Kolumne: Das Altpapier am 3. März 2025Trumps Reality-Politik

03. März 2025, 09:57 Uhr

US-Präsident Donald Trump hat Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in ein Big-Brother-Setting gesetzt, bevor er ihn erniedrigte. Diplomatie als Reality-TV. Aber der Nachrichtenjournalismus bekam das Ereignis nur bedingt in Schlagzeilen zu fassen. Woran liegt das? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

25 Jahre nach "Big Brother"…

Eigentlich hätte es hier heute um alten Fernsehquatsch gehen können. Die erste Folge von "Big Brother" wurde in Deutschland vor genau 25 Jahren ausgestrahlt. Die FAZ-Medienseite vom Samstag erinnert genauso daran wie dwdl.de in einem lesenswerten Artikel aus der Rubrik "Telegeschichte(n)" – auch mit Blick auf die medienethische Debatte, die das neue Format schon umrahmte, bevor die erste Folge am 1. März 2000 gelaufen war. In beinahe ebenso vielen Jahren unserer Altpapier-Kolumne hätte es viele Tage gegeben, an denen man sich ausführlich mit der Geschichte von "Big Brother" hätte beschäftigen können. Aber heute ist nicht der Tag dafür.

… macht Trump Reality-Politik

Reden wir, statt über Zlatko und Jürgen, über eine Fernsehproduktion von Donald Trump von heute, über die der britische Guardian schreibt: "Diplomacy dies on live TV".

Alle Welt hat mitbekommen, worum es geht: Am Freitag beendete der US-Präsident ein Treffen mit Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj, nachdem er ihn vorgeführt und erniedrigt hatte, vor versammelter Presse im Weißen Haus mit den Worten: "This Is Going to Be Great Television.""Das wird großartiges Fernsehen sein." Trump eskaliert der Weltordnung das Fundament weg und freut sich über gute Quoten.

Dass Trump selbst ein Mann des Reality-Fernsehens ist, ist hinlänglich bekannt. Trump hat sich als Politiker, ähnlich wie zuvor als Reality-TV-Mann,

"sowohl als authentisch (er 'sagt, wie es ist', wie man sagt) als auch als grenzüberschreitend (er tut und sagt als politischer Führer Dinge, die Menschen in seiner Position normalerweise nicht sagen und tun) positioniert. Auf diese Weise hat Trump eine eigene Persönlichkeit kultiviert, die bei einem bestimmten Publikum Anklang findet".

Das steht in einem Text der Zeitschrift "Scientific American" über Trumps Reality- und Politik-Methode. "Trump war berühmt dafür, Kandidaten fertigzumachen und 'Sie sind gefeuert' zu rufen", heißt es darin. Selenskyj wurde nun quasi behandelt wie so ein Kandidat in Trumps Reality-Serie "The Apprentice".

Eine gute Frage enthält ein Text aus "Foreign Policy" online, am Freitag erschienen, über Trumps mit Reality-TV-Methoden gefliesten Weg zur Macht: 

"Je schockierender, je haarsträubender, je rüpelhafter, je beispielloser, desto besser für die Einschaltquote. (…) Die Formel funktionierte im Präsidentschaftswahlkampf ab 2015, in einem Land, in dem Politiker ständig um Aufmerksamkeit werben und Kabelkanäle ständig den nächsten politischen Zyklus durchspielen (zum Teil angeheizt durch das Zuckerhoch der Einschaltquoten und der politischen Werbung). Das hat 2024 wieder funktioniert, zumindest was den Wahlerfolg angeht, und auch als sich der Videokonsum auf kleinere Bildschirme und mundgerechte Clips verlagerte – eine Umstellung, die Trump ebenfalls schnell zu meistern schien. Aber funktioniert die Schockstrategie auch, wenn man im Amt ist? Woran bemisst sich der Erfolg, wenn man keine Wahlen mehr gewinnen muss?"

Womöglich ja daran, ob man den Mann schwächen kann, der Trumps "Friedensverhandlungen" im Weg zu stehen scheint. Reality-TV ist ja nicht nur, wenn man selber Follower gewinnt. Sondern auch, wenn die anderen gedemütigt sind.

Trump hat das Reality-Konzept von der öffentlichen Bühne jedenfalls in den Beritt des Diplomatischen transferiert. Vergangene Woche traf er am Montag, Donnerstag und Freitag die Präsidenten und Premiers von Frankreich, Großbritannien und der Ukraine – und sorgte jedesmal dafür, dass das Fernsehen die Gespräche übertrug. Er führt seine Gäste im Prinzip ins Big-Brother-Haus der Diplomatie. Überall Kameras, überall Trigger, aber lasst uns mal ganz offen miteinander verhandeln.

Die Kameras sind hier bei Trump also nicht nur dort dabei, wo sich ein Politiker üblicherweise an sein Publikum wendet (also etwa auf Bühnen im Wahlkampf, in Fernsehsendungen, in Social Media), sondern auch dort, wo sie normalerweise explizit nicht dabei sein sollen: bei diplomatischen Gesprächen. Trump hat damit eine Laborsituation erschaffen, die "echt" aussehen mag. (Nina Rehfeld zitiert in der "FAZ" Lob von Trump-Fans für die vermeintliche Transparenz seiner Politik.) Dass aber internationale Diplomatie "vor Milliarden von Augen gemacht wird" (nochmal foreignpolicy.com), war nie vorgesehen. Trump veranstaltet eine Diplomatie-Reality-Show.

Wie gescripted war es?

Üblicherweise sei es im Weißen Haus so, erklärte der ehemalige USA-Korrespondent Markus Feldenkirchen am Wochenende im Podcast "Apokalypyse und Filterkaffee": Im Kaminzimmer des Oval Office wird die Presse kurz Zeuge davon, wie sich Politiker leibhaftig die Hände schütteln, bevor sie sich dann im kleinen Kreis ohne Öffentlichkeit besprechen. Die Journalistinnen und Journalisten werden rausgeschickt, bevor der eigentlich wichtige Teil beginnt, und bekommen dann hinterher in einer Pressekonferenz eine Zusammenfassung.

Selenskyj dagegen musste knapp 50 Minuten lang vor Kameras agieren. US-Vize-Präsident Vance, der, wie Peter Burghardt von der "Süddeutschen" schreibt, "offenbar von Anfang an auf Krawall gebürstet" war, stichelte und "schaltete auf Eskalation" (anderer "SZ"-Text). Trump kanzelte den Gast ab. Und die Presse blieb und blieb und blieb und hörte, wie Selenskyj – der Angegriffene – zur Gefahr für den Frieden erklärt wurde.

Nun ist nicht gewiss, dass die Eskalation im Weißen Haus exakt so geplant war, ob Selenskyj gar in eine Falle gelockt worden ist. "Was amerikanische Zeitungen aus der Trump-Regierung erfuhren, spricht eher nicht dafür. Es scheint vielmehr Kräfte in Trumps Umfeld gegeben zu haben, die einen ungünstigen Verlauf des Treffens befürchtet haben und zu verhindern versuchten", schreibt heute die "FAZ" (S. 3, derzeit nicht online); im "Guardian" steht Ähnliches.

Aber der Reality-Charakter des Treffens ist unübersehbar. Selenskyj wurde sogar für seine Kleidung gemaßregelt, als würde eine Show mit Harald Glööckler aufgezeichnet; einmal von Trump selbst, direkt bei der Ankunft. Später von dem trumptreuen ultrarechten Journalisten Brian Glenn, der zu den handverlesenen Pressevertretern gehört. Am Ende schrieb Trump in seinem Netzwerk Truth Social, es sei "erstaunlich, was durch Emotionen herauskommt". Und damit rüber zu Sonja Zietlow.

Die US-Regierung wählt selbst – die Medien aus

Die Formulierung "Trumps Propagandaapparat als Verstärker des Wahnsinns" (guter Kommentar bei standard.at) trifft es. Wie die US-Regierung die Pressefreiheit schleift und unliebsame Medien ausschließt, darum ging es etwa in diesem Altpapier. Es geht aber nicht nur darum, unliebsame Medien auszuschließen, sondern auch darum, speichelleckerische einzuschleusen. Die können dann die Fragen stellen, die Trump ein Lächeln aufs Gesicht zaubern – wie die erwähnte Frage an Selenskyj nach seiner Kleidung.

Wie in der Regierung Trump die Medienvertreterinnen und -vertreter zusammengestellt werden, die Zugang zum Weißen Haus erhalten, darüber schrieb am Samstag die "SZ" (Abo).

"Trumps Mannschaft bricht über Nacht mit der Tradition, dass die 1914 gegründete Korrespondenten-Vereinigung den Pool zusammenstellt. Bisher hatte dieser unabhängige Klub in einem bewährten Rotationsverfahren Vertreter amerikanischer und ausländischer Medien benannt, die jeweils in das Präsidentenbüro oder in die Präsidentenmaschine dürfen."

Nicht nur in den USA gibt es Protest dagegen –

"'Dieser Schritt stellt die Unabhängigkeit der freien Presse in den Vereinigten Staaten infrage', protestiert die White House Correspondents’ Association. 'Er legt nahe, dass die Regierung die Journalisten auswählt, die über den Präsidenten berichten'" –,

sondern laut "dpa" und horizont.net (Abo) auch in Deutschland.

Ist Trumps Reality-Politik mit W-Fragen zu greifen?

Nochmal zurück zum Freitagsgeschehen: Was ist da im Weißen Haus passiert? In nachrichtlichen Überschriften – nur eine kleine Auswahl – las es sich so:

  • "Trump und Selenskyj streiten vor Kameras im Weißen Haus" (rnd.de, später geändert)

  • "Offener Streit zwischen Trump und Selenskyj" (br24.de)

  • "Treffen zwischen Trump und Selenskyj nach hitzigem Wortwechsel abgebrochen" (mdr.de)

Zwei Menschen haben sich demnach also gestritten, das ist die transportierte Geschichte. Das ist aber nicht der Kern dessen, was geschehen ist, sondern nur eine Beschreibung dessen, was auf der ersten Ebene vorgeführt wurde. Von einem "Streit" zwischen den beiden zu sprechen, reduziert das Geschehen auf die Oberfläche. Zu wenig, fanden auch viele Beobachter in den Social Media. Akkurater waren Zeilen, die benannten, wer hier aktiv handelte; der Medienjournalist Stefan Fries hat bei BlueSky einige zusammengestellt:

  • "Trump überzieht Selenskyj öffentlich mit Vorwürfen" (n-tv.de u.a.)

  • "Trump sagt Friedensgespräche mit der Ukraine ab und schmeißt Selenskyj raus" (tagesspiegel.de, mittlerweile modifiziert)

  • "'Kann zurückkommen, wenn er bereit für Frieden ist’: Trump schmeißt Selenskyj aus Weißem Haus" (rnd.de)

Die originelle Interpretation oder eine Kommentierung sind nicht die Aufgabe von Newsjournalisten. Wie kann man aber mit dem nachrichtenjournalistischen Verknappungswerkzeug eine politische Reality-Inszenierung erfassen? Mit einer klassischen Anwendung der W-Fragen des Nachrichtenjournalismus (Wer hat was wann wo wie getan?) lässt sie sich womöglich gar nicht so einfach greifen (Trump und Selenskyj. Haben gestritten. Im Weißen Haus…).

Unangemessen war aber vor allem das anschließende Framing der Debatte, Selenskyj wolle sich nicht entschuldigen. Deutsche Medien übernahmen es reihenweise vom trumptreuen US-Sender Fox News. Der Medienberater Johannes Hillje hat bei BlueSky darauf hingewiesen: "Die abwegige Idee, dass eine Entschuldigung von Selenskyj bei Trump angebracht sein könnte – die Eskalation im Oval Office ging von Vance aus – stammt von Fox News", schrieb er und zeigte entsprechende Nachrichtenüberschriften, unter anderem von welt.de und tagesschau.de.

Sinnvoll wäre es sicher, um einen Gedanken der Journalistin Viktoria Morasch aufzugreifen, mehr Räume zu schaffen, in denen sich Journalistinnen und Journalisten kritisch mit der eigenen Arbeit befassen. Journalistenpreise sollte man dort vielleicht einfach mal nicht vergeben. Oder höchstens einen: den für Nachrichtenjournalismus auf der Höhe der Herausforderungen. Von Best-Practice-Beispielen könnten alle profitieren.


Altpapierkorb ("Tass" im Oval Office, Macron bei Trump, "Welt", "Washington Post", ESC, "Titanic", "Peppa Wutz")

+++ Wie am Freitag ein Journalist der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass ins Oval Office kam, ist ungeklärt. Es soll ein Versehen gewesen sein (unter anderem t-online.de).

+++ Schon am Freitagabend erschien das E-Paper der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Wer sich die Sonntagszeitung erst am Sonntag holte, wird vielleicht etwas überrascht gewesen sein über Niklas Maak’ Text auf der Medienseite (Abo). Es ging darum, wie ein europäischer Politiker zu Donald Trump kommt und ihm Grenzen aufzeigt. Es ging allerdings um Frankreichs Präsident Macron. Niklas Maak: "Macron sitzt breitbeinig da, während Trump sagt, dass Europa der Ukraine Geld leihe und es auch zurückbekommen werde. An dieser Stelle legt Macron seine Hand auf Trumps Oberschenkel – eine vertraut wirkende, aber im Kern autoritäre, Trump unterbrechende Geste, ein Akt kunstvoller Übergriffigkeit auf den Körper des für Übergriffigkeiten bekannten Trump. Dann lächelt Macron leicht belustigt in die Kameras wie ein Arzt, der sagen will, Stop mal, der nette Opa hier schwindelt jetzt ein bisschen, jetzt bleiben wir mal bei der Realität, und ich sage euch, was wirklich ist. Macron korrigiert Trump vor laufenden Kameras."

+++ Das erste Medium in Deutschland, das die Verantwortung für den "Streit" dem ukrainischen Präsidenten unterjubeln wollte, war die "Welt": "Selenskyj hat mit seinem Verhalten die Sicherheit Europas aufs Spiel gesetzt", titelte sie online und fand in der Unterzeile gar, er hätte "(s)chweigen müssen". Womöglich haben sich dann aber doch zu viele Menschen auch im Springer-Umfeld an den Kopf gefasst. Mittlerweile wurden Überschrift und Unterzeile verändert, und der Vorstandsvorsitzende hat sich mit einem anderen Take eingeklinkt.

+++ Bei der "Washington Post" geht man zumindest kreativ mit der Ansage von Eigentümer Jeff Bezos um, jeden Tag über "personal liberties and free markets” zu schreiben (zuletzt in diesem Altpapier). Die "WaPo" als MAGA-freundliches Outlet, so konnte man’s, musste man’s lesen. Was schreibt Dana Milbank nun? "Wenn wir als Zeitung, und wir als Land, diese beiden Säulen verteidigen wollen, dann müssen wir unseren Kampf gegen die größte Bedrohung für 'persönliche Freiheiten und freie Märkte’ in den Vereinigten Staaten heute verdoppeln: Präsident Donald Trump." Touché. Aber ob es hilft gegen den Eindruck, die "Post" sei ein "Werkzeug eines rückgratlosen Milliardärs" (Barbara Junge in der "taz")?

+++ Der deutsche Beitrag für den Eurovision Song Contest steht fest. Die Auswahlshow verarztet unter anderem die "taz". Imre Grimm (rnd.de) und Peer Schader (dwdl.de) beschäftigten sich vorher und nachher speziell mit Auswahlchef Stefan Raab.

+++ Christian Lindner gehe gegen ein Titelbild der Satirezeitschrift "Titanic" vor, berichtet u.a. tagesspiegel.de.

+++ Good news: Am Samstag um 7 Uhr liefen bei Super RTL brisante News: Peppa Wutz und ihr Bruder George – zu Deutsch: Schorsch – bekommen ein Geschwisterchen. Peppa wer? "Die britische Vorschul-Zeichentrickserie 'Peppa Pig' ist seit rund 20 Jahren in mehr als 180 Ländern und in rund 40 Sprachen zu sehen." Dafür liest man doch gerne den österreichischen "Standard". In der "SZ" steht’s aber auch.

Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.