KULTUR erleben

Der Morgenhimmel über dem Zentrum der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz mit der historischen Markthalle (vorn).
Chemnitz hat viel zu bieten und ist nicht umsonst Kulturhauptstadt 2025. Für Ihren Besuch haben wir ein paar Tipps. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

7 TippsChemnitz: No Gos für Ihren Besuch in der Kulturhauptstadt

18. März 2025, 17:26 Uhr

Die Menschen in Chemnitz zeichnet ein charmantes Understatement aus. Wenn etwas nicht funktioniert, dann quittieren das Chemnitzer oft mit einem Schulterzucken. Zumeist kommt dann noch ein selbstironisch-resignierter Spruch hinterher, wie: "Ach naja, für Chemnitz reicht's". Aber Vorsicht – als Besucher darf man gern mitlachen, aber nicht auslachen. Damit Sie beim Ausflug in die Kulturhauptstadt 2025 Fettnäpfchen und Fallen vermeiden, haben wir ein paar Tipps – die gängigsten No Gos für Chemnitz:

von Nora Kilényi, MDR KULTUR

1. Wo sind denn hier die Nazis?

Zugegeben: Die Frage ist naheliegend, und besonders überregionale Medien beschäftigen sich gern mit diesem Thema. Auch die Kulturhauptstadt hat die Naziaufmärsche von 2018 für ihre Bewerbung genutzt. Böse Zungen behaupten gar, Chemnitz hätte den Titel nur deswegen gewonnen. Und ja, wenn man genau hinschaut, findet man Nazis. Sie tragen ungeniert ihre Szenekleidung und Tattoos auf Stadtfesten oder in Einkaufszentren zur Schau, auf Flohmärkten werden Nazi-Devotionalien gehandelt. Und kürzlich schrieb eine Szenekneipe nach einem Angriff auf Instagram: "Gruselig ist, dass wieder Nazi-Truppen mit Gebissschutz und Quarzhandschuhen durch die Chemnitzer Nacht marodieren und Opfer suchen".

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Doch gibt es Nazis genauso in anderen Städten und Gegenden – in Thüringen zum Beispiel. Oder man denke an einige bekannte Nazikader in Chemnitz, die eigentlich Importware aus Dortmund sind.

An Deckel des Einwurfschlitzes eines Briefkastens ist mit Filzstift "Nur Liebesbriefe" aufgemalt.
Chemnitzer sind skeptische, aber herzliche Menschen. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

Chemnitzer sind sich des Problems bewusst, sind es aber leid, darauf reduziert zu werden. Zumal es sich gerade nach den Ereignissen 2018 gezeigt hat, dass die Chemnitzer Gesellschaft bunt und vielfältig ist. Und dass die vormals eher verschlafene, gesellschaftliche Mitte der Chemnitzer Bürgerschaft wachgerüttelt wurde. Das zeigte zum einen das 2018 spontan initierte Konzert "Wir sind mehr" mit 65.000 Besuchern. Aber auch heute noch bringen sich mehr Vereine ins Stadtleben ein, als es vor den Ereignissen der Fall war.

2. Wann fährt hier der nächste ICE?

Autsch, ganz böses Thema. Diese Frage bitte nicht stellen. Chemnitz ist die größte deutsche Stadt, die vor langer Zeit von der Deutschen Bahn vom Bahnfernverkehr abgeschnitten wurde. Das kann auch kein IC retten, der seit kurzem zwei Mal am Tag morgens nach Berlin fährt und abends nach Chemnitz zurück. Denn das ist ja auch die falsche Richtung, wenn man Touristen in die Kulturhauptstadt bringen will. Immerhin ist nun ein IC angekündigt, der ab Mai an Wochenendtagen um 8 Uhr von Berlin ohne Halt nach Chemnitz fahren soll. Ob das reicht, bleibt abzuwarten.

Eine belebter Hauptbahnhof sieht anders aus. In Chemnitz fahren nicht so viele Züge, vor allem fahren (fast) keine Fernzüge. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

Die Nahverkehrsstrecke zwischen Chemnitz und Leipzig ist seit Jahren unzuverlässig. Wer also in Chemnitz nach einem ICE fragt, erntet missmutiges Stirnrunzeln und wird wohl eher auf umliegende Autobahnen verwiesen.

3. Wo ist denn hier die Innenstadt?

Auch diese Frage dürfte nicht gut ankommen. Chemnitz kann nun mal nichts dafür, dass die Stadt 1953 in Karl-Marx-Stadt umbenannt wurde und als sozialistische Vorzeigestadt breite Aufmarschstraßen erhielt. Ein Wiederaufbau der von den Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstörten Innenstadt kam damals daher nicht in Frage. Von einzelnen Gebäuden abgesehen, blieb nur ein kleiner Rest zwischen Rathaus und Innerer Klosterstraße erhalten. Aber, wenn Chemnitz nur mit einer repräsentativen Innenstadt mit schmucken Jugendstilhäusern hätte punkten wollen oder wahlweise auch mit protzigen Barockbauten wie eine Mitbewerberin, wäre sie ja auch nicht Europäische Kulturhauptstadt geworden.

Das ehemalige Kaufhaus Schocken ist eines der bedeutenden Bauwerke der Moderne in Chemnitz. Bildrechte: Laszlo Farkas

Stattdessen sei Touristen ans Herz gelegt, lieber den einstigen und oftmals belächelten Werbeslogan "Chemnitz – Stadt der Moderne" wortwörtlich zu entdecken. Denn die Architektur der Moderne ist hier in vielen Gebäuden erhalten geblieben. Chemnitz hat im Stadtgebiet verteilt jede Menge stilprägende Bauwerke, die ihrer Zeit weit voraus waren. Hier ein paar Beispiele: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.

4. Wo sind die anderen Touristen?

Wer genau hinschaut, kann bereits Touristen entdecken. Von den für das gesamte Kulturhauptstadtjahr 2025 erwarteten zwei Millionen ist die Stadt natürlich noch weit entfernt. Nach der großen Eröffnungssause am 18. Januar ist in der noch kalten Jahreszeit wieder Ruhe eingekehrt. Die nächsten Höhepunkte sind erst ab April/Mai zu erwarten. Daher wird Chemnitz derzeit nicht gerade von Touristen überrannt. Es gibt aber bereits jetzt schon wesentlich mehr Besucher als üblich, das bestätigen auch die Stadt und das Kulturhauptstadtteam.

Das Besucherzentrum der Kulturhauptstadt – dafür wurde die ehemalige Hartmannfabrik saniert. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

Allerdings ist es manchmal schwierig, dem Kulturhauptstadtprogramm konkrete Termine zu entnehmen. Das liegt teils daran, dass die Termine noch gar nicht feststehen und die gedruckten Programmbücher daher nur grobe Orientierung bieten können. Wer also in der Kulturhauptstadt ankommt, holt sich am besten Kennung im Besucherzentrum oder verschafft sich hier einen Überblick.

5. Den Besuch besser nicht am Sonntag beginnen

Apropos Besucherzentrum der Kulturhauptstadt: Das wurde ja in der sanierten ehemaligen Hartmannfabrik eingerichtet, eines der 30 Infrastrukturprojekte der Stadt. Hier erhalten Besucher nützliche Tipps und Infomaterial, aber nicht am Sonntag – da ist es geschlossen (Stand: 18.03.2025).

Die aktuellen Öffnungszeiten des Besucherzentrums der Kulturhauptstadt Chemnitz. Am Sonntag drücken sich hier regelmäßig Touristen an der Tür die Nase platt. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

Das ist schwer nachzuvollziehen, denn gerade der Sonntag ist ja prädestiniert für einen – na sagen wir mal – Sonntagsausflug. Den Weg zur Tourist-Information am Rathaus als Alternative kann man sich übrigens sparen – die ist sonntags auch zu. Möchte die Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz sonntags etwa keine Touristen in Empfang nehmen?

"C the unseen" – der Slogan der Kulturhauptstadt Chemnitz. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

6. Wo geht’s hier zum Starbucks?

Auch mit dieser Frage macht man sich keine Freunde unter den Einheimischen. Die Frage ließe sich alternativ auch mit Kaufhof, Hugendubel oder vielen anderen Ketten stellen, die um Chemnitz einen großen Bogen machen oder der Stadt einst den Rücken gekehrt haben. Warum diese Ketten in einer rund 250.000 Einwohner-Stadt – und damit (ohne Berlin) immerhin der drittgrößten Stadt Ostdeutschlands – keine Dependance haben wollen, muss man eher die Ketten fragen. Guten Kaffee gibt’s in Chemnitz übrigens trotzdem – sogar in der Innenstadt.

7. Besser nicht das Auto am Schloßteich parken

Das gab es schonmal 2020 im Rahmen der Kunstausstellung "Gegenwarten I". Damals wurde ein Skoda im Schloßteich halb versenkt und das als Kunstwerk deklariert. Diese Aktion erntete wochenlang viel Widerspruch und Protest bei Chemnitzern.

Eine Kunstaktion im Rahmen der "Gegenwarten I"-Ausstellung im Sommer 2020. Bildrechte: Kunstsammlungen Chemnitz/Roman Mensing, 2020

Die Skulptur eines riesigen Darmes im Schillerpark hingegen wurde damals nach und nach angenommen – hauptsächlich von Kindern, die den Darm zu ihrem Spielplatz machten.

Die Skulptur eines übergroßen Darms im Schillerpark in Chemnitz stammt auch aus der "Gegenwarten I" -Ausstellung im Jahr 2020. Das Kunstwerk wurde später wieder abgebaut. Bildrechte: MDR/Nora Kilényi

Doch es gibt auch Kunstwerke im öffentlichen Raum, die bei Chemnitzern hoch im Kurs stehen. Zum einen der Nischel, na klar. Wo sonst machen Touristen mehr Selfis als vor dem Karl-Marx-Monument. Aber auch die bunte Esse von Künstler Daniel Buren haben die Chemnitzerinnen und Chemnitzer in ihr Herz geschlossen. Der bunte "Lulatsch" ist rund 300 Meter hoch und damit laut Eins Energie Sachsen das höchste Kunstwerk der Welt.

Die bunte Esse ist eines der bedeutendsten Wahrzeichen von Chemnitz. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Über die AutorinDie Autorin (Jahrgang 1974) ist den größten Teil ihrer Kindheit in Karl-Marx-Stadt aufgewachsen. Mit Eintritt der Volljährigkeit verließ sie schlagartig Chemnitz, um dann 2005 reumütig zurückzukehren – aus rein familiären Gründen versteht sich. Damit gehört sie der krassen Minderheit der Chemnitz-Rückkehrer an. Was sie an ihrer Heimatstadt mag? Die Menschen natürlich, das Schocken, die Fachwerkhäuser am Schloßteich und das Gebäudeensemble am Theaterplatz.

Die Kulturhauptstadt Chemnitz entdecken

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Feature "Das sächsische Manchester" | 16. Januar 2025 | 23:59 Uhr