Gemeinschaft, Glaube und Tradition Warum der Herrnhuter Stern in aller Welt leuchtet
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23. Dezember 2024, 09:00 Uhr
Jedes Jahr zur Adventszeit erstrahlen rund um den Globus Herrnhuter Sterne in Straßen, Häusern und Kirchen. Seinen Namen verdankt der Stern der Herrnhuter Brüdergemeine. Deren Mitglieder kamen vor rund 300 Jahren als protestantische Glaubensflüchtlinge in die sächsische Provinz. Heute leuchtet der Exportschlager aus der Oberlausitz in Grönland genauso wie in einem Flüchtlingscamp in Malawi, im US-amerikanischen Bethlehem oder auf dem Sternberg in Palästina. Die UNESCO hat 2024 den Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine in Ostsachsen den Welterbe-Titel verliehen.
Inhalt des Artikels:
- Exportschlager: Aus Herrnhut in die Welt
- 1722: Glaubensflüchtlinge unter des Herren Hut
- 1821: Legende vom ersten Stern
- Erster Großauftrag geht nach Bethlehem, Pennsylvania
- Mission bis in den hohen Norden nach Grönland
- Missionsarbeit heute: Nothilfe für Flüchtende in Malawi
- Star Mountain Center in Ramallah: Inklusion und Versöhnung
- "Die Botschaft ist klar"
Im Gotteshaus der Brüdergemeine in Herrnhut wird alljährlich kurz vor dem ersten Advent ein ganz besonderer Stern hervorgeholt. 110 gelbe Zacken hat er: "Nicht jede einzelne ganz perfekt, dafür ergeben sie zusammen ein sehr schönes Bild", freut sich Matthias Clemens.
"Viele haben daran mitgebaut: Kindergartenkinder, Zinsendorfschülerinnen, Förderschüler, Altenheimbewohner, ganze Familien", erzählt Katharina Cain. Beide gehören zum Team der Gemeine, das nochmal jeden Zacken prüft, bevor der Stern im Kirchensaal in einer aufwendigen Zeremonie gehangen wird. Für Katharina Coin symbolisiert der Stern die Weihnachtsgeschichte und erinnert zugleich an die Werte der Brüder-Gemeine, zu der sie erst seit kurzem gehört.
Ich habe das selber erlebt, wie herzlich man hier aufgenommen wird. Das warme, gelbe Licht des Sterns transportiert das für mich; dass man offen ist.
Wenn der gelbe Sterne von der Decke des Kirchensaals strahlt, dann beginnt die Advents- und Weihnachtszeit in dem kleinen Ort in der Oberlausitz – und nicht nur dort.
Exportschlager: Aus Herrnhut in die Welt
Jedes Jahr zur Adventszeit geht ein Leuchten durch die Welt. Denn der Stern aus Herrnhut ist schon lange ein Exportschlager. Mitten in der sächsischen Provinz steht die Manufaktur, die Herrnhut zu einer Marke gemacht hat. Mittlerweile werden dort 700.000 Sterne pro Jahr produziert, jeder einzelne von Hand. 165 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter falzen und kleben die traditionellen Modelle aus Papier. Lediglich die Fertigung der Kunststoff-Kreationen haben Maschinen übernommen. Bis jeder Handgriff sitzt, braucht es mindestens ein halbes Jahr lang Einarbeitungszeit.
Symbol für Gemeinschaft, Glauben und Tradition
Dass der Herrnhuter Stern bis heute nicht nur in der Oberlausitz leuchtet, sondern auch in Königsfeld im Schwarzwald, in Grönland genauso wie im US-amerikanischen Bethlehem, auf dem Sternberg in Palästina oder in einem Flüchtlingscamp im afrikanischen Malawi hat mit seiner Geschichte zu tun, die eng mit den Glaubensgrundsätzen der Herrnhuter Gemeine verbunden ist.
1722: Glaubensflüchtlinge unter des Herren Hut
Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf gilt als Gründer der Gemeine, gab er doch protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Böhmen und Mähren während der katholischen Gegenreformation im Habsburger Reich auf dem Boden seiner Gutsherrenschaft Berthelsdorf in der Oberlausitz 1722 Asyl. "Unter des Herrn Hut" sollten sie ein neues Zuhause und zusammen mit anderen Glaubensdissidenten eine ökumenische Gemeinschaft finden, in der Unität. Vereint in Vielfalt und Gleichheit, wie Pfarrerin Erdmute Frank betont: "Im Grunde verstehen wir uns wirklich als Brüder und Schwestern."
So gebe es in dem schlichten, weißen Kirchensaal von Herrnhut weder Kanzel noch Altar, denn es solle nicht von oben herab gepredigt werden, erklärt sie. Und:
Ich liebe den Ausspruch von Graf Zinzendorf, der meinte, wenn Menschen im Saal sind, dann ist der Saal geschmückt. Das heißt jeder Mensch, der hierher kommt, ist ein Schmuckstück.
1821: Legende vom ersten Stern
Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts gingen die ersten Herrnhuterinnen und Herrnhuter weltweit auf Mission. Zurück blieben oft deren Kinder, die in Internaten aufwuchsen. Der Legende nach war es ein Mathelehrer aus Niesky, der sie mit dem Stern aus der Weihnachtsgeschichte trösten, aber auch geometrische Formen lehren wollte. Bildung war der Gemeine von Beginn an ein hohes Gut. So wurde also der erste Herrnhuther Stern gebaut: mit 25 Spitzen, 17 viereckigen und acht dreieckigen Zacken. Am 6. Januar 1821 soll er zum ersten Mal geleuchtet haben.
Erster Großauftrag geht nach Bethlehem, Pennsylvania
Eine robuste Version mit einem Körper aus Blech und Schienen zum Aufschieben der Papierzacken entwickelte 1897 der ortsansässige Buchbinder Pieter Hendrik Verbeek. Er begann, die zusammensteckbaren Sterne in Serie zu produzieren. Der erste Großauftrag ging in die USA, nicht von ungefähr. Noch heute gibt es fast in jedem Bundesstaat eine Gemeine, die größte in Bethlehem in Pennsylvania.
Mission bis in den hohen Norden nach Grönland
Die Herrnhuter Missionare, meist Handwerker, nahmen ihren Stern einst mit bis in den hohen Norden nach Grönland. Als Erinnerung an Zuhause und als Zeichen ihres Glaubens. In abgewandelter Form und Farbe bringt der Stern bis heute zur Adventszeit Licht und Wärme in die Häuser der Hauptstadt Nuuk. Dass diese Tradition überdauerte, obwohl die letzten Herrnhuter Missionare das Land um 1900 verließen, begründet Pfarrerin Erdmute Frank damit, dass nicht das Predigen, sondern Fürsorge, etwa Schulen und Gesundheitsvorsorge die Missionsarbeit bestimmt hätten. Der Geschichtsarchäologin Kirstine Møller zufolge lernten die Herrnhuter die Sprache und Gebräuche der Inuit, passten sich ihrer Lebensweise an. Dass sich ihr Alltag in der Gemeinschaft abspielte, "passte mehr zum Lebensstil der Inuits, während für die Dänen vor allem harte Arbeit wichtig war", so Møller.
Missionsarbeit heute: Nothilfe für Flüchtende in Malawi
Die Idee der Mission wandelte sich weiter, heute steht die soziale Arbeit im Fokus, auch die Flüchtlingshilfe. Vergessen ist nicht, dass die ersten Herrnhuter selbst als Migranten nach Sachsen kamen. So engagiert sich die Herrnhuter Missionshilfe im größten Refugee Camp Malawis. Für 10.000 Menschen konzipiert, leben heute 50.000 im Dzaleka-Flüchtlingslager, wie Projektmanagerin Belinda Gondle Mzembe erklärt:
"Die meisten kommen aus der Demokratischen Republik Kongo, aber auch aus Burundi, Ruanda oder Äthiopien. Die Hälfte von ihnen sind Kinder. Bisher gab es für sie nur eine Schule. Jetzt wird eine weitere für die größeren entstehen, auch eine Grundschule und ein Kindergarten sind geplant. Bildung ist wichtig, damit sie eine Zukunft haben."
Star Mountain Center in Ramallah: Inklusion und Versöhnung
Millionen Herrnhuter Sterne gibt es heute weltweit, ein großer leuchtet alljährlich auch in Ramallah, auf dem Sternberg, 25 km nördlich von Jerusalem, mitten im palästinensischen Autonomiegebiet.
Mit dem "Star Mountain Center" betreibt die Herrnhuter Missionshilfe dort ein Förderzentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderung. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie christlichen oder muslimischen Glaubens sind. Sie lernen und arbeiten gemeinsam, um später ein möglichst selbständiges Leben zu führen. Das Star Mountain Center Zentrum soll ein friedensstiftender Ort sein, dort, wo ein Stern den Heiligen Drei Königen den Weg zur Krippe erleuchtet haben soll.
Der Stern ist ein Symbol für Hingabe, für Schutz und Hoffnung. Wir können es uns nicht leisten, nicht zu hoffen.
"Die Botschaft ist klar"
Das Förderzentrum in Ramallah arbeitet mit der Johann-Amos-Comenius Schule in Herrnhut zusammen, die sich ebenfalls um Kinder mit Behinderung kümmert. Katharina Cain unterrichtet dort Religion. Jedes Jahr zur Adventszeit erzählt sie ihren Schülern vom Ursprung des Herrnhuter Sterns und seiner Botschaft. In Herrnhut gehört sie wie Matthias Clemens, der Revierförster ist, mit zum Team, das sich um den großen Stern für den Kirchsaal kümmert. Jede Zacke wird noch einmal von Hand geprüft, bevor der Stern in einer aufwendigen Zeremonie gehangen wird – und die Advents- und Weihnachtszeit beginnt.
Der Stern ist erstmal ein Stück Heimat für mich. Aber die Botschaft ist ganz klar: Es ist die dunkle Jahreszeit und es kommt ein warmes Licht. Gerade in diesem Jahr haben wir so viel Frust und Streit durch Corona – und es wird trotzdem Weihnachten.
Ein Herrnhuter Stern strahlt für alle Menschen. Egal, welcher Religion, Kultur oder Nation sie angehören. Die UNESCO hat nun die sächsische Kleinstadt Herrnhut als Teil der Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine als neues Welterbe ausgezeichnet. Das zuständige Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) gab die Entscheidung 2024 im indischen Neu-Delhi bekannt.
"Die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine stehen für den kulturellen und geistigen Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg", sagte Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission. "Sie sind in Vielfalt vereint und damit ein Sinnbild für die Welterbe-Idee."
(Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt)
Dieses Thema im Programm: Ein Stern für die Welt - Lichterglanz aus Herrnhut | 24. Dezember 2024 | 19:00 Uhr