InterviewBiologe und Sexualforscher: "Es gibt mehr als zwei Geschlechter"
In den USA gibt es seit der Amtszeit von Präsident Trump Verordnungen, die der "Wokeness" den Kampf ansagen sollen. Dazu gehört, dass es nach einer Executive Order nur noch zwei Geschlechter in den USA gibt: männlich und weiblich. Das ist rein biologisch falsch, sagt Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg. Im Interview erklärt der Professor für Sexualforschung, welche Parallelen es im Umgang mit Transgender zwischen 1933 in Deutschland und heute in den USA gibt.
MDR AKTUELL: Präsident Trump hat per Dekret für die USA festgelegt, es gebe nur zwei Geschlechter: männlich oder weiblich. Was halten Sie davon als Biologe?
Heinz-Jürgen Voß: Die biologische Forschung hat deutlich gezeigt, dass Geschlechtsentwicklung vielfältig ist. Das hat durchaus auch in der Biologie eine Weile gebraucht. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hat man versucht, Variationen, die man festgestellt hat, in eine binäre Ordnung einzugliedern. Das hatte nicht funktioniert.
Mittlerweile ist man deutlich dabei angekommen, tatsächlich eine Variabilität in Bezug auf Geschlecht in den Blick zu nehmen. Das ist auch eine logische Konsequenz der Evolutionstheorie, wo gerade geschlechtliche Fortpflanzung auf eine Variation des Erbguts abzielt, also auf Re-Kombination angelegt ist. Deshalb wäre es absolut absurd, wenn dann das Ergebnis auch geschlechtlich reine Binarität sein sollte.
Wie viele Menschen sind eigentlich trans, inter oder non binär, gibt es dazu Zahlen? Es heißt ja in Diskussionen öfter, das seien nur sehr, sehr wenige Menschen. Stimmt das denn?
Wir führen hier in der Region, aber auch bundesweit, die sogenannten Partner-Studien durch. Die finden seit den 1970er-Jahren statt. Die letzte haben wir 2020/2021 durchgeführt. Und da haben 4 Prozent der Befragten, sowohl in der Erwachsenen- als auch in der Jugendstudie, angegeben, dass sie sich beim Geschlecht als "divers" einordnen.
In den Gruppen der weiblichen und männlichen Person finden sich wiederum auch Transgender. Insofern haben wir eine relevante Größenordnung, die sich in Bezug auf Geschlecht nicht 'klassisch' binär einordnet. In Bezug auf Trans*-Personen kann man die Zahlen nur schätzen. Man geht ungefähr von zwei Prozent der Bevölkerung aus.
Bei intergeschlechtlichen Menschen sprechen wir von ungefähr 1,7 Prozent der Bevölkerung, die intergeschlechtlich sind. Sieht man auf die Kinder, denen im Säuglingsalter traumatisierende geschlechtszuweisende Eingriffe zugefügt werden, nur damit sie „nicht auffallen“, dann handelt es sich um 300 bis 500 Kinder pro Jahr, die – trotz eines Verbots, das seit 2021 gilt, schon als Kleinkinder operiert oder entsprechend behandelt werden.
Sie beschäftigen sich ja wissenschaftlich in verschiedenen Disziplinen mit dem Thema Geschlecht. Was glauben Sie: Woher kommt diese Bewegung, diese Notwendigkeiten, trans-, inter und non binären Personen Rechte abzusprechen? Also wie aktuell in den USA, wo beispielsweise bei Einreise-Anträgen nur noch zwei Geschlechter angegeben werden dürfen. Und das Geschlecht, das bei Geburt eingetragen wurde, zählt.
Interessant ist bei Trump, dass er eine Gruppe heraushebt: Transgender, intergeschlechtliche und non binäre Personen. Zumindest greift er derzeit keine homo- oder bisexuellen Menschen in der Art an. Ob das so bleibt, wird man erst noch sehen.
Wenn wir uns das Ganze historisch angucken, zum Beispiel in der deutschen Geschichte, dann sehen wir, dass gleich im April 1933 der überhaupt erste Erlass zur Sexualpädagogik in der deutschen Geschichte verabschiedet wurde. Also tatsächlich kurz nach der Machtübertragung an die Nazis.
Es lohnt sich zu fragen: Warum? Der Grundtenor der Nazis damals war – und es zeigt sich ähnlich bei Trump: Geschlechterwandlung und -mischung oder, wie man heute sagen würde, geschlechtliche Vielfalt, wird abgelehnt. Stattdessen wird gefordert: "Ein Mann soll wieder 'richtig Mann' sein, und eine Frau soll wieder 'richtig Frau' sein."
Was denken Sie noch über die Situation in den USA?
Wir sehen auch eine Wehrhaftigkeit der Demokratie in den USA. Selbst erzkonservative Richter treten Dekreten von Trump entgegen und schützen die Verfassung. Die Verfassung der Vereinigten Staaten gründet auf der Gleichheit der Menschen. Trump verstößt dagegen.
Immerhin: Trumps Dekrete führen plakativ vor Augen, dass eine geschlechtliche Eindeutigkeit und Binarität eben nicht biologisch und natürlich ist, sondern durch Normen, Restriktionen und gesellschaftliche Konventionen überhaupt erst hergestellt wird. Leider ist die aktuelle gewaltvolle Aushandlung absolut bedrohlich für Trans*-Personen.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 24. März 2025 | 16:24 Uhr