Kündigung nach fast 40 Dienstjahren Warum sich eine Lehrerin aus der Altmark gegen die Mehrarbeit an Schulen wehrt
Hauptinhalt
13. September 2023, 15:59 Uhr
Fast 40 Jahre hat eine Frau aus der Altmark als Grundschullehrerin gearbeitet. Weil sie sich weigerte, die vorgeschriebene Mehrarbeit zu leisten, wurde ihr gekündigt. Sie will die Kündigung nicht akzeptieren und zieht vor Gericht. MDR-Reporterin Katharina Häckl hat mit ihr über ihre Beweggründe gesprochen.
Aktuelle Nachrichten finden Sie jederzeit auf mdr.de und in der MDR Aktuell App.
- Das Land hat der Lehrerin Birgit Pitschmann gekündigt, weil sie die Zusatzstunde ablehnte.
- Sie begründet ihre Entscheidung damit, dass sie an ihre persönliche Leistungsgrenze gekommen ist.
- Die Lehrerin will gegen die Kündigung klagen.
So richtig glauben kann Birgit Pitschmann das immer noch nicht. Sie liest sich die Begründung der fristlosen Kündigung immer wieder durch. Das Landesschulamt argumentiert: "Durch Ihr Verhalten haben Sie das Vertrauensverhältnis zu Ihrem Arbeitgeber nachhaltig und unwiederbringlich zerstört."
Das Landesschulamt sei an geltendes Recht gebunden, antwortet Tobias Kühne, der Pressesprecher der Behörde, auf die Nachfragen von MDR SACHSEN-ANHALT. Die Kündigung sei "letztlich eine arbeitsrechtliche Entscheidung, weil sich eine Lehrkraft nicht an die Bestimmungen ihres Arbeitsvertrages gehalten hat".
Fristlose Kündigung nach fast 40 Arbeitsjahren
Nach fast 40 Dienstjahren als Lehrerin ist das für Birgit Pitschmann der sprichwörtliche Schlag ins Gesicht. Sie habe sich im Job nichts zuschulden kommen lassen, sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT, sei in all den Jahren kaum krank gewesen.
Doch die zusätzliche Stunde, die sie – wie alle anderen Lehrer in Sachsen-Anhalt – seit Februar arbeiten soll, die ist ihr zu viel. Sie sei an ihre persönliche Leistungsgrenze gekommen.
Vorgriffsstunde bzw. Zusatzstunde
Seit April 2023 müssen Lehrer in Sachsen-Anhalt eine Stunde mehr pro Woche unterrichten. Damit soll dem Unterrichtsausfall, der eine Folge des Lehrermangels ist, entgegengewirkt werden. Die zusätzliche Stunde können sich die Lehrer entweder auszahlen oder auf einem Arbeitszeitkonto gutschreiben lassen.
Unterrichten ist anspruchsvoller geworden
Zu unterrichten sei nicht mit früheren Zeiten zu vergleichen, sagt Pitschmann: Klassen mit 27, 28 Schülern, Kinder mit unterschiedlichsten Voraussetzungen und Ansprüchen. Manchen Mädchen und Jungen fehle reinweg der Wille zu lernen, und wenn es lesen und schreiben sei.
Etliche seien in ihrer Aufmerksamkeit und ihren Aufnahmefähigkeiten eingeschränkt. Außerdem, sagt Birgit Pitschmann, sei Inklusion – also das gemeinsame Lernen von gesunden und Kindern mit Handicaps – zwar eine gute Sache. Sie sei aber zum Beispiel mit zwei autistischen Kindern nahezu allein gelassen worden.
Abmahnung und Personalgespräch
Von Anfang an habe sie im Lehrerkollegium erklärt, dass sie mit der vom Bildungsministerium verfügten Zusatzstunde nicht einverstanden sei. Manche ihrer Kollegen hätten mit Unverständnis reagiert, andere ihre Bewunderung für ihren Mut ausgedrückt. Auch ein Personalgespräch und eine Abmahnung hätten sie von ihrer Meinung nicht abgebracht. Deshalb schickte das Landesschulamt jetzt die fristlose Kündigung.
Birgit Pitschmann ist angefasst. Das hätte sie nicht geglaubt, dass ihr Arbeitgeber wirklich so weit gehen würde, sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT. "Wenn ich Kinderlachen höre oder ich fahre an einer Schule vorbei – mein Magen zieht sich zusammen, und ich hab das Gefühl, ich muss mich übergeben. Da hab ich gedacht: Was ist das jetzt, Birgit, was passiert hier mit dir?"
Wenn ich Kinderlachen höre, zieht sich mein Magen zusammen.
Lehrerin will gegen Kündigung klagen
Doch neben der tiefen Traurigkeit, die die 60-Jährige erfasst hat, ist da auch noch die Wut. Nach fast 40 Dienstjahren so weggeschickt zu werden, das will sich Birgit Pitschmann nicht bieten lassen. Sie fühlt sich in ihrer Ehre als Lehrerin und Mensch gekränkt und geht anwaltlich gegen die Kündigung vor.
Wann der Prozess beginnt, ist noch unklar. Sicher aber ist, dass Birgit Pitschmanns Fall ein Präzedenzfall ist. Viele Augen werden auf ihn gerichtet sein: die von Lehrerinnen und Lehrern, von Gewerkschaften, von Politikern. Der Prozessausgang könnte Auswirkungen auf die weitere Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt haben.
MDR (Katharina Häckl, Annekathrin Queck) | Erstmals veröffentlicht am 12.09.2023
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. September 2023 | 19:00 Uhr
ElBuffo am 14.09.2023
Leisten belohnen und Minderleister sanktionieren ist etwas, wogegen sich die Gewerkschaften seit Jahren mit Händen und Füßen wehrt. Ansonsten wären beispielsweise längst die Dauerkranken ersetzt worden. Aber so blockieren die eben Neueinstellungen und damit die Entlastung der anderen Leistenden.
astrodon am 13.09.2023
@pwksk: Der Spruch von dem "was die letzten 30 Jahre im Handwerk los war und ist" ist seit 8-10 Jahren nicht mehr wahr. Falls es bei Ihnen noch so sein sollte einfach mal den AG wechseln.
astrodon am 13.09.2023
@pwksk: "... dann unterstellen sie [...] extrem vielen Menschen Dummheit" - ja, das tue ich. Auch wenn es keinen (oder einen grottenschlechten) Tarif gab: Zu unentgeltlicher Mehrarbeit war und ist niemand verpflichtet, zwingen kann ich dazu auch niemanden. Das kann dann zwar bedeuten, öfter den AG zu wechseln, aber was solls.
Alles bieten lassen darf und muss man sich auch und gerade als AN nicht.