Schutz für Palästinenser UN-Gericht: Israel muss für bessere humanitäre Lage im Gazastreifen sorgen

26. Januar 2024, 18:14 Uhr

Inmitten der schweren Kämpfe im Gazastreifen ist an diesem Freitag vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine erste Vorentscheidung im Völkermord-Verfahren gegen Israel gefallen. Der Internationale Gerichtshof verpflichtet Israel nicht zum Ende des Militäreinsatzes im Gazastreifen. Israel muss jedoch humanitäre Hilfe ermöglichen und sein Militär vom Völkermord an den Palästinensern abhalten.

Der Internationale Strafgerichtshof (IGH) in Den Haag hat Israel nicht dazu aufgefordert, den Militäreinsatz im Gazastreifen zu beenden. Er fordert Israel jedoch auf, dafür zu sorgen, dass seine Truppen keinen Völkermord begehen. Zugleich müsse Israel sicherstellen, dass sich die humanitäre Lage dort verbessere, erklärten die Richter in ihrer Entscheidung zu möglichen Sofortmaßnahmen im Gaza-Krieg. Alle Parteien in dem Konflikt unterlägen dem internationalen Recht.

Gericht: Klage ist "plausibel"

Der IGH erkennt das Recht der Palästinenser an, vor einem Völkermord geschützt zu werden. Insofern sei die Klage Südafrikas gegen Israel plausibel, erklären die Richter in ihrer Entscheidung zu möglichen Sofortmaßnahmen im Gaza-Krieg.

Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs sind bindend. Auch wenn er keine Machtmittel hat, diese durchzusetzen, wäre eine Zurechtweisung durch das höchste UN-Gericht doch eine Schlappe für Israel. Der internationale Druck würde wohl weiter zunehmen. Die Richter können auch anordnen, dass Israel Bericht erstatten muss über Maßnahmen zum Schutz der Palästinenser. Auch das hätte eine beträchtliche Außenwirkung. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte bereits im Vorfeld erklärt:  "Niemand wird uns aufhalten – nicht Den Haag, nicht die Achse des Bösen und auch sonst niemand".

Der Internationale Gerichtshof Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Es entscheidet über Konflikte zwischen Staaten. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen.
Sowohl Israel als auch Südafrika durften jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden.

Hauptverfahren kann Jahre dauern

Ein abschließendes Urteil des IGH darüber, ob Israel im Gazastreifen tatsächlich einen "Völkermord" an den Palästinensern begeht oder nicht, wird in Den Haag vorerst nicht gefällt. Diese Entscheidung in der Hauptsache könnte noch Jahre dauern. Zum jetzigen Zeitpunkt würde der IGH nur Dringlichkeitsanordnungen erlassen.

Südafrika hatte Ende Dezember Klage gegen Israel eingereicht und dem Land die Verletzung der Völkermord-Konvention vorgeworfen. Es ist das erste Mal, dass sich Israel vor dem UN-Gericht einem Völkermord-Vorwurf stellen muss.

Netanjahu: Israel respektiert internationales Recht

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die Entscheidung des UN-Gerichts zurückhaltend aufgenommen. "Israels Respekt für das internationale Recht ist unerschütterlich", teilte Netanjahu am Freitag in einer Video-Botschaft mit. Zugleich betonte er weiterhin, dass sich Israel "gegen die Hamas, eine völkermordende terroristische Organisation, zur Wehr setzen" wird.

Zuvor hatte Israels Vertreter vor der Anhörung im Den Haager Friedenspalast vor etwa zwei Wochen die Vorwürfe entschieden zurückgewiesen. Israel sei im Krieg mit der Islamistenorganisation Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk, hatte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, gesagt.

Israel wies auch die Forderung nach einem Ende des Militäreinsatzes zurück. Damit würde dem Land das Recht auf Selbstverteidigung genommen, hieß es zur Begründung.

UN-Experte warnt vor "massiver Katastrophe" im südlichen Gazastreifen

Derweil hat der Leiter des UN-Menschenrechtsbüros in den besetzten palästinensischen Gebieten, Ajith Sunghay, vor einem Übergreifen der Gewalt auf die Stadt Rafah im südlichen Gaza-Streifen gewarnt. Dies hätte katastrophale Folgen für die mehr als 1,3 Millionen Menschen, die dort zusammengepfercht lebten, sagte Sunghay am Freitag in einer Videokonferenz über den Nahost-Krieg in Genf. Die meisten von ihnen seien Geflüchtete.

Sunghay sagte, er habe bei einem Besuch in Rafah Vertriebene gesehen, die von israelischen Behörden aufgefordert worden seien, ihre Häuser zu verlassen, ohne dass für ihre Unterbringung gesorgt worden sei. Sie lebten buchstäblich auf der Straße. Israels Armee beschieße Gebiete, die sie selbst zu "sicheren" Gebieten erklärt habe, wie Al Mawasi im westlichen Chan Yunis. "Wenn viele Menschen aus Chan Junis und anderen Orten fliehen, wird das zu einer massiven Katastrophe führen", sagte Sunghay.

Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und andere Zufluchtsorte hätten die Palästinenser in kleinere Gebiete verdrängt, in denen sie immer weniger Zugang zu lebensnotwendigen Gütern hätten, kritisierte Sunghay. Israel verstoße gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Er sei auch sehr besorgt über die Auswirkungen des regnerischen, kalten Wetters im Gaza-Streifen. Die meisten Menschen hätten weder warme Kleidung noch Decken. Der nördliche Teil des Gazastreifens, der weiterhin von der Armee Israels bombardiert werde, sei für die Lieferung grundlegender humanitärer Hilfe kaum zugänglich.

Baerbock besorgt über Lage im Gazastreifen

Außenministerin Annalena Baerbock forderte Israel angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen eindringlich auf, beim Vorgehen etwa in Chan Junis das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Am Rande ihrer Ostafrika-Reise sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstagabend in Nairobi mit Blick auf die schweren Kämpfe in der Stadt im Süden des Gazastreifens, sie sei "äußerst besorgt" über die verzweifelte Lage der Menschen.

"Auch beim Recht auf Selbstverteidigung gibt es Regeln, und auch beim Kampf gegen Terroristen gilt das humanitäre Völkerrecht", sagte Baerbock. Die Außenministerin will im Zusammenhang mit den Vermittlungsbemühungen im Gaza-Krieg kurzfristig einen Abstecher nach Jordanien machen.

Der iranische Außenminister Hussein Amirabdollahian begrüßte die Feststellung des Internationalen Gerichtshofes. Er gratulierte Südafrika, das die Klage gegen Israel eingereicht hatte, und dem palästinensischen Volk zu dem "Erfolg", wie die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete. Der Außenminister forderte andere Länder auf, die Klage zu unterstützen. Die Unterstützung der USA für Israel werde Konsequenzen haben, meinte er.

Südafrika hat die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs als "einen entscheidenden Sieg für die internationale Rechtsstaatlichkeit" begrüßt. Der Beschluss des IGH sei "ein bedeutender Meilenstein bei der Suche nach Gerechtigkeit für das palästinensische Volk", teilte das Außenministerium am Freitag mit.

dpa,AFP (ewi)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 26. Januar 2024 | 17:08 Uhr

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