Das Bonifatiuswerk Westhilfe für die Kirche in der DDR

Der Kampf um Kirchen und Gemeindezentren

06. September 2011, 12:18 Uhr

Kurz nach 1989 wurden an vielen Kirchenneubauten aus DDR-Zeiten kleine Bronzeplaketten angebracht, die auf eine Finanzierung durch das katholische Bonifatiuswerk verwiesen. Den meisten war das beim Bau der Kirchen verborgen geblieben. Darüber hinaus unterstützte das Bonifatiuswerk regelmäßig die Gemeindearbeit durch Fahrzeugspenden, Benzingutscheine und allerlei Ausstattung für Gottesdienste, Konfirmation u.v.m.

In den Besatzungsjahren nahm die Zahl der Katholiken zu, von einer Million auf etwa 2,7 Millionen als Folge der Vertreibung aus den ehemals deutschen Ostgebieten, insbesondere dem katholisch geprägten Schlesien. Die vorhandenen kirchlichen Einrichtungen befanden sich in Folge des Krieges zum größten Teil in einem beklagenswerten Zustand. Für die wachsende Anzahl an Gläubigen waren sie in keiner Weise ausreichend. Große und kleinere Neubauten waren dringend erforderlich, wurden von der DDR-Regierung aber nicht zugelassen. Lediglich Restaurierungsarbeiten aus eigenen Mitteln konnten durchgeführt werden.

So konnten neue Kirchen zumeist nur mithilfe von "Tricks" errichtet werden. An manche Pfarrhäuser wurden mit Genehmigung großzügige Garagen angebaut, die aber schließlich als Kapellen dienten. Standen die Kirchen erst einmal, dann wurden sie von den staatlichen Stellen meistens widerwillig akzeptiert. Erfuhr der Staat jedoch während des Um- oder Neubaus von den Plänen der Gemeinden, dann  wurde rigoros durchgegriffen - bis hin zur Abrissverfügung. Selbst solche begrenzten Baumaßnahmen konnten die katholischen Gemeinden in der DDR kaum aus eigenen Mitteln finanzieren. Sie erhielten dafür zumeist Unterstützung aus dem Westen, zumal wenn sie einem Bistum jenseits der deutsch-deutschen Grenze angehörten.

Rettung durch die DM

Letztlich führten die Devisenprobleme der DDR zu einer Verbesserung für die katholischen Gemeinden. Seit 1972 wurde es nach einem Beschluss des DDR Ministerrates möglich, in größerem Umfang Neubauten von Kirchen und Gemeindezentren anzugehen, wenn die von DDR-Betrieben erbrachten Bauleistungen in DM bezahlt wurden. Das hieß konkret: Kirchengemeinden und  Bistümer in der DDR mussten entsprechende Wünsche äußern. Diese wurden über den Caritas-Beauftragten der Berliner Bischofskonferenz an die Deutsche Bischofskonferenz geleitet. In deren Auftrag sammelte dann das Bonifatiuswerk in Paderborn die benötigten Mittel. Seien es Gelder der Bischofskonferenz, Privatspenden oder auch Zuweisungen der Bundesregierung. Das Geld überwies das Bonifatiuswerk dann an die Staatliche Außenhandelsgesellschaft der DDR LIMEX, die ihrerseits die angeforderten Bauleistungen bei DDR-Betrieben in Auftrag gab.

Nach weiteren Verhandlungen mit der DDR-Führung erhielt die Katholische Kirche seit 1978 zusätzlich die Möglichkeit, am Rande der neu entstehenden, zum Teil  gigantischen Plattenbausiedlungen wie Berlin-Marzahn oder Leipzig-Grünau Kirchen und Gemeindezentren zu errichten. Für die SED bedeutete dies ein großes Zugeständnis, brachte der DDR aber zusätzlich dringend benötigte Devisen ein.

Einblick in eine Moderne Kirche mit blauen Glasmalereien 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ohne Mobilität keine Glaubensvermittlung

Neben dem Kirchenbauprogramm leistete das Bonifatiuswerk auch ganz praktische Hilfe. Zwischen den Gemeinden auf dem Land lagen oft große Entfernungen; die seelsorgerische Betreuung hing letztlich von der Mobilität des Pfarrers ab. Die sogenannte "Verkehrshilfe" des Bonifatiuswerkes half anfangs mit Mopeds und Fahrrädern, später auch mit PKW und Kleinbussen.

Allein im Zeitraum zwischen 1961 und 1963 wurden über das Hilfswerk 431 Autos und fünf Mopeds in die DDR geliefert: Seit 1961 wurde all das über die sogenannte GENEX Geschenkdienst GmbH abgewickelt. Aus deren Katalog mit dem Titel "Geschenke in die DDR" konnten Bundesbürger Waren aussuchen und mit DM bezahlen; diese wurden dann an Angehörige und Freunde in der DDR geliefert. So konnte ein Auto beispielsweise schon innerhalb von sechs Wochen ausgeliefert werden, während der normale DDR-Bürger auf seinen Trabi bis zu 16 Jahre warten musste.

Kein Geld für den Sprit

Pfarrer hatten in der DDR neben ihren liturgischen Aufgaben auch die seelsorgerische Betreuung der Gemeindemitglieder zu organisieren, so z.B. den Religionsunterricht für die Kinder, der einmal wöchentlich im jeweiligen Gemeindezentrum abgehalten wurde. Oft lebten die katholischen Familien sehr verstreut, was für Pfarrer wie Clemens Pullwitt immer einen erheblichen Aufwand bedeutete. 

Er arbeitete lange Jahre in Zingst auf dem Darß: "Ich habe immer gerechnet: für eine Unterrichtsstunde zwei Stunden Fahrtzeit. Ich bin also jährlich 35.000 km gefahren." Die Spritkosten hätte er oder seine Gemeinde kaum tragen können. So half einmal mehr das Bonifatiuswerk mit sogenannten "Tankkreditscheinen". Tankgutscheine mussten genauso wie die Barkas oder Trabant einmal jährlich zentral über die GENEX bestellt werden. Im Jahre 1976 orderte das Bonifatiuswerk auf diesem Weg Benzingutscheine für 932.000 Liter Treibstoff.

Ein Westpaket für die Kirche

Über die Jahre wurde vieles an die Gemeinden in der DDR geliefert, was kirchliches Leben unterstützte oder erst ermöglichte – oft auch an den staatlichen Stellen vorbei. Benötigt wurden z.B. Messwein und liturgische Gewänder für die Gottesdienste, aber auch ganz Alltägliches. Schließlich entwickelte sich ein regelrechter Versandhandel: "Unser Versand glich einem Warenlager mit Schuhen, Spielsachen, Kaffee, Lebensmitteln und vielem mehr" erinnerte sich Daniela Koch, langjährige Mitarbeiterin des Bonifatiuswerks, in einem Tagungsbeitrag der katholischen Akademie Berlin anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls.  

Warenlieferungen in die DDR durfte allerdings nicht mit dem Absender "Bonifatiuswerk" versehen werden, gestattet waren nur Paketsendungen von Privatperson zu Privatperson, gekennzeichnet als "Geschenksendung! Keine Handelsware!". So kam man auf einen Trick, der viele Unterstützer des Bonifatiuswerkes in die DDR-Hilfe einband. Wenn zum Beispiel in Paderborn ein Päckchen für den Pfarrer in Heiligenstadt im Eichsfeld gepackt worden war, wurde dieses zunächst an eine Privatperson in der Bundesrepublik geschickt, die es schließlich als private Geschenksendung bei der Post mit der gewünschten Adresse in Heiligenstadt aufgab. Mit diesem speziellen "Kurierdienst" unterstützten viele Katholiken aus Westdeutschland Gläubige im Osten. Wie viele sogenannte "Paten" sich an dieser verdeckten Hilfe für die katholischen Gemeinden in der DDR beteiligten, ist nicht mehr zu ermitteln. Aber zum Beispiel bei der Hilfe für die Erstkommunion wird die Leistung in Umrissen erkennbar. In den DDR-Gemeinden gingen pro Jahr etwa 800 Kinder zur Ersten Kommunion. Sie benötigten Kommunionkleider und Anzüge, die in der DDR nur sehr schwer zu beschaffen waren. Durch den improvisierten Paketdienst wurden ganze Jahrgänge komplett versorgt.

Geheimkonto "Diaspora"

Da in der DDR vom Staat keine Kirchensteuer erhoben wurde, lebten die Priester von der Unterstützung ihrer Gemeinden. Um dieses Einkommen etwas aufzubessern, richtete die Katholische Kirche in der Bundesrepublik ein besonderes Diaspora-Konto beim Bonifatiuswerk ein. Jeder Priester in Westdeutschland musste ein Prozent seines Gehaltes an dieses Konto abgeben. Das ermöglichte es, jedem Priester in der DDR pro Jahr 1.200 DM zur Verfügung zu stellen. Da der direkte Transfer in die DDR aber nicht erlaubt war, fand das Bonifatiuswerk einen komplizierten, aber effektiven Ausweg. Priester im Osten forderten über Bekannte oder Verwandte entsprechende Beträge an. Das Geld wurde dann entweder durch Freunde überbracht, die dann eine Quittung für die Abrechnung mit dem Bonifatiuswerk erhielten, oder es wurden über einen "Paten" Waren in entsprechendem Wert geliefert. Die meisten Priester nutzten dieses Konto, um für ihre Gemeinden dringend benötigte Geräte wie etwa Plattenspieler, Kassettenrekorder oder ähnliche Hilfsmittel für das Gemeindeleben zu beschaffen.