Eine Frau schiebt eine Rollstuhlfahrerin 3 min
In Quedlinburg veranstaltet Oberbürgermeister Frank Ruch jedes Jahr einen Rundgang zur Barrierefreiheit der Stadt. Welches Fazit er nach zehn Jahren zieht, sehen Sie im Video. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Rundgang mit dem Oberbürgermeister Warum Barrierefreiheit in der Welterbestadt Quedlinburg so schwierig ist

27. September 2024, 17:52 Uhr

Quedlinburg ist Mittelalter pur mit seinem uralten Straßenpflaster und den verwinkelten und engen Gassen. Trotzdem macht sich die Welterbe-Stadt seit Jahren Gedanken, wie sie barrierefreier werden kann. Der Bürgermeister veranstaltet jedes Jahr einen Rundgang mit Behindertenvertretern. Diesmal stand der zehnte an. Zeit, Bilanz zu ziehen.

Mann mit grauen haaren und roten Fleece-Pullover macht ein Selfie vor einem Fachwerkhaus mit MDR-Logo
Bildrechte: MDR/Carsten Reuß

Es holpert und poltert. Mühsam bahnt sich Klaus Stegmann mit seinem Rollstuhl einen Weg über Quedlinburgs Straßenpflaster. Er ist ganz in der Nähe des ältesten Fachwerkhauses der Stadt unterwegs, einem Ständerbau aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dann will Klaus Stegmann in einen kleinen Weg einbiegen. Dorthin geht es nur über einen Bordstein. Mit dem Vorderrad seines dreirädrigen Rollstuhls schafft er es noch, dann steckt er fest. "Das wird jetzt nichts", resigniert er.

Ein alltägliches Hindernis für den 66-Jährige, der sich in der Arbeitsgruppe "Barrierefreie Welterbestadt Quedlinburg" engagiert. Er ist seit 24 Jahren querschnittsgelähmt und nun wieder mal mit seinem Oberbürgermeister unterwegs.

Ein Mann im Rollstuhl.
Klaus Stegmann dokumentiert beim Rundgang die Hindernisse, mit denen Menschen mit Rollstuhl in Quedlinburg konfrontiert werden. Bildrechte: MDR/Carsten Reuß

Oberbürgermeister freut sich über Hinweise

Rathauschef Frank Ruch (CDU) möchte auf solche Problemstellen aufmerksam gemacht werden, wenn er seinen jährlichen Rundgang mit Behinderten startet. Der sei ein Wahlversprechen von ihm gewesen, erinnert sich der 63-Jährige. Ruch hatte vor seiner Wahl vor vier Jahren versprochen, sich einmal in die Situation eines Gehbehinderten zu versetzen und mit einem Rollstuhl durch die Stadt zu fahren. Daraus wurde eine Tradition. 

Drei Personen stehen zusammen.
Oberbrügermeister Frank Ruch organisiert den Rundgang zum Thema Barrierefreiheit seit zehn Jahren. Bildrechte: MDR/Carsten Reuß

Er habe damals gesagt, er wolle sich um die Barrieren in seiner Stadt kümmern. Er und auch die Betroffenen wüssten, dass eine historische Stadt wie Quedlinburg nie ganz barrierefrei sein könne, aber es gebe immer Möglichkeiten, in diesem Bereich etwas zu verbessern, sagt Ruch. Außerdem müsse das Thema Barrierefreiheit stärker in die Öffentlichkeit und in die Verwaltungen gebracht werden. Nach seiner Wahl im Jahr 2015 startete Ruch einen ersten Rundgang mit Behindertenvertretern.

Bordsteinkanten, Schlaglöcher und Schilder auf dem Gehweg nicht barrierefrei

Dieses Mal – beim zehnten Rundgang begleiten den Oberbürgermeister rund 30 Personen – Frauen und Männer in Rollstühlen und mit Rollatoren, Sehbehinderte, Angehörige, Behördenmitarbeiter. Plötzlich steht auf dem Fußweg ein Baustellenschild. Ute Kittel verheddert sich mit ihrem Rollstuhl an der Engstelle. Sie habe da regelrecht festgehangen und ein bisschen Panik bekommen.

Bordsteinkanten, Schlaglöcher, Schilder auf dem Gehweg – die Problemstellen werden von Mitarbeitern der Stadtverwaltung notiert. Jedes Mal gibt es eine Mängelliste. Jedes Mal stehen zwischen fünf und fünfzehn Positionen darauf. Und was wurde davon umgesetzt? Mit der Bilanz nach zehn Rundgängen sei er ganz zufrieden, sagt der Oberbürgermeister. Etwa 100 Hindernisse seien in der Zeit beseitigt worden, so Ruch.

Eine Gruppe Menschen, zwei im Rollstuhl, laufen auf einem Weg in der Stadt.
An dem diesjährigen Rundgang nehmen circa 30 Menschen teil. Bildrechte: MDR/Carsten Reuß

Einige Hindnernisse wurden schon aus dem Weg geräumt

So erhielten die Kircheneingänge flachere und damit besser nutzbare Rampen. Es wurden etliche Schlaglöcher beseitigt, lose Pflastersteine eingesetzt, Gehwegplatten ausgewechselt und Bordsteine abgesenkt. Größeren Aufgaben wie etwa eine glattere Rollispur einrichten oder Straßenbeläge erneuern, könnten meist erst im Zuge von kompletten Straßensanierungen erfolgen, so Ruch. Und das dauere.

Auch einen Bordstein absenken oder einen im Weg stehenden Laternenpfahl umsetzen, sei nicht so einfach. So etwas koste einige tausend Euro – Geld, das eine Stadt wie Quedlinburg eigentlich nicht habe.

Ein Mann im Rollstuhl fährt auf eine Rampe.
Die Kirche St. Blasii hat inzwsichen eine Rampe für Rollstühle bekommen. Bildrechte: MDR/Carsten Reuß

Barrieren sichtbar machen – auch für Touristen

Dabei könnte auch kostengünstig noch einiges verbessert werden. Sichtbarkeit ist für Klaus Stegmann ein großes Thema. Er kenne sich aus, wisse, welchen Umweg er fahren müsse, um zum Beispiel Rampen oder abgesenkte Bordsteine nutzen zu können. "Doch die Touristen?", fragt sich Stegmann und zeigt ein Beispiel.

An der Kulturkirche St. Blasii sind an der Straßenseite eine unscheinbare Klingel und ein kleines Schild angebracht, das sinnbildlich zeigt, dass sich auf der Rückseite ein rollstuhlgerechter Zugang befindet. Dort im Innenhof befindet sich eine breite Rampe vor einer verschlossenen Eingangstür. Warum hier keine Klingel sei, fragt Klaus Stegmann.

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Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Dokumentierte Mängel sollen nach und nach beseitigt werden

Es ist ein langer Weg hin zu mehr Barrierefreiheit. Trotzdem kommt die Aktion gut an, auch weil es um mehr als nur Bordsteine und Schlaglöcher geht, um Verständnis nämlich für die Probleme Behinderter. "Eigentlich hat es sich gelohnt", sagt Stegmann. Er findet, dass diese Rundgänge eine gute Idee seien. In den nächsten Wochen wird er ein Protokoll und eine Mängelliste des Rundgangs erhalten und dann schauen, was davon in den nächsten Monaten abgearbeitet werden kann. Im nächsten Jahr wird er wieder dabei sein beim dann elften Behinderten-Rundgang des Quedlinburger Oberbürgermeisters.

MDR (Carsten Reuß, Fabienne von der Eltz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. September 2024 | 09:30 Uhr

2 Kommentare

DanielSBK vor 21 Wochen

Quedlinburg ist 1000 Jahre alt... hat zudem nicht so gelitten im WK2 durch Bomben wie MD... das alles aufreißen & umbauen etc. pp. ist nicht einfach, da wird es immer solche Rollifeindlichen Ecken geben. Leider.

Shantuma vor 21 Wochen

Wie wäre es mit einer Magdeburgisierung? Dann könnte man es umsetzen.

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