Kolumne: Das Altpapier am 10. März 2025Handeln gegen die Bullshitflut, aber wie?
Das Smartphone muss vom Fetisch wieder zum Werkzeug werden, fordert Herfried Münkler. Die permanente Bewirtschaftung von Emotionen jedenfalls zerstöre die Voraussetzungen unserer Demokratie. Die Annahme allerdings, US-Techkonzerne einhegen zu können, "fühlt sich beinahe wie die Weltordnung von gestern an", sagt eine Expertin für Plattformregulierung, Svea Windwehr. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wie Südafrikas Presse auf Trump reagiert
Man hat in Lesotho natürlich wahrgenommen, was der US-amerikanische Präsident, wie hieß er doch gleich?, von sich gegeben hat. Entwicklungsgelder in Höhe von acht Millionen Dollar werde es nicht mehr geben für dieses Land, "von dem noch nie jemand gehört hat". In der parlamentarischen Monarchie Lesotho, die von der Republik Südafrika umschlossen ist, kam man schwerlich umhin, darauf zu reagieren (bbc.com). Es gibt Borniert- und Frechheiten, die man nicht übergehen kann, nicht wenn sie vom Präsidenten des mächtigen Landes namens Dings kommen, wie hieß er denn jetzt gleich?
Aber die journalistische Reaktion in Teilen der südafrikanischen Presse ist durchaus souverän. Zum einen lag der Fokus dort schnell auf der Frage, was die Einstellung von US-Hilfen bedeutet. Die gemeinnützige Newsorganisation "GroundUp" etwa hat aufgeschrieben, wie hart etwa HIV-Hilfsprogramme davon getroffen wurden.
Zum anderen wird der Shitshow von Donald Trump (richtig, so hieß er!) nicht zu viel bekräftigende Beachtung geschenkt. Nehmen wir die Wochenzeitung "The Continent", die die wichtigsten innerafrikanischen Themen einer Woche aufgreift. Während in Deutschland Trumps Lesotho-Abwertung in vielen Überschriften im Wortlaut reproduziert wurde (etwa bei t-online.de, n-tv.de, stern.de, tagesspiegel.de oder ProSieben.de, nur vereinzelt, etwa bei dailymaverick.co.za, auch in Südafrika), wird Trumps abwertendes Zitat in "The Continent" dort als das eingeordnet, was es ist: kulturkämpferischer Aufwiegelungsmist. Die entsprechende Meldung ist so übertitelt: "Lesotho won’t engage, escalate, or feed Trump drama", also etwa: Lesotho wird Trumps Dramaturgie nicht noch unterstützen, indem man sich zu laut darüber aufregt. Parole "Schluss mit der Emotionsbewirtschaftung".
Lesothos Außenminister Lejone Mpotjoane hat sich zwar auch missfallend über Trumps Missachtung geäußert. Aber in "The Continent" wird er zitiert, es mit dem Ärger zu übertreiben sei "a waste of time", Zeitverschwendung. Warum mit jemandem in einen Disput eintreten, der "uns eh nur in den Dreck ziehen will"? Es ist eine bedenkenswerte journalistische Entscheidung: das Augenmerk auf genau die Äußerungen zu lenken, die Trumps Bullshit-Populismus gerade nicht reproduzieren.
Relevant ist vor allem, was der Stopp von USAID für afrikanische, südostasiatische oder lateinamerikanische Länder bedeutet. Das ist das Dramatische, das mehr Aufmerksamkeit verdient. Gelungen ist zum Beispiel der Überblick darüber in der FAZ (Abo).
Wie auf die Bullshitflut reagieren?
Wie kann der Journalismus, allgemeiner gefragt, auf die Bullshitflut reagieren? Bullshitflut ist ein Begriff von Christian Stöcker, der in seiner "Spiegel"-Kolumne (Abo) eine angemessene mediale Reaktion, vor allem von Talk-Redaktionen, auf das "permanente Wiederholen von Falschbehauptungen" einfordert. Er geht dabei auf psychologische Effekte ein ("Je öfter wir Menschen eine Behauptung hören, desto eher erscheint sie uns korrekt, völlig unabhängig von ihrem tatsächlichen Faktengehalt"), aber auch auf mediale Strategien der Parteien. Also vor allem dieser einen Partei (wie hieß sie doch gleich?).
"Oft werden bestimmte Behauptungen in TV-Sendungen oder parlamentarischen Reden in der Absicht aufgestellt, diese Schnipsel anschließend isoliert in den sozialen Medien zu verwerten, dort dann unwidersprochen."
Die Schnipsel-Strategie der (ach ja:) AfD ist bekannt, ein guter Umgang damit nicht gefunden. Seit dem Bundestagswahlkampf ist die Diskussion darüber aber in Gang gekommen (siehe u.a. dieses Altpapier, ganz unten). Stöcker schlägt vor, dass die Redaktionen endlich "ihre Arbeitsweise den neuen Gegebenheiten und Strategien anpassen", insbesondere öffentlich-rechtliche Sender, die Live-Checks grundsätzlich einplanen sollten.
"Noch besser wäre, entsprechende Formate aufzuzeichnen und anschließend mit eventuell nötigen Korrekturanmerkungen versehen zu senden. Sei es als Texteinblendung oder als kurzer Fakteneinschub in Beitragsform. Rechtsextreme wird das nicht vom Lügen abhalten, aber es wird den Einfluss ihrer Lügen drastisch verringern.Und entsprechende Live-Texteinblendungen oder Warnungen würden die Verwendung als Social-Media-Material deutlich erschweren."
Der Soziologe Nils Kumkar, der über die kommunikative Funktion alternativer Fakten gearbeitet hat, widersprach allerdings auf "BlueSky". Ich kann nur vermuten, warum. Kumkar aus einem anderen Altpapier:
"Immer wenn ich damit konfrontiert bin, dass bestimmte Informationen, die von manchen wohl für richtig gehalten wurden, in Wirklichkeit falsch sind, bin ich damit konfrontiert, dass Informationen prinzipiell falsch sein können. Und mit diesem ‚Es kann immer auch ganz anders sein‘ produziere ich den Vertrauensverlust mit, den ich zu bekämpfen vorgebe."
Bei netzpolitik.org wurde kürzlich über eine Metastudie berichtet (also über eine Auswertung vieler Studien zum Thema Desinformation). Dort hieß es:
"Wird zu viel vor Desinformationen gewarnt, kann dies Misstrauen gegenüber jeder Art von Informationen schüren."
Einer der Autoren der Metastudie wurde zitiert:
"Die Forschenden plädieren für eine sachlichere Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie fordern, sich stärker auf demokratische Willensbildung und den sozialen Zusammenhalt zu konzentrieren. ‚Wir würden empfehlen, etwas distanzierter über Desinformation zu berichten, ohne infrage zu stellen, dass es Desinformation gibt’".
(Für die Transparenz: Ich arbeite frei für den "Spiegel".)
Was es braucht: Thematisierungschecks
"Wenn man nur oft genug behauptet, Deutschland werde durch Migration immer gefährlicher, auch wenn das falsch ist, dann glauben es viele Leute irgendwann", schreibt Christian Stöcker in der eben zitierten Kolumne. Dagegen, dass Migration aber überhaupt das zentrale Thema des Wahlkampfs werden und vieles andere dafür hinten runterkippen konnte, hilft kein Faktencheck. Das ist eine Frage der Themensetzung.
Am Freitag ging es hier im Altpapier um ein Interview mit dem Medienforscher Thomas Hestermann über die Attentatsberichterstattung. Er wird unter anderem zitiert:
"Wenn die Herkunft genannt wird, dann sind es zu über 80 Prozent ausländische Tatverdächtige, mehr als doppelt so viele wie in der Kriminalstatistik, eine völlige Verzerrung. Die Gewalt von Deutschen wird weitgehend ausgeblendet".
Buzzfeed.de ergänzt Hestermanns Befunde nun. Die Redaktion hat mit einer Analysesoftware ausgewertet, wie groß das Medieninteresse nach den Taten in Magdeburg, München und Mannheim war, konkret: wie viele Beiträge in den vier Tagen nach den Taten in deutschen Leitmedien erschienen sind. "Haben die Medien das Interesse verloren, weil der Tatverdächtige von Mannheim ein Deutscher ist?" Das Ergebnis lautet: "Über die Taten in Magdeburg und München berichteten deutsche Medien mehr als doppelt so häufig wie über die Tat in Mannheim."
Was es neben einer Diskussion über Faktenchecks braucht, sind Thematisierungschecks.
Wie steht es um die Regulierung von Social Media?
Was am Wochenende an mehreren Stellen anklang: das Thema Regulierung von Social Media. In Nils Minkmars Sonntags-Newsletter war das ebenso der Fall… –
"Ukraine ist der Angreifer, der russische Krieg ist Frieden, Klimawandel ist ein Hoax, jeder Ausländer hat ein Messer in der Tasche und so weiter. Das war ein Versäumnis nach Covid: Man hätte damals schon die sozialen Medien wesentlich strenger regulieren müssen. Heute dominieren sie die Medienökologie und geben im Stundentakt neue Themen vor" –
… wie im großen Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Abo) über eigentlich alles mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Der wandte sich darin gegen die Demoskopie als Taktgeber von Politik. Ergriff die Gelegenheit, einen "SZ"-Gastbeitrag seiner Frau über die an die Stelle der Parteiendemokratie tretende Plattformdemokratie zu zitieren. Und warnte dann, Stichwort Smartphones:
"Diese Geräte werden wir nicht abschaffen können. Aber was wir tun können, weil wir trotz aller Bewirtschaftung unserer Gefühle durch die Algorithmen bis jetzt noch über ein eigenes Gehirn verfügen: diese Geräte wieder vom Fetisch zurück in ein Werkzeug zu verwandeln. Diese Instrumente, die permanent unsere Emotionen bewirtschaften, zerstören andernfalls alle Voraussetzungen unserer Demokratie."
Die Geräte vom Fetisch zurück in ein Werkzeug verwandeln, das wär’ natürlich was. Da wären wir dann tatsächlich bei der Plattformregulierung, um die es im lesenswerten Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (Abo) mit der Regulierungsexpertin Svea Windwehr geht. Das Interview bekommt in der Zeitung auch den Platz, den es braucht, nämlich viel. Es hat zwei Stränge: a) Regulierung, b) Aufbau eines europäischen sozialen Netzwerks.
"Gesetze der letzten Jahre, vor allem DSA und DMA, müssen jetzt konsequent durchgesetzt werden. Genauso wie Konzerngewinne in der EU konsequent besteuert werden müssen. Dieses Geld könnte dann auch für umfassende Förderprogramme für digitale öffentliche Räume genutzt werden, die dezentral sind, gesellschaftlich eingebettet, interoperabel gestaltet und vor allem open source."
Man beachte dabei allerdings Hilfsverben wie "müssen" und "könnte". Komplexität und Durchsetzungserschwernisse klingen im Interview deutlich an. Die Diskussion über eine höhere Besteuerung von Tech-Unternehmen in Europa etwa ist ja nicht neu, aber, so Svea Windwehr:
"Nun hat die neue US-Regierung signalisiert, dass sie auf die Durchsetzung von EU-Gesetzgebung mit Strafzöllen reagieren will. Das stellt unser Verständnis von transatlantischer Kooperation auf den Kopf. Die in DSA und DMA ausgedrückte Annahme, US-Techkonzerne einhegen zu können, fühlt sich beinahe wie die Weltordnung von gestern an. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – darf Europa sich nicht einschüchtern lassen. Gesetze wie DSA und DMA gehören zu unseren schärfsten Schwertern, um private Machtkonzentration und all ihre gefährlichen Begleiterscheinungen zu bekämpfen."
Altpapierkorb (Südkorea-Doku zurückgezogen, Widerspruch zu OBS-Studie, Springers Wildwestbegriff von Meinungsfreiheit)
+++ Eine für eine Phoenix-Ausstrahlung vorgesehene Dokumentation namens "Inside Südkorea" sei aus den Mediatheken von ARD und ZDF entfernt worden, berichtet der "Spiegel" (Abo). "Grund war offenbar massive Kritik, die vor allem in der koreanischen Community laut wurde". Offenbar berechtigte Kritik, eine erneute Prüfung durch Phoenix habe dem Sender zufolge ergeben, "dass der Film der Komplexität der politischen Lage in Südkorea und dem journalistischen Anspruch des Senders nicht gerecht werde". Auch südkoreanische Medien und mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen hätten die deutschen Sender kritisiert: "Hier würden öffentlich-rechtliche Medien einer Verschwörungstheorie Raum geben, die von ultrarechten Fans des mittlerweile entmachteten Yoon Suk-yeol verbreitet wird."
+++ Der Journalist Peter Stawowy hat jüngst in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk untersucht und kritisiert, dass noch immer zu viele Gremienangehörige Mitglied in einer politischen Partei seien (Altpapier). Der Deutschlandradio-Hörfunkrat widerspricht dem Befund nun, wie "epd Medien" berichtet. Der "Befund, es gebe noch immer einen zu großen Einfluss der Politik in den Rundfunkräten und anderen Gremien, decke sich nicht mit den Erfahrungen in der Gremienarbeit, erklärten Mitglieder des Hörfunkrats in der Sitzung am Donnerstag laut einer Mitteilung vom Freitag. Ehrenamtliches Engagement in Parteien sei nicht mit der früher zu Recht kritisierten dominanten ‚Staatsbank‘ zu verwechseln." Stawowy selbst greift die Kritik bei flurfunk-dresden.de auf. Er zitiert dort auch eine auf den Seiten der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD erschienene "sehr ausführliche Befassung und Kritik" mit seiner Studie.
+++ Eine von Axel Springer vertretene "Wildwest-Version der Meinungsfreiheit" kritisiert Tanjey Schultz, Professor am Journalistischen Seminar der Uni Mainz, im "Medium Magazin". Der erste Teil des Texts steht frei online: "Musk und die AfD brauchen sich um Zugänge zur Öffentlichkeit und zu den Medien wirklich keine Sorgen zu machen. Nicht nur, dass sie jederzeit effektiv auf den digitalen Plattformen kommunizieren können. Die etablierten Medien sind ihnen seit Jahren hinterhergelaufen, haben sich regelrecht von ihnen treiben lassen. Die Redaktionen haben ihnen keineswegs, wie Döpfner behauptet, die Aufmerksamkeit entzogen – schon gar nicht während des zurückliegenden Wahlkampfs. Die Populisten und Extremisten waren sogar präsent, als sie nicht anwesend waren. Und nun soll der Raum des Sagbaren weiter geöffnet werden? Für Leute, die Adolf Hitler zum Kommunisten erklären? Oder für wen eigentlich?"
+++ Cornelius Pollmer hat in der "Zeit" (Abo) sozusagen eine Idee, wie man die Corona-Pandemie aufarbeiten könnte: u.a. mit einer siebenstündigen Show, moderiert von Johannes B. Kerner. "Es gibt zaghafte Eingeständnisse von Fehlern, erste Untersuchungsausschüsse und Enquetekommissionen werden verabredet. Die Politik ist auch der zwingende Ort für solche systematische Aufarbeitung. Was diese kleinteilige Arbeit aber kaum wird leisten können, ist, die Köpfe und Herzen der Menschen zu erreichen. (…) Es braucht das Fernsehen, den alten Cowboy."
Am Dienstag schreibt das Altpapier Christian Bartels.