Fakt ist! aus ErfurtDas Bündnis Sahra Wagenknecht zwischen Regierungsbeteiligung und Wahlschlappe
In Thüringen und in Brandenburg regiert das BSW mit. Im Bund dagegen ist die Partei vorerst außen vor. Bedroht der Misserfolg im Bund jetzt auch die Landesverbände? Und wie geht es weiter mit dem BSW? Ist die Partei wirklich so zerstritten, wie es von außen manchmal aussieht? Darüber wurde am Mittwochabend in der Sendung "Fakt ist! aus Erfurt diskutiert".
Inhalt des Artikels:
Eigentlich sollte ja Sahra Wagenknecht in Erfurt über das BSW reden. Die Parteivorsitzende zeige sich derzeit aber eher kamerascheu, wie Moderator Lars Sänger konstatiert.
Sie hatte sich aufgemacht, mit ihrer neuen Partei die politische Landschaft zu verändern. Und geschafft hat das Sahra Wagenknecht auch, wenn auch vor allem auf Landesebene. In Thüringen und in Brandenburg regiert das BSW. In den Bundestag dagegen hat es das Wagenknecht-Projekt nicht geschafft.
Wo die Gründe dafür liegen - darüber gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Auch innerhalb der Partei. Wer oder was ist schuld daran, dass das BSW bei der Bundestagswahl an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist? Flammt jetzt der Streit zwischen der Bundespartei und den Landesverbänden erneut auf?
Fakt ist! aus Erfurt ging am Mittwoch diesen Fragen nach. Und zwar mit den Studiogästen, der Thüringer BSW-Vorsitzenden Katja Wolf, dem BSW-Bundesvorstandsmitglied Shervin Haghsheno und dem Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. Und natürlich konnte sich auch zu diesem Thema wieder die MDRfragt - Community äußern. Über sechstausend Thüringerinnen und Thüringer haben sich beteiligt.
Einer von ihnen, Andreas Urban aus Gera, hat geschrieben: "Die Beteiligung an der Thüringer Landesregierung und damit das 'ins Amt hieven' des CDU-Ministerpräsidenten hat das BSW unwählbar gemacht. Um hier wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen und bei den Wählern Boden gut zu machen, käme nur der Austritt aus der Landesregierung durch das BSW in Betracht."
Zum Nachlesen: Der Fakt Ist! Aus Erfurt-Chat zur Sendung am 12. März 2025
Regierungsbeteiligung in Thüringen schuld am Wahlergebnis?
Aber ist das wirklich der Grund dafür, dass das BSW mit 4,9 Prozent den Einzug in den Bundestag knapp verpasst hat? Für Shervin Haghsheno, Gründungsmitglied des BSW und Mitglied im Bundesvorstand, gibt es dafür nicht nur einen Grund.
Der kurze Wahlkampf, die fehlenden Ressourcen der noch jungen Partei, ein "unfreundliches Medienumfeld", die Konzentration auf das Thema Migration - all das seien Gründe, die von außen zum Misserfolg beitrugen, es gab aber auch interne, bestätigt er. Den Parteiaufbau und eben auch die Regierungsbeteiligungen zählt er dazu.
Schnell Schuldige zu suchen, liegt in der menschlichen Natur
Katja Wolf | BSW-Landesvorsitzende
Sie sieht das anders. "Schnell Schuldige zu suchen, liegt in der menschlichen Natur", sagt sie. Gerade, weil das Ergebnis so knapp war, versteht sie, dass da bei Manchem die Nerven blank lagen, auch wenn so manche Aussage und Schlagzeile sie sehr geärgert habe. "Man geht dann trotzdem schnell wieder zur Tagesordnung über."
Katja Wolf ist Landesvorsitzende des BSW in Thüringen, Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin im Freistaat und damit in Regierungsverantwortung.
Eins aber dürfe man nicht vergessen, sagt Wolf: "4,9 Prozent sind trotz allem ein sensationelles Ergebnis." Denn als die Grünen zum ersten Mal angetreten seien zur Bundestagswahl, hätten sie gerade einmal 1,5 Prozent erreicht.
Wir konnten noch gar nicht zeigen, was wir können. Das Falscheste wäre, jetzt wieder in die Opposition zu gehen.
Tina Rolle | BSW-Mitglied
Tina Rolle kommt aus Meuselwitz. Zur Landtagswahl war sie im Altenburger Land für das BSW aufgestellt. Sie ist der Meinung, dass die Inhalte des BSW besser präsentiert werden müssten. Dafür würde aber, so kurz nach der Gründung der Partei, noch die "Manpower" fehlen.
Die Regierungsbeteiligung dagegen sei erst kurz vor der Bundestagswahl zustande gekommen. "Wir konnten noch gar nicht zeigen, was wir können. Das Falscheste wäre, jetzt wieder in die Opposition zu gehen."
Auch für André Brodocz, Politikwissenschaftler an der Universität Erfurt, war nicht die Regierungsbeteiligung das Problem - eher der Streit, ob man in die Regierung gehen soll oder nicht. "Vor allem für die Menschen, die bisher nicht wählen gegangen sind, ist so ein zerstrittenes Bild da nicht günstig."
Eine Bestätigung dafür sieht Katja Wolf darin, dass das BSW die stärksten Verluste in Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen hatte. Und dort gibt es keine Regierungsbeteiligung der Partei. Jetzt müsse analysiert werden, warum das BSW das Vertrauen nicht halten konnte.
Wählerin: Migrationspolitik "von der AfD geklaut"
Eine Antwort versucht Tina Haaß aus dem Weimarer Land zu geben. Sie fand den Landtagswahlkampf interessant und Katja Wolf habe sie mit vielem überzeugt. Gestört habe sie zunehmend, dass immer mehr Bundesthemen auf der Landesebene besprochen wurden. Und gerade die entsprächen nicht ihrer politischen Haltung.
So beispielsweise die Migrationspolitik, die Haaß als "von der AfD geklaut" bezeichnet. Was die neue Thüringer Regierung bis jetzt geliefert habe, finde sie dagegen konstruktiv und praxisnah.
Parteiinterner Streit verantwortlich für Misserfolg?
Und für Gründungsmitgliled Shervin Haghsheno ist die Partei auch nicht so zerstritten, wie es manchmal aussieht. "Das sind Einzelstimmen, die in der Presse thematisiert werden", sagt er.
Nachdem das Wahlergebnis sich zunächst wie "ein Schlag in die Magengrube" angefühlt habe, nehme er inzwischen eher eine "jetzt-erst-recht"-Stimmung wahr.
Aber wenn man diese Stimmung "mitnehmen" wolle, so Politikwissenschaftler Brodocz, müsse man die Leute auch mitmachen lassen. Und genau das ist eins der Themen, die in der Partei diskutiert werden - die Aufnahme neuer Mitglieder. Da ist einerseits von einem "geordneten Parteiaufbau" die Rede, andererseits gibt es allein in Thüringen etwa 1.000 Unterstützer des BSW, die Mitglied werden wollen.
Wolf fordert mehr Vertrauen von Bundesspitze
Und auch wenn Haghsheno davon spricht, dass jetzt mehr Menschen aufgenommen werden sollen, passiert das laut Satzung nicht in den Landesverbänden. Er sieht darin auch kein Problem. Katja Wolf dagegen hat die Erwartung, "dass Landesverbände, die gewachsen sind und bereits Strukturen haben, selbst Mitglieder aufnehmen können".
Wenn ein Pflänzchen wächst, kannst du das auch nicht stoppen, bis andere nachgewachsen sind, sondern du musst die Pflanze ihre Blüte entfalten lassen.
Tina Rolle | BSW-Mitglied
Am Anfang habe sie das Prozedere auch völlig richtig gefunden, aber nach den vielen Wahlkämpfen würde man sich jetzt gut genug kennen. "Vielleicht kriegen wir den Bundesvorstand noch dazu, dass Vertrauen in die Landesverbände durchaus angemessen ist."
Das sieht Tina Rolle auch so. Durch die Landtagswahl sei Thüringen einfach weiter im Parteiaufbau als andere Landesverbände. Da müsse man ein bisschen Vertrauen haben. "Wenn ein Pflänzchen wächst, kannst du das auch nicht stoppen, bis andere nachgewachsen sind, sondern du musst die Pflanze ihre Blüte entfalten lassen."
Umgang mit potentiellen Mitgliedern demokratisch?
Politikwissenschaftler Brodocz bringt an dieser Stelle neben den strategischen Argumenten auch die Demokratietheorie ins Spiel. Denn den Parteien käme im Grundgesetz eine besondere Rolle zu, sie würden an der Willensbildung des Volkes mitwirken. "Und hier haben wir Bürger, die durch die Mitgliedschaft in einer Partei politisch mitwirken wollen und die an der langen Leine außen vor gelassen werden."
Natürlich müsse man einräumen, dass neue Parteien in der Gründungszeit schwierige Charaktere anzögen. Und natürlich war das BSW zu recht erst einmal vorsichtig, "aber ich glaube, dieser Zeitpunkt ist überschritten."
Zuschauer Timo Ritter wollte wissen, ob es nicht einfach das Problem der Partei sei, dass sich immer alles um Sahra Wagenknecht dreht. Und laut Lars Sänger ist im deutschen Markenregister eine neu angemeldete Wortmarke zu finden: "Bündnis Soziale Werte". Stehen da personelle Veränderungen beim BSW bevor?
Haghsheno konnte zu diesem Eintrag nichts sagen. Für Katja Wolf ist immer klar gewesen, "dass wir mit dem Partei-Wachstum eine Breite entwickeln". Es sei ein völlig normaler Vorgang, dass es im Lauf der Zeit immer mehr bekannte Gesichter in der Partei geben würde. Auf jeden Fall finde sie es wichtig, das BSW in Thüringen zu haben.
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MDR (gh)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 12. März 2025 | 20:15 Uhr
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