"Meinung zu Gast"Kein blaues Wunder in Ostdeutschland

21. März 2025, 09:16 Uhr

"Meinung zu Gast"-Autor Marc Rath kritisiert die fehlende Sichtbarkeit der Parteien im Osten Deutschlands und fordert klarere Positionen und einen direkteren Dialog.

Während ganz Deutschland gerade auf das politische Berlin schaut, ob und wie sich mit dem Ergebnis der Bundestagswahl eine kleine große Koalition aus den Unions-Parteien und der SPD bilden lässt, lohnt sich nach einem guten Monat nach dem Wahltermin auch eine mitteldeutsche Wahlnachlese. Speziell mit dem Blick auf Sachsen-Anhalt. Denn hier steht mit der Landtagswahl im nächsten Jahr der nächste Urnengang an.

Würde dann das Ergebnis so ausfallen wie am 23. Februar, stünde das Land an Elbe und Saale praktisch vor – zumindest aus heutiger Sicht – unregierbaren Zeiten. Das Bundestagswahl-Ergebnis umgerechnet, hätte nur ein Bündnis aus CDU, SPD, BSW und Linken eine Mehrheit – gegen eine AfD, die mit 37,1 Prozent bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt fast doppelt so viele Stimmen erhielt wie die CDU.

Nun sind Landtagswahlen keine Bundestagswahlen. Und außerdem findet die Wahl erst in etwas mehr als einem Jahr statt. Stimmt. Doch da sollte sich niemand in Sicherheit wiegen. Das zeigen die Wahlergebnisse vor einem Jahr bei den Europa- und Kommunalwahlen. AfD und BSW bekamen damals in Sachsen-Anhalt zusammen fast 50 Prozent der Stimmen – doppelt so viele wie die CDU. Selbst bei den Kommunalwahlen lag Blau vor Schwarz.

Meinung zu GastIn der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.

Traditionelle Parteien haben im ländlichen Ostdeutschland keine Basis mehr

Gewiss kann man die Ergebnisse der Bundestags- und Europawahlen als Denkzettel gegen die Politik in Berlin und Brüssel verstehen. Denn das waren sie auch. Doch das Problem sitzt tiefer. Die traditionellen Parteien haben im ländlichen Raum Ostdeutschlands keine Basis mehr. Das beginnt bei den zu großen Wahlkreisen bei der Bundestagswahl: Sachsen-Anhalts nördlichster Wahlkreis hat eine Fläche, die mehr als doppelt so groß wie das Saarland ist und drei große Flächenkreise enthält. Mehr Bürgerferne geht kaum.

Nicht nur das. Es gibt auf dem Land kein Parteileben, die meisten haben es sogar schwer, vor Wahlen mit Plakaten noch sichtbar zu sein. Wo kaum jemand mehr vor Ort wahrnehmbar ist, kann kein Vertrauen wachsen. Eine Lücke, die die AfD in etlichen Gemeinden genutzt hat und hier aktiv geworden ist. Die CDU, die sich vor Jahren zur Sachsen-Anhalt-Partei ausgerufen hatte, ist häufig nur noch auf Platz 2, verdrängt von der selbsternannten Alternative oder durch Wählervereinigungen.

Die AfD ist inzwischen fast überall in den kommunalen Gremien vertreten, in etlichen auch als stärkste Kraft, so dass sie bei Abstimmungen mehr und mehr mitbestimmt. Dass sie an der Basis eher mit Populismus statt mit rechtsextremen Positionen unterwegs ist, trägt zu einer Normalisierung bei. Die jüngsten Wahlergebnisse sind daher auch aus diesem Grund alles andere als ein Wunder.

Bildrechte: Andreas Stedtler (MZ)

Marc RathMarc Rath ist der Chefredakteur der "Mitteldeutschen Zeitung" und der "Volksstimme". In der Reihe "Meinung zu Gast" kommentiert er als Gastautor Transformations- und Veränderungsthemen in Mitteldeutschland.

Politische Kontroversen haben zu Mobilisierung für alle Parteien geführt

Es gibt aber auch noch einen anderen Trend, der Hoffnung macht: Die jüngsten politischen Kontroversen – nicht zuletzt um den Kurs in der Migrationspolitik – haben auch zu einer Mobilisierung geführt. Nahezu alle Parteien registrieren Mitgliederzuwächse. Das ist in Wahlkampfzeiten nicht ungewöhnlich. Dass aber Sachsen-Anhalts Linke binnen Wochen ihre Mitgliederzahl um nahezu ein Drittel steigern kann, ist außergewöhnlich.

Ob und wie die Politik und die Parteien auf all dies reagieren, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Es bedarf jedenfalls überzeugender Maßnahmen, die die Probleme und Herausforderungen unseres Landes erkennbar lösen können. Die unterschiedlichen politischen Ansätze und die Haltungen dahinter müssen deutlicher werden. Dazu gehören nicht nur glaubhafte Persönlichkeiten, sondern auch eine Kommunikation der Botschaften auf Augenhöhe.

Nicht erst die Bundestagswahl hat gezeigt, wie wichtig hier inzwischen die digitalen Kanäle sind. Ein Selfie aus dem Stadtrat mit einem Satz à la "Heute Ausschusssitzung" beweist, dass man verstanden hat, wie etwas gepostet wird und offenbart zugleich, dass man nicht in der Lage oder gar Willens ist, Inhalte zielgruppengerecht zu vermitteln. Wer das aber in der realen wie in der digitalen Welt nicht beherrscht, wird wirklich ein blaues Wunder erleben.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 23. März 2025 | 09:34 Uhr