StammzellspendeNach Krebs-Diagnose: Frank trifft seinen Lebensretter
Es kommt eher selten vor, dass sich ein Stammzellempfänger mit dem Menschen treffen will, dessen Stammzellen ihm das Leben gerettet haben. Frühestens zwei Jahre nach der Transplantation dürfen die Kontakte freigegeben werden. Frank Lolies wollte seinen Lebensretter Felix Kummerow unbedingt kennenlernen. Der 58-jährige Familienvater arbeitet in Magdeburg. Kummerow stammt aus Norddeutschland.
- Eine Stammzellspende half Frank Lolies aus Magdeburg im Kampf gegen den Blutkrebs.
- Drei Jahre später trifft er den Mann, der ihm die lebensrettenden Stammzellen gespendet hat.
- Die Chance, einen passenden Spender zu finden, ist gering. Trotzdem gelingt es viele Patienten in Deutschland.
Im ersten Moment wirkt alles fast zu perfekt: der wolkenlose blaue Himmel, die schon 15 Grad in der Mittagssonne, mitten im März, hier in diesem kleinen Park auf dem zu jeder Jahreszeit dauertristen Gelände der Uniklinik. Wo kein Gebäude dem anderen gleichen will und sich Zweckbausünden in ihren betont notdürftig funktionalen Hässlichkeiten mühelos überbieten.
Eine Klinik ist eine Klinik: Keinen, der hier jemals wirklich um sein Überleben kämpfen musste, wird diese Trostlosigkeit auch im Nachhinein wirklich berühren. Der kleine Park dann schon eher – mit seiner kleinen am Rand drapierten und viel zu künstlich ausgefallenen Holzbrücke.
Stammzellspende hilft zurück ins Leben
Frank Lolies würde diesen Eindruck auch auf Nachfrage niemals teilen. Er hat diesen Ort bewusst gewählt, weil er genau hier, im Frühjahr 2022, seine ersten Schritte wieder gehen durfte – zurück in sein altes Leben, noch unter Aufsicht damals. Es müssen unwirklich große Momente gewesen sein, die wohl jeder Patient auch Jahre später ziemlich gut nachempfinden kann.
Bei Lolies waren es etwas mehr als fünf Wochen, die er damals in einem nahezu hermetisch abgeriegelten Zimmer verbrachte. Nur seine Frau durfte zu ihm, die Ärzte und das Klinikpersonal – alles unter noch strengeren Hygienevorschriften als ohnehin schon, es war der zweite Corona-Winter.
Erstes Treffen nach drei Jahren
Und jetzt steht er auf dieser Brücke, von der man nicht wirklich weiter über das Klinikgelände blicken kann. Für 12 Uhr sind sie verabredet. Felix Kummerow hat sich nicht nochmal gemeldet, er wird also pünktlich sein, er ist ja Bundeswehroffizier.
Frank Lolies wusste gleich nach dem Transplantationstermin, dass er seinen Stammzellenspender unbedingt kennenlernen will. Zwei Jahre beträgt die Geheimhaltungsfrist bei den Spenderdaten, es gibt da keine Ausnahmen. Als er den Namen und dann eine Anschrift hatte, schrieb er schnell einen Brief an Felix Kummerow. Das war im Frühjahr 2023. Er war überrascht, wie bald er eine Antwort bekam. Die beiden haben dann auch innerhalb weniger Tage telefoniert. Eine Art von Wellenlänge war wohl gleich da, glaubt Frank Lolies. Auch dann, als sie die ersten Whatsapp-Nachrichten ausgetauscht haben, und die ersten Fotos, um sofort festzustellen, dass sie beide durchaus zu einer Glatzenbildung neigen, trotz des Altersunterschiedes. Die Neugierde war sofort da – nur bis zu einer ersten Verabredung haben sie sich dann Zeit gelassen.
Diagnose an Heiligabend: "Sie haben Leukämie"
Den Tag, den Moment der Diagnose, vergisst kein an Leukämie Erkrankter, es kann der Tag des Todesurteils sein. "Es ging mir schon länger nicht gut, ich war immer müde, es fühlte sich an wie eine verschleppte Erkältung", erklärt Frank Lolies im Nachhinein. Er habe es auf die stressigen Zeiten bei seiner Arbeit geschoben.
In den Tagen vor Weihnachten habe er dann eine Schwellung am Bein bemerkt. Und am Heiligabend habe er zu seiner Frau gesagt, er nutze jetzt noch den Vormittag, und fahre in die Notfallpraxis. Dann sei alles wie in einem Zeitraffer gelaufen: "Im Medico-Zentrum haben sie mir sofort Blut abgenommen, dann habe ich gewartet und mittags kommt ein sehr junger Arzt und sagt, Herr Lolies, Sie haben Leukämie. Das war am Heiligen Abend um 12 Uhr.
Mit einer Spende einem Menschen das Leben retten
Aber auch kein Stammzellspender vergisst den Moment, in dem dann wirklich der Anruf kommt. Felix Kummerow war damals 24. Der Anruf erreichte ihn in seiner Bundeswehrdienststelle in Brandenburg: "Ich war schon lange als Stammzellspender registriert. Aber niemals hätte ich damit gerechnet, als Spender wirklich gefragt zu werden. Und dann nach dem Anruf fängst du sofort an zu überlegen und zu googeln und liest sehr schnell, was alles passieren kann."
Die Entnahme der Stammzellen dauere drei Stunden, wie ein längerer Blutspendetermin, erklärt Kummerow. "Außer, wenn es Komplikationen gibt, dann würden sie Dir den Rücken aufschneiden", sagt Kummerow. Es gebe dann auch kein Zurück mehr, man unterschreibe dafür und könne die Entnahme nicht mehr verwehren, weil dies ansonsten strafrechtliche Konsequenzen haben könnte.
Das, was ich jetzt mache, mache ich einmal in meinem Leben. Ich kann einem Menschen das Leben retten.
Felix Kummerow | Stammzellspender
"Ich habe damals jedenfalls versucht, einfach so normal wie möglich weiterzuarbeiten, aber es war trotzdem eine komische Zeit", erinnert sich Kummerow. "Gleichzeitig wusste ich: Das, was ich jetzt mache, mache ich einmal in meinem Leben. Ich kann einem Menschen das Leben retten. Und egal, was ich danach für Dummheiten oder Fehler mache, ich habe etwas Gutes getan, etwas, das von mir bleibt."
Blutkrebs-Patienten hoffen auf passende Stammzellspende
Die Chance, einen in diesem Sinne genetischen Zwilling zu haben, liegt in einem Leben bei nur 1:10.000. Trotzdem finden viele Blutkrebs-Patienten in Deutschland einen passenden Stammzellspender. Nach Angaben der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, DKMS, spenden für sie täglich 25 Menschen Stammzellen, weil auch Spender in Polen, den USA, Großbritannien, Chile, Indien und Südafrika registriert sind.
Die Wahrscheinlichkeit einen passenden Spender zu finden, der "kein genetischer Zwilling" sein muss, ist insofern vergleichsweise hoch. Sie beträgt etwa 1:100. Das heißt, unter 100 in der DKMS registrierten Spendern ist in der Regel ein passender Spendertyp dabei. Ist der gefunden und bereit, werden zehn bestimmte Merkmale untersucht und abgeglichen. Bei Felix Kummerow und Frank Lolies waren es 10 von 10 Punkten, die passten.
Die Angst vor der ersten Begegnung
Die Stunden vor der ersten Begegnung mit Felix Kummerow waren aufwühlend, sagt Frank Lolies. Die halbe Stunde von zu Haus zur Klinik ist er bewusst zu Fuß gegangen, und dann noch eine Runde durch den kleinen Park – die Runde, auf der er vor drei Jahren wieder seine ersten Schritte draußen gehen durfte.
Felix Kummerow ist von der anderen Seite des Klinikgeländes in Richtung Park gegangen, er hat dort eine Parklücke gefunden. Er steuert dann auch schnell die kleine Brücke an und sieht dort den Mann stehen, der Frank Lolies sein muss. Später wird er zugeben, dass er auch mit ein paar Tränen gekämpft hat.
Und dann geht alles, wie so oft in den wirklich wichtigen Momenten, sehr schnell: Frank Lolies sieht seinen Lebensretter auf sich zukommen. Er wirkt etwas größer als auf den Fotos und ist auch Brillenträger. Das mit der noch deutlicher als auf den Whatsapp-Bildern fortgeschrittenen Glatzenbildung wussten sie. Und beide schaffen es dann doch, ihre Emotionen zu überspielen: "Schön, dass es klappt, gut sehen Sie aus...", sagt Felix Kummerow, als sie sich die Hand geben. Und Frank Lolies sagt dann als der Ältere: "Wir sollten Du zueinander sagen, ich bin Frank. Felix, schön dass wir uns endlich kennenlernen."
"Ich laufe auf deinen Stammzellen"
Bei ihrem Treffen stellen die beiden sofort fest, wie viel sie sich zu sagen haben, wie intensiv sie sich mit ihrem Thema "Stammzellenspende" beschäftigt haben – mit dem Thema, das für beide seit drei Jahren ein Lebensthema ist: "Es ist schon sehr wahrscheinlich, dass wir beide viele Generationen vor uns eine Art gemeinsamen Stammbaum gehabt haben müssen. Sonst hätte es diese Merkmalsübereinstimmung so wohl nicht gegeben", sagt Felix Kummerow.
Mit dem Mann möchte ich mal ein Bier trinken gehen, habe ich beim ersten Telefonat sofort gedacht.
Frank Lolies | über seinen Stammzellspender
"Ich laufe ja auf deinen Stammzellen, und ich laufe damit sehr gut...", witzelt Frank Lolies, während beide den Park in Richtung Parkplatz verlassen. Sie erinnern sich dabei an die erste Kontaktaufnahme: "Als dein Brief ankam und ich wusste, dass wir dann telefonieren würden, konnte ich nicht mehr arbeiten an diesem Tag", weiß Felix Kummerow noch. "Mit dem Mann möchte ich mal ein Bier trinken gehen, habe ich beim ersten Telefonat sofort gedacht", erzählt Frank Lolies später.
"Auf uns und auf das Leben"
Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Transplantationstermin am 21. März 2022 sitzen Frank Lolies und Felix Kummerow auf einer Holzbank in einem Bistro an der Elbe in Magdeburg – hinter ihnen die Sternbrücke, vor ihnen zwei große Biergläser. Die Jacken haben sie ausgezogen und die Schirmmützen abgesetzt.
Es sind immer noch 15 Grad in der Sonne. Wenn das Restaurant aufmacht, wollen sie dort etwas essen gehen. Frank Lolies besteht auf diese Einladung. Und danach wollen sie zu ihm fahren. Seine Frau will Felix Kummerow kennenlernen, dessen Stammzellen ihrem Mann das Leben gerettet haben. Aber jetzt stoßen sie erstmal an: "Auf uns", "Auf uns".
Mehr zum Thema Blutkrebs und Stammzellspende
MDR (Michael Brandt, Anne Gehn-Zeller), zuerst veröffentlicht am 17.3.2025
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. März 2025 | 19:00 Uhr
Kommentare
{{text}}