habe mein Leben dem Porzellan gewidmet. Und anders geht’s auch gar nicht: Entweder man macht das ganz oder gar nicht", sagte Rudi Stolle am Ende seines Lebens. Er starb 1996 in Meißen.

Der Blumenmaler Volkmar Bretschneider

Volkmar Bretschneider 4 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 30.11.2017 | 19:30 Uhr