OstmoderneMagdeburg entdeckt die DDR-Glaskunst wieder

24. September 2024, 15:54 Uhr

Spätestens seit dem industriellen Bauen mit Platten neigte die ostdeutsche Architektur zu einer gewissen Austauschbarkeit. Wohl auch deshalb spielte die Kunst am Bau eine große Rolle. Das Künstlerkollektiv "Glasgestaltung Magdeburg" gehörte zu den wichtigsten Auftragnehmern für baubezogene Kunst. Nach der Wende geriet vieles davon in Vergessenheit. Anderes, wie etwa die "Gläserne Blume" im Palast der Republik, verschwand. Jetzt erinnert sich die Stadt Magdeburg an das Kulturerbe der Ostmoderne.

  • Vergessene Glaskunst der Ostmoderne ist plötzlich wieder gefragt.
  • Werke des Künstlerkollektivs "Glasgestaltung Magdeburg" sind überall im Osten präsent, so auch in der Sternwarte Bautzen, der Schwimmhalle Rathenow oder einer Schule in Wolmirstedt.
  • Durch Öffentlichkeitsarbeit soll mehr Aufmerksamkeit für die Rettung gefährdeter Objekte erreicht werden.

Eine der größten Arbeiten der Magdeburger Glaskunst stand in Magdeburg selbst, eine begehbare Beton-Glas-Skulptur, unter dem Titel "Lied der Arbeit". In den 90er-Jahren wurde die "Laterne", wie sie im Volksmund hieß, abgerissen. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit wollte wohl niemand an die Lieder der Arbeit erinnert werden. Auch die gläserne Blume im Palast der Republik verschwand mit dem Gebäude und gilt inzwischen als unrettbar verloren.

Glaskunstt in der DDR: Die Glasblume im Foyer des Palastes der Republik in Berlin.
Glaskunst in der DDR: Die Glasblume im Foyer des Palastes der Republik in Berlin. Bildrechte: imago/NBL Bildarchiv

Seinerzeit kümmerte das kaum jemand, erinnert sich Denkmalschützer Holger Brülls: "Anfang der 90er-Jahre hat man sich als Denkmalpfleger mit ganz anderen Sachen beschäftigt, mit Denkmal- und Objektgruppen, die üblicherweise als hohe kulturelle Werte angesehen werden." Die baubezogene Kunst der DDR gehörte nicht dazu, zumal ihr der Stempel der Staatskunst anhing. Brülls spricht von einer generellen Entwertung, die es damals gegeben habe.

Was ist "Glasgestaltung Magdeburg"?Die Künstlervereinigung war ab den 50er Jahren bis ins Jahr 2000 tätig. "Glasgestaltung Magdeburg" arbeitete DDR-weit an unzähligen Bauprojekten mit. Knapp 700 Werke wurden im Nachhinein von einem Wissenschafts-Team ausfindig gemacht.

Die Wandverglasung in der Sternwarte Bautzen schuf Eckehard Frey. Er gehörte zur Gruppe "Glasgestaltung Magdeburg". Bildrechte: Frank Pudel

Neue Aufmerksamkeit für das Thema Ostmoderne

Mit genügend historischem Abstand wird aber deutlich, dass viele der Magdeburger Glaskunstobjekte auch ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung noch faszinieren. Und es gibt eine neue Generation, die sich mit der DDR-Moderne auseinandersetzt, Nachgeborene, die eine eigene Haltung entwickeln, auch aus einer gewissen Neugier heraus.

Es gibt nach 1990 Geborene, die das jetzt richtig interessant finden.

Martin Maleschka, Architekt und Influencer

Das ist zumindest die Erfahrung von Martin Maleschka, Architekt und Influencer, der sich in den sozialen Medien zum Thema DDR-Kunst am Bau engagiert: "Es gibt nach 1990 Geborene, die das jetzt richtig interessant finden. Wo kommt die Kunst her? Wo der Städtebau? Wo kommt die Architektur her aus einem Land, das faktisch nicht mehr existiert? Und die hinterfragen das unpolitisch." Dieser neue Blick ermögliche auch eine andere Art der Auseinandersetzung, so Maleschka.

Eine Glaswand mit Tür im Besprechungsraum der "Deutschen Reichsbahn" der DDR in Magdeburg. Das Werk stammt von Günter Witteborn. Bildrechte: Frank Pudel

Glaskunst schuf bunte Welten in der grauen Republik

Obwohl die DDR ja ein Land der Mangelwirtschaft war, schien es an Glas keinen Mangel zu geben, zumindest, wenn man auf die Arbeiten der "Glasgestaltung Magdeburg" blickt. Neben typischen Glasfenstern gestalteten die Magdeburger Glaskünstler auch Stelen, Brunnen oder raumbezogene Installationen. Da ranken sich mal florale Ornamente unter den Handlauf eines Treppengeländers, mal öffnen sich Türen in einer großen Glaswand.

Dabei zeigen die Arbeiten die ganze Vielfalt des spröden Materials Glas, immer mit Blick auf das Licht. Das schätzt Architekt Martin Maleschka besonders: "Ich war neulich erst in Strausberg, in einer heutigen Bundeswehrkaserne, auch eine Arbeit der Glasgestaltung Magdeburg. Da wurden verschiedene Techniken verwendet. Glasschliff, unterschiedliche Farben natürlich, dann wurde manches geklebt oder geätzt. Die Lichtbrechung macht wunderbare atmosphärische Innenräume." Dass ausgerechnet die graue DDR auf buntes Glas setzte, verwundert schon.

Wandverglasung von Helmut und Hans-Joachim Biedermann in der Schwimmhalle Rathenow. Bildrechte: Frank Pudel

Recherche im Auftrag des Stadtrats Magdeburg

Als sich Magdeburg um den Titel der Kulturhauptstadt bewarb, erinnerte man sich auch an die Glaskunst-Tradition der Stadt, die mit der Schließung des Ateliers im Jahr 2000 endete. Drei Jahre lang recherchierte ein Team von engagierten Kunstwissenschaftlerinnen, wo sich noch welche Kunstwerke befinden. So manche Arbeit überlebte, weil Bauunternehmer oder Investoren den Wert erkannten und die Kunst privat einlagerten. Anderes landete auf der Müllkippe.

Ursprünglich waren wir von 200 oder 250 Objekten ausgegangen. Wir haben am Ende nahezu 700 Objekte aufgefunden.

Architekturjournalistin Cornelia Heller

Um nun gezielter zu sichern, waren die Recherchen wichtig, sagt Cornelia Heller, die sich als Architekturjournalistin an der Suche beteiligt hat: "Es ist nie zu spät, sich eines kulturellen Erbes zu erinnern. Ursprünglich waren wir von 200 oder 250 Objekten ausgegangen. Wir haben am Ende nahezu 700 Objekte aufgefunden. Es ist ein großartiger Schatz, den die Landeshauptstadt Magdeburg hat und mit dem sie unbedingt werben sollte."

Rettung und Bergung gefährdeter baubezogener Kunst

Allerdings ist dieser Schatz quer im Land verteilt und manche der Arbeiten sind in einem beklagenswerten Zustand. Doch auch sogenannte Lost Places haben Besitzer, die in die Rettung einbezogen werden müssen. Denn baubezogene Kunst kann nicht einfach abgehängt werden, erklärt der Denkmalschützer Holger Brülls: "Also da muss man mit schwerem Gerät kommen. Das sind ja Teile von Bauwerken und diese auszubauen und zu deponieren braucht wiederum bestimmt bauliche Voraussetzungen." Solche muss die Stadt Magdeburg aber erst zur Verfügung stellen. Für Brülls kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich die Frage, in welchem Maße die Glaskunst in moderne Gebäude integriert werden kann, als Nachnutzung.

Eine Glasbetonwand in der Gutenbergschule Wolmirstedt von Richard Wilhelm. Bildrechte: Frank Pudel

Bildband soll bundesweite Öffentlichkeit generieren

Ein erster Schritt auf diesem Weg ist ein Buch, das unter dem Titel "Malerei mit Licht und Glas" im Kunstverlag erschienen ist, die erste umfassende Zusammenstellung von Werken und Personen der Magdeburger Glaskunst. Für die Mitautorin Cornelia Heller ist damit aber das Thema nicht abgeschlossen: "Das Buch ist natürlich ein Stück Nachhaltigkeit. Damit kommt das Thema auch bundesweit stärker in den Blick. Wer sich mit Glaskunst beschäftigt, trifft nun unweigerlich auf das, was hier in Magdeburg passiert ist." Und das könnte dann auch ein Anstoß sein, die Arbeiten vor weiterem Verfall zu sichern.

Informationen zum Buch"Malerei mit Licht und Glas"
Baugebundene Glaskunst in und aus Magdeburg

Von Cornelia Heller, Doreen Pöschl, Sabine Ullrich, Holger Brülls
Herausgegeben von der Landeshauptstadt Magdeburg
Erschienen im Deutschen Kunstverlag

267 Seiten mit 260 Farbabbildungen
54,00 €
ISBN 978-3-422-80191-2

Quelle: MDR KULTUR (Uli Wittstock); redaktionelle Bearbeitung: jb, lk

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 24. September 2024 | 06:15 Uhr