MDRfragtViel Offenheit für neue Schulden – aber eher nicht für Verteidigung
In Deutschland wird über eine Lockerung der Verschuldungsregeln für Bund und Länder diskutiert. Wenn es nach der MDRfragt-Gemeinschaft ginge, dann wären eher Kredite für die Infrastruktur in Ordnung als für die Verteidigung.
- Viele Befragten sehen die Notwendigkeit für höhere Ausgaben und neue Kredite - aber deutlich häufiger bei Infrastruktur als bei Verteidigung.
- Egal, wie die Weltlage sich ändert: Die MDRfragt-Gemeinschaft ist stabil uneinig über höhere Verteidigungsausgaben.
- Union und SPD starten Koalitionsverhandlungen: Im MDRfragt-Stimmungsbild ist die Vorfreude auf Schwarz-Rot verhalten.
Kaum war die Bundestagswahl vorbei, begann die Diskussion um eine Lockerung der Schuldenbremse und neue Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur. Während der Bundestag am heutigen Donnerstag in einer eilig einberufenen Sondersitzung über die Pläne diskutiert, zeigt ein aktuelles Stimmungsbild aus dem MDR-Sendegebiet: Die Verschuldung für Verteidigung wird kritischer gesehen als Kredite für die Infrastruktur.
Schulden für Infrastruktur eher okay
So ist eine Mehrheit der Befragten (55 Prozent) durchaus dafür, dass für eine bessere Infrastruktur neue Staatsschulden gemacht werden. Bei der Verteidigung befürwortet hingegen nur eine Minderheit (42 Prozent), dass neue Schulden aufgenommen werden.
Einige MDRfragt-Mitglieder erklären, warum sie sich so positionieren. Argumente, die sich dabei immer wieder finden: Von höheren Ausgaben in Straßen, Schienen, Stromleitungen, Krankenhäuser und Co. hat die Bevölkerung im Land direkt einen Nutzen und der Investitionsstau sei offensichtlich. Bei der Verteidigung sehen auch viele Befragte, dass die Bundeswehr bessere Ausrüstung braucht und Europa unabhängiger von den USA unter Präsident Donald Trump werden muss.
Gleichzeitig äußern Gegnerinnen und Gegner von Schulden für die Verteidigung immer wieder ihre Sorge, das könnte einen Rüstungswettlauf in Gang setzen und die Gefahr neuer Kriege erhöhen.
So meint etwa MDRfragt-Mitglied Veronika (68) aus dem Salzlandkreis: "Der Staat kassiert genug Steuern. Raus aus jeglicher Kriegsbeteiligung und Sondersteuer auf Kriegsgewinne und Milliardärssteuer. Dann reicht auch das Geld."
Winfried (72) aus dem Saalekreis schreibt, dass höhere Verteidigungsausgaben ohne neue Schulden finanziert und gesetzlich nach oben gedeckelt werden sollten: "Verteidigungsfähigkeit ist wichtig, aber Rüstungsspiralen beflügeln den Willen zum Krieg, zumindest zu Kriegsbereitschaft statt Diplomatie."
Ganz anders argumentiert etwa Kathleen (44) aus Leipzig und verweist darauf, dass die Bundeswehr kurzfristig gestärkt werden müsse, um in diesen Zeiten leistungsfähig zu sein: "Da Rüstung teuer ist, wären ohne neue Kredite nur langsame Reformen möglich."
Und MDRfragt-Mitglied Hella aus Erfurt meint mit Blick auf neue Schulden für die Verteidigung: "Besser wären gezielte Einsparungen bei Staatsausgaben. Aber in diesen Zeiten ist eine gute Verteidigung anscheinend unausweichlich nötig."
HinweisAn dem aktuellen Stimmungsbild von MDRfragt haben sich Anfang März rund 26.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt. Das Meinungsbarometer ist nicht repräsentativ, aber aussagekräftig für die Stimmungen im MDR-Sendegebiet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen.
Alles zur Methodik, den Mitmachmöglichkeiten und den Ergebnissen gibt es am Ende dieses Artikels.
Und so unterschiedlich wie diese Auswahl an Wortmeldungen aus der MDRfragt-Gemeinschaft ist, so unterschiedlich fällt auch der grundsätzliche Blick darauf aus, ob Deutschland mehr Geld für Verteidigung ausgeben sollte.
Blick auf höhere Verteidigungsausgaben stabil gemischt
Während die Verhandlerinnen und Verhandler um Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil argumentieren, dass sich mit dem jüngsten Verhalten eines anscheinend unzuverlässigen US-Präsidenten die Weltlage verändert habe und mehr Geld für Rüstung in Europa notwendig sei, bleibt das Meinungsbild aus der MDRfragt-Gemeinschaft quasi unverändert:
Seit das MDRfragt-Team der Community die Frage stellt, ob Deutschland seine Verteidigungsausgaben erhöhen sollte, gibt es etwas mehr Befürworterinnen und Befürworter als Gegnerinnen und Gegner. Aber der Abstand ist klein.
Alte Mehrheiten für neue Schulden?
Der neue Bundestag ist schon gewählt, aber noch nicht konstituiert. Da im Grundgesetz geregelt ist, dass Deutschland niemals ohne entscheidungsfähiges Parlament dasteht, müssten aktuell noch die Abgeordneten aus der vorherigen Wahlperiode eilige Entscheidungen treffen.
Genau diese Option wollen CDU, CSU und SPD als mögliche künftige Koalition nutzen und haben Sondersitzungen einberufen. Das Ziel: Der Bundestag soll mit einer Grundgesetzänderung ermöglichen, dass es ein Sondervermögen für die Infrastruktur und eine Ausnahme von der Schuldenbremse für höhere Verteidigungsausgaben gibt.
Kritikerinnen und Kritiker werfen Union und SPD vor, den Bundestag in alter Besetzung nicht wegen der Eiligkeit einzuberufen, sondern weil die Zwei-Drittel-Mehrheit jetzt noch ohne Beteiligung von Linkspartei und AfD zu erreichen wäre. Die beiden Parteien klagen unter anderem wegen dieser Zweifel in Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.
Skepsis zu Sondersitzung für Sonderschulden
Und auch ein Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft findet es im aktuellen Stimmungsbild nicht in Ordnung, dass der Bundestag mit alten Mehrheitsverhältnissen über die neuen Schuldenoptionen abstimmen soll. Gut ein Viertel der Befragten (28 Prozent) hat kein Problem mit der Abstimmung mit alten Mehrheiten.
Was genau in der MDRfragt-Gemeinschaft für Unmut sorgt, erhellt ein Blick in die Kommentare. Und es sind viele verschiedene Gründe.
Da sind Befragte wie Thomas (49) aus Leipzig. Er findet, die Union von Kanzlerkandidat Merz habe im Wahlkampf getäuscht, als sie sich gegen die Lockerung der Schuldenbremse aussprach und schreibt: "Geht gar nicht. Dass nach der Wahl noch solche Manöver gemacht werden. Und gegen den Willen der Wähler. Dann hätte die CDU auch zur Ampel-Zeit zustimmen können."
Oft kommen auch Argumente wie die von Sylke (60) aus Dessau-Roßlau: "Es wurde gewählt, die Menschen haben ihren Willen zum Ausdruck gebracht und jetzt noch einmal eine Rolle rückwärts zu machen, das würde niemand verstehen. Es sollen die Neuen machen, sie sind dafür gewählt worden."
Knapp und grundsätzlich formuliert es Daniel (45) aus Halle: "Die Legitimation ist dem Bundestag in dieser Zusammensetzung entzogen worden. Ablesbar am Wahlergebnis."
Und einige Befragte werden emotional, zum Beispiel Brigitte (65) aus dem Kyffhäuserkreis, die schreibt: "Der alte Bundestag ist abgewählt. Herr Merz hat jetzt das Sagen. Soll er zeigen, was er kann, und nicht schon wieder für das für ihn angenehmste Ergebnis alle Regeln ändern. Das regt einen schon wieder auf, bevor er offiziell Kanzler ist und zeigt, dass er nichts besser kann."
Das ist zutiefst unmoralisch. Aber legal, pragmatisch und notwendig.
MDRfragt-Mitglied Anton (60), Dresden
Doch es gibt im MDR-Sendegebiet auch Bürgerinnen und Bürger, die das ganz anders sehen. "Wenn es dringende Lösungen erfordert, muss schnell gehandelt werden", findet etwa Ralf (57) aus dem Saale-Orla-Kreis. Für Johannes (36) aus Dresden gilt: "Der Unsicherheitsfaktor Trump macht schnelle Entscheidungen unabdingbar. Blockaden durch die AfD sind zu erwarten."
Sylvia (69) aus dem Wartburgkreis bemängelt: "Diese Entscheidungen hätten schon längst gemacht werden müssen. Aber nein. Sich immer zu streiten, ist wichtiger." Und Anton (60) aus Dresden beschreibt, warum er den Plan, mit alten Mehrheiten neue Verschuldungsspielräume zu beschließen, gleichzeitig richtig und falsch findet: "Das ist zutiefst unmoralisch. Aber legal, pragmatisch und notwendig."
Endlich wieder Schwarz-Rot? – Vorfreude verhalten
Die Vorschläge für die milliardenschweren Finanzpakete für Verteidigung und Infrastruktur hatten die Verhandlerinnen und Verhandler von CDU, CSU und SPD noch in ihren ersten Gesprächen über eine mögliche Regierungs-Zusammenarbeit getroffen, am heutigen Donnerstag beginnen die Koalitionsgespräche.
In der MDRfragt-Gemeinschaft sorgt die Aussicht, dass nach der kurzen Unterbrechung durch die Ampel-Regierung wieder eine schwarz-rote Koalition regiert, für verhaltene Vorfreude. Mehr als die Hälfte der Befragten ist kein Fan von dieser Farbkombination (55 Prozent). Damit sind die Befürworterinnen und Befürworter (41 Prozent) in Unterzahl.
Auch hier sind die Begründungen für beide Positionen sehr unterschiedlich. Ein häufiges Argument: Die Sozialdemokraten wurden abgewählt, regieren aber trotzdem weiter. So meint Simone (42) aus dem Landkreis Zwickau: "Der SPD wurde unter Kanzler Scholz das Vertrauen entzogen. Jetzt soll sie wieder in die Regierung aufgrund vermeintlich keiner anderen Alternativen."
Nicht wenige haben nicht die besten Erinnerungen an die letzten schwarz-roten Bündnisse. Einer von ihnen ist Reiner (65) aus dem Landkreis Mittelsachsen: "Hatten wir schon, was dabei rauskam, erleben wir jetzt. Deutschland ist runtergewirtschaftet."
Auch immer wieder zu lesen: die Sorge vor Stillstand. Elisabeth (75) aus dem Landkreis Görlitz schreibt: "Es wird sich nichts ändern. Rüstungs- und Kriegsausgaben steigen. Das Soziale bleibt auf der Strecke."
Die Weltlage verlangt, dass Deutschland schnell handlungsfähig wird.
MDRfragt-Mitglied Uwe (59 aus Chemnitz
Unter jenen, die eine Neuauflage der früher GroKo genannten schwarz-roten Koalition eher begrüßen, sind nicht nur eingefleischte Fans.
So meint etwa Stefanie (34) aus dem Landkreis Hildburghausen: "Ich bin eigentlich nicht begeistert von der großen Koalition. Allerdings denke ich, dass sie in der aktuellen Zeit noch das 'geringste Übel' ist." Noch deutlicher wird Jessica (32) aus Gera, die schreibt: "Ich bin für eine schwarz-rote Bundesregierung, damit Blau keinen großen Einfluss auf die Regierung hat."
Melissa (29) aus dem Saalekreis sieht es pragmatisch: "GroKo ist besser als Neuwahlen." Und Eileen (27) aus dem Landkreis Harz ist optimistisch, dass schwarz-rot bedeutet: "Es würde eine stabile Mehrheit ergeben. Zudem sind die Parteien inhaltlich nicht komplett unterschiedlich, daher wird es weniger Streit geben."
Aus Sicht von Uwe (59) aus Chemnitz ist schwarz-rot jetzt auch eine Frage der Vernunft: "Alles andere würde zu lange dauern. Die Weltlage verlangt, dass Deutschland schnell handlungsfähig wird."
Über diese BefragungDie Befragung: "Rot und Schwarz = Gold?" lief vom 3. bis 7. März 2025. Insgesamt haben 25.814 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden.
Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
Alle Ergebnisse zum Thema in der Übersicht:
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 13. März 2025 | 09:10 Uhr